III. Capitul.
Jost erzählet seinen Lebenslauf. Ludwig und Isidoro probieren einen Diebsgriff.

[350] Wir sind oft Freund nur mit der Zung',

Das Herz denkt wie des Goldschmieds Jung'.


»Ich habe von derselbigen Zeit an keinen so lustigen Spaß all mein Lebtag gesehen. Denn dem armen Crispan wurde je länger je übler um das Herz, also daß er sogar den Pfarrer deswegen um Rat fragen ließ, ob er sich mit gutem Gewissen in ein so schröckliches und gefährliches Gefechte einlassen dörfte oder nicht. Aber der Pfarrer war zu großem Unglück anitzo gleich nicht zu Hause, weil er einen Wassersüchtigen besuchen müssen, welcher allgemach zu himmeln anfangen wollte. Deswegen nahm er ein ander Mittel vor die Hand, indem er entschlossen war, alle Bauren in dem Dorfe aufzubieten, derer nicht mehr als etwan ihr sechs darinnen waren. Aber dazumal war es gleich in der Saatzeit, hatten also alle mit ihren Pferden auf den Äckern zu tun, welches dem verzagten Crispan vor großer Furcht noch nicht zu Sinnen kommen war. Er fragte hierauf bald mich, bald seine Base um einen tauglichen Rat, aber ich war nicht gewachsen, ihm hierinnen einen sichern Ausschlag zu geben, ob ich gleich von Herzen gewünschet, daß ich doch von meinen verdrüßlichen und hundsfüttischen Diensten einmal los würde. In solchem Zustande kam der Dorfwirt in das Schloß, welcher etlich Stroh kaufen wollte, seine neue Scheune damit zu bedecken. Aber mein Herr, ob er wohl dem Geiz ziemlich ergeben war, ließ er doch vor diesmal den Handel mit dem Wirt fahren und fragte ihn vielmehr um ein taugliches Mittel, seiner instehenden Gefahr zu entgehen. Der Wirt war ein ausgestochener Vogel und sein Leben lang mit solchen Ränken umgegangen, daß nichts drüber. Er wußte gar wohl, daß Crispan keine Courage hatte, deswegen machte er ihm die Sache noch so gefährlich.

›Mein lieber Herr,‹ sagte er zum Edelmann, ›Ihr habt Euch gar an dem Rechten verbrannt. Es ist kein solcher geübter Fechter im ganzen Land, und Ihr habt noch nicht so viel gebratne Hühner gefressen, als viel wackere Kerls er an den[351] Degen gespießet hat. Ich wollte wahrhaftig nicht tausend Taler drum geben, daß ich anitzo an Euer Stelle wäre, denn ich fürchte, Ihr dörft eine Wunde davontragen, darüber Ihr des Aufstehens vergesset.‹

›Ich glaub es gar wohl,‹ sagte der Edelmann, ›aber ist denn ganz kein Rat vor mich zu finden?‹ – ›Herr,‹ antwortete der Wirt, ›besser ist vor diesmal nichts, als daß Ihr Euch vor dem Tor künstlich in eine Schlingen, dergleichen ich eine zu Haus habe, aufhängt. Dann wird Euer Widerpart nicht allein über solchem Eurem Beginnen eine große Gewissensangst empfinden, sondern angesichts wiederum zurückreiten, wo er hergekommen. Euer Schloßgesind aber und ich wollen vor dem Tor heulen und klagen, und solchergestalten könnet Ihr die Gefahr mit lachendem Munde abwenden.‹

