IX. Capitul.
Zendorio erhält Brief wegen des Alamode-Schneiders, erscheinet auf Ergasto Hochzeit.

[387] Es gibt sich mancher davor aus,

Der er doch niemals war im Haus.


Dahin hatte ichs unter diesen zweien Leuten mit der Hochzeit gebracht, als mir unverhofft ein Brief aus dem Schloß Wildenstein überliefert wurde. Und weil ich Isidori Handschrift[387] kennete, eröffnete ich solchen um so viel begieriger, je größers Verlangen ich bis daher getragen, wegen des Alamode-Schneiders und seinem mitgebrachten Heu und Stroh einzige Nachricht zu erhalten. Der Brief aber bestund in folgendem Concept:


›Vielgeliebter Herr Bruder! Allem Ansehen nach ist der Alamode-Schneider, Meister Jonas, von Dir als dem reichen Weißgerber trefflich tractiert worden. Und wenn ich nicht irre, so bist Du auch derselbe, welcher ihm seine Kleiderkästen mit Heu und Stroh angefüllet. Denn als er Dein Conterfey an der Wand hangen sah, erbot er sich, gegen mir und meinem Bruder Ergasto, einen Eid zu tun, daß dieses und kein anderer der Weißgerber wäre, bei welchem er unterweges eingekehret und der ihn so wacker tractiert hätte. Du kannst nimmermehr glauben, wie sich der Schneider angestellet, als er statt der Hochzeitkleider solche unverhoffte Materia angetroffen, und es stund nicht gar weit, so hätte er gar zu weinen angefangen. Deswegen schicke dieselben Kleider bei dieser Gelegenheit anhero und sei zugleich auf künftigen Dienstag eingeladen, weil mein Bruder entschlossen ist, mit einer Ausländerin, namens Sylvia, sich zu verehlichen, und nunmehr auf dem Weg begriffen ist, solche hieherzuführen. Cetera textus habet. Verzeihe mir, daß ich so schlimm schreibe. Ich habe eine Comödia unterhanden, die soll auf das Hochzeitfest gespielet werden.

Wildenstein, am Tage Eduardi.‹


Diesen Brief las ich wohl zwanzigmal nacheinander hindurch und sprang vor Freuden in dem Zimmer herum, daß der Schneider so artig, und zwar durch das Conterfey, zu meiner Erkenntnis gekommen. Und weil die Hochzeit so gar nahe war, nahm ich die Kleider selbst mit mir. Aber Caspia mußte vor diesmal zu Hause bleiben, weil sich allerehestens ihre Geburtsstund nahete. Ich nahm nebenst meinem Jungen niemand mit mir als den ehrlichen Josten, welcher mir auf dem Weg weiterhinaus erzählen mußte, wie es ihm in seinem Leben gegangen. Weil aber in solcher Relation nichts als allerlei Veränderungen seiner Dienste vorgegangen, will ich[388] mit einem unnötigen Bericht wenig Papier einnehmen, sondern vielmehr erzählen, wie es auf dem Schlosse zu Wildenstein abgelaufen.

Der Schneider schlug vor Freuden die Hände über dem Kopf zusammen, als er mich in das Schloß einfahren sah. »Willkomm, Herr Weißgerber«, schrien etliche Cavalier über den Altan herunter, welche ich wegen schneller Fahrt nicht erkennen können. Nachdem ich aber ausgestanden, sah ich neben Monsieur Ludwigen den ehrlichen Herrn Caspar und den Faustus auf dem Gange stehen, welche mich fragten, wieviel Dutzet Bock- und Kalbfell ich mit meiner Caspia bis dahero ausgearbeitet hätte. Über solche Frage mußte ich von Herzen lachen, und der Schneider kam gleich an den Schlitten, seine Kleider abzuholen, als wir fast eine halbe Comödia miteinander anfingen.

Indem kommt Ergasto mit seiner Liebsten samt sechs Schlitten fremder Cavalier und Frauenzimmer dahergefahren. Und ich hätte auf zwölf Bogen Papier nicht genug Raum, wenn ich all dasjenige erzählen sollte, was sich zwischen uns in dieser Ankunft zugetragen. Ich habe aber zuvor geschrieben, daß ich nicht gesonnen sei, aufzusetzen bloße Wort der abgelegten Complimenten, sondern nur solche Sachen, die zur Histori gehören.

Abends tractierte man sehr herrlich, und des folgenden Tages ging die Trauung vorüber, nach welchem ein herrliches Banquett gehalten wurde. An dem fremden Frauenzimmer war so gar extraordinar nichts Schönes noch Ruhmwürdiges, es müßte denn nur sein, daß die Hoffart auch einen Ruhm nach sich zu ziehen pflegte. Sonst wüßte ich in der Wahrheit nicht, was ich ihnen vor Qualitäten beimessen sollte. Ihrer viel würdigten uns keiner Rede, wir sahen schon, wieviel es geschlagen hatte, und daß sie darum wollten gebeten sein. Aber man ließ sie samt ihrer Einbildung auf dem Hintern sitzen, und scherte sich um ihre Grandetz gar niemand als etwan die einfältige Bauernjungen, die bei der Tafel mit aufwarten müssen. Denn sie sagten, daß sie all ihr Leben lang den Hintern nicht so hin und wider wetzen gesehen, als wie es diese Docken getrieben. Vor diesmal wurde aber nicht gar[389] zu lange gespeiset, denn weil Isidoro eine Comödia wollte agieren lassen, eilete man mit den Speisen bald von der Tafel, und wurden die Gesundheit-Trünk bis zu einer andern Gelegenheit versparet, weil es gar übel stehet, wenn ein Vollgetrunkener einer Comödia oder andern Action zusehen will. Hiermit hebte man auf, und das Frauenzimmer stackte das Confect in ihre Schubsäcke, solches unter währendem Agieren zu verzehren oder die Cavalier damit ins Genicke zu werfen, aus welchem der Leser urteilen kann, daß die Mannsbilder dazumal voran gesessen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 387-390.
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