›Es ist kein geringer Vorschlag‹, sagte der Edelmann, welcher den Wirt mit zusammengeschlagenen Händen bat, nur bald zu der Sache zu tun und die Schlinge anher zu bringen, weil der Provocant keine Viertelstund mehr ausbleiben würde. Auf solches sprang der Wirt über Hals und über Kopf nach der Schenke zu und brachte die Schlinge mit sich, welche von gutem Pfundleder zusammengestochen war. Er legte solche dem Edelmann auf die Unterkleider, und wir brachten ihn insgesamt auf einer Leiter auf das Schloßtor hinauf, allwo ihm der Wirt das Gesicht mit Nußfarb überschwärzet, welches das Ansehen gab, als wäre ihm das Blut schon gänzlich gestocket. Es war sich zu verwundern, wie artige Lectiones der Wirt dem Edelmann gab, wie er sich recht naturell darzu anstellen, wie er den Kopf neigen und wie eine artige Henkerspostur er machen sollte, und schien fast, der Wirt wäre entweder schon einmal gehängt worden oder würde auf das wenigste noch gehangen werden, denn er richtete den Edelmann so meisterlich ab, daß wir endlich selbsten gezweifelt, ob er noch lebte oder nicht, wenn er nicht zu unterschiedlichen Malen gefragt hätte, ob der Provocant schon daherritte oder nicht. Er rufte immer: ›Ist er da? Ist er noch nicht da?‹

Aus diesem konnten wir leichtlich schließen, daß ihn die Furcht trefflich quälen mußte, denn er bat uns, daß wir ihm[352] in der Gefahr ja treulich beistünden, er wollte alsdann ein Viergroschenstück nicht ansehen, sondern unser im besten gedenken. Nach solcher Vermahnung sprengte der Edelmann mit zwei Laquayen schon gegen das Schloß, und wir fingen ein abscheuliches Hunds- und Wolfsgeheule vor dem Tor an. Der Wirt lief mit dem Kopf immer wider die Mauer, gleich ob er toll und töricht wäre. Desgleichen trieben auch wir andere wunderliche Schosen, und der Provocant blieb endlich nebst seinen Dienern mit Verwunderung stehen, indem er allgemach mit Augen ansehen konnte, warum wir ein so jämmerliches und klägliches Spiel getrieben.

›Ihr armen Leute,‹ sagte er zu uns, ›wer ist dieser aufgehängte Mensch?‹ – ›Ach, mein lieber Herr,‹ sagte der Wirt mit einem großen Seufzer, ›unser Edelmann!‹ Damit lief er wieder an die Wand, daß es taugte, und die andern baten den Edelmann um Rat, was sie mit dem Erhängten anfangen sollten. ›Ihr habt euch nicht zu betrüben‹, antwortete er, ›über einen solchen Menschen, der euch nur mit Schanden und Unehr regieret hat. Ihr habt an ihm keinen von Adel, aber wohl einen solchen Bachanten verloren, dergleichen die Welt nie getragen hat. Vor vier Tagen ließ er mir durch etliche Bauren auf der Straße aufpassen, welche mich nicht allein in dem Trunk ganz kraftlos geschlagen, sondern mir noch darzu mein bestes Pferd zuschanden gemacht. Eine solche Büberei hat dieser euer Herr angestellet und hat dadurch keinen bessern Tod verdienet. Und zu meiner Revanche will ich ihm diese Kugel noch in den Leib jagen, und sollte ich dadurch in das größte Unglück von der Welt geraten.‹ Mit solchen Worten zückte er die Pistole und zeucht den Hahn über.

Als dieses der hangende Crispan erblickte, rufte er in der Schlinge und schrie um Gnad. Der Provocant sagte: ›Wie, ist es auf diesem Schloß der Gebrauch, daß die Tote reden?‹ Der Wirt merkte, daß seine Invention zu Wasser worden, deswegen nahm er die Flucht seinem Hause zu, und wir folgten ihm bald nach, indem sich einer hier, der ander dort in das Schloß verstak. Als aber der Provocant hinter den Betrug geraten, zerprügelte er den Crispan, welcher sich[353] in der Schlinge weder regen noch wehren konnte, dergestalten, daß er die Hosen um ein merkliches vergüldete.

Zwischen solcher Action hatte der Schreiber und die Base in dem Schloß alles in eine Lade zusammengepacket und das meiste Silbergeschmeid samt dem Geld hinweggestohlen. Und weil ich bei so beschaffenen Zeiten meinen besten Vorteil ersah, lief ich auch heimlich davon, und die andern stahlen, was ihnen am nähesten war. Dergestalten blieb kein Mensch zurück, welcher ihm von der Schlinge hätte helfen können, ohne dem Wirt, welcher ihn halb tot heruntergeschoben und zu sich in sein Haus genommen hat. Wie es weiter abgelaufen, kann ich nicht berichten, denn ich kam zu einer alten Edelfrauen auf ein einschichtiges Schlößlein, welche mich nur deswegen aufgenommen, weil ich schon eine Liverey am Leibe hatte. Deswegen konnte ich mir leicht die Rechnung machen, daß ich so lang in Diensten bleiben würde, als lang dieselbe nicht zurisse noch in Stücken ginge.«

Diese Erzählung, welche mir mein Knecht Jost nicht ohne sonderlichem Zeitvertreib vorgestellet, brachte mir eine ziemliche Ergötzung, daraus ich verstanden, daß es mir und meiner adeligen Compagnie nicht allein, sondern auch bei andern Leuten wunderlich zu gehen pflege, nur daß mans nicht allezeit wüßte noch diejenige Leute kennete, welche oftermalen eine größere Abenteuer als uns selbsten betroffen. Weil demnach meines Knechts wunderliche Zustände nicht unangenehm zu hören waren, wollte ich vernehmen, wie es mit ihm bei der Alten vom Adel abgelaufen, aber wir waren ganz unvermerkt so nahe an das Gut geraten, daß ich nun nicht mehr genug Raum hatte, seinen Worten ferner Audienz zu geben. Sagte ihm dahero etliche Lehren, welche er aus seiner Relation ziehen sollte, item, was der Geiz vor ein abscheuliches wildes Tier sei. Und damit ritten wir zum Meierhof hinein.

Der Meier war von Herzen froh, daß ich selbsten in Person angekommen, denn er hatte sich schon fertiggemachet, mir entgegenzureisen und anzudeuten, was vor eine große Gefahr sie gestern abends in der Nacht ausgestanden. »Euer[354] Gestreng«, sagte er zu mir, »kommen zu allem Glück hier an, denn gestern kam ein Dieb in den Schafstall, welchen wir erwischet und in einem Keller an zwei Ketten angeschlossen haben.« – »Ha, ha,« sagte ich, »den Raubvogel muß man rupfen! Saget mir, ists ein Soldat, oder wer ist der Dieb?« – »Das wissen wir nicht,« antwortete der Meier, »aber wir hatten alle zu tun, ehe er sich gab. Es war noch einer bei ihm, der ist davongelaufen und hat immer gelacht, daß wirs noch übers Feld herüber hören können.«

Ich dacht, ich müßte den Dieb gleichwohl sehen und ihn nach Gestalt der Sachen gerichtlich einziehen lassen, ging also in den Keller, und als der Meier die Tür eröffnet, sagte der Angeschlossene zu mir: »Bruder, du hast Zeit, daß du selbst kommest.« Über diese Wort sprang ich vor Verwunderung wieder zurück, denn es war Monsieur Ludwig, und ich konnte mich unmöglich enthalten, sondern prügelte den Meier samt seinen Knechten in dem Keller herum, daß nichts darüber. Aber Ludwig hieß mich innenhalten, vorgebend, daß sie das Ihrige getan und mit ihm nicht unbillig verfahren wären. Aber in der Nacht hätte ihn ein Poltergeist ausdermaßen erschreckt. Man machte ihn alsobalden los, und ich umfing ihn mit tausend Freuden. Er aber konnte des Lachens nicht mehr satt werden.

Hierauf gingen wir in ein absonderliches Zimmer, allwo er mir erzählet, wie er gehöret, daß ich mich einsten auf hiesigem Gut aufhielt, »und,« sagte er weiter, »weil ich dazumal einen abgedankten Soldaten bei mir hatte, welcher von unterschiedlichen Practiken zu schwätzen wußte, ließ ich den Isidoro zu mir über holen, weil ich wußte, daß er ein sonderlicher Liebhaber von dergleichen Händeln war. Der Reiter erzählte uns einen Haufen, wie man künstlich stehlen sollte, und unter andern sagte er, daß, wenn man ein Loch in einen Schafstall gerissen und wissen will, ob der Schäfer oder der Bauer darinnen vor dem Loche stehe und aufpasse, so solle man einen Hut an dem Degen oder auf einem Stock hineinstoßen. Wäre es nun Sach, daß jemand aufpaßte, so schlüge er zu, könnte man sich also wieder dahin begeben, woher man gekommen. Vernähme man aber keinen Schlag,[355] so sei es ein Zeichen, daß niemand in dem Stall sei, welcher die Schaf verwachte.

Nun muß ich bekennen, daß mich dieser Diebsgriff ohne Unterlaß gekützelt, ich denkte Tag und Nacht auf Gelegenheit, dieses Stücklein zu practicieren und in das Werk zu richten. Weil ich nun die Gelegenheit deines hiesigen Gutes allerbestens darzu erkieste, kam ich gestern gar spät mit Isidoro über Feld, und als wir das Haus schon zugeschlossen fanden, stiegen wir an deinem Schafstalle vom Pferd, nicht anders meinend, als das gelernte Reiterstücklein zu exercieren und dir eine Recreation zu machen. Isidoro schlug mit seiner mitgebrachten Axt ein großes Loch in die Wand, und ich steckte den Hut wohl zwölfmal nacheinander hinein, wurde doch nicht gewahr, daß jemands darinnen aufpaßte. Es war auch niemand darinnen. Als ich nunmehr selbst hineingeschloffen war und dem Isidoro die Schafe und Hämmel hinausgeben wollen, machte der Mauskopf das Loch zu, und kurz darauf erwischte mich der Meier mitten in dem Stall, und ist nicht zu sagen, wie ich mich mit seinen Leuten herumgeschlagen, ehe sie mich an die Ketten geschlossen. Dieses ist also der Verlauf, und ich will dem Meier noch darzu ein Trankgeld schenken, daß er so wachbar gewesen und mich so festegehalten.«

Über dieser Erzählung habe ich mich viel mehr zerlachet als noch über eine, welche in diesem Buche begriffen ist, aus welcher zu sehen, daß man sich vor allem Frevel fleißig in Obacht nehme. Denn in solchen Zuständen laufen auch die Allerunschuldigsten in die Gefahr, und die es am besten meinen, tragen die meisten Schläge davon. Aber dieses verwunderte mich allermeistens, daß ihn Isidoro so plötzlich verlassen und gleich einem Diebe die Flucht genommen hatte. Deswegen schrieben wir ihm einen Brief, und als er den dritten Tag darauf bei uns anlangte, trieben wir unsern gewöhnlichen Scherz trefflich miteinander, und Ludwig versprach, allerehestens die ganze Geschieht in eine Comödia zu fassen und solche auf seinem Schlosse agieren zu lassen.

Nach diesem machten wir uns noch acht Tage nacheinander[356] lustig und vertrieben die Zeit auf allerlei Art und Weis, die zu erdenken war. Weil sich auch Ergasto allernächstens mit einer Ausländischen vom Adel, und zwar auf Isidori Schlosse, verehlichen würde, als machte sich jeder bereit, auf derselben Zusammenkunft rechtschaffen lustig zu sein. Inzwischen passierte ich meine Zeit mit Zoten und spanzagelte mit ihm auf der Mühle, weil er in solchem ein sonderlicher Meister und Altgesell war.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 350-357.
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