Fünfter Auftritt

[140] Zimmer in Fausts Hause. Theodora, Xaver treten herein. Beide sehen wieder muntrer aus.


XAVER. Ja, Schwester, am Körper bin ich wieder hergestellt; aber an der Seele bin ich oft sehr krank.

THEODORA. Wir wollen unser Herz gegen einander ausschütten; was fehlt Dir, guter Xaver?

XAVER. Eben das, was Dir fehlt. Kann Deine Brust ruhig athmen, wenn Du unsern Vater siehst?

THEODORA. Also auch Dir ist sein Zustand nicht entgangen? Nein, Xaver, ich bin nicht ruhig, wenn ich unserm Vater ins Auge, und noch[140] weniger, wenn ich ihm ins Herz blicke. Er ist mir jetzt so fürchterlich.

XAVER. Fürchterlich; ja, das ist das rechte Wort. Ach, er ist der gute, offene, und fröhliche Vater nicht mehr!

THEODORA. Und wer kann begreifen, warum? Alle seine Wünsche sind befriedigt; er ist wieder reich; er besitzt Paulina, und auch wir suchen sein Glück zu befördern; dennoch scheint er so wild, so unstät, so gepeinigt. Was bedeutet das? Was quält ihn? –

XAVER. Ach, Schwester, das ist nicht alles; ich habe noch andere Bemerkungen gemacht, die mich in ein Labyrinth von seltsamen Gedanken führen. Wenn unser Vater schläft, so hat er fürchterliche Träume, und redet beständig mit bösen Geistern, die er Satan und Gog nennt.

THEODORA. Ach, Gott, wenn er nur nicht wahnsinnig wird, wie mein unglücklicher Moritz!

XAVER. Nein, es muß etwas anders seyn. Höre nur. Oft habe ich in seinem Zimmer zwei Stimmen gehört, wenn ich auch wußte, daß er allein darin war, und die eine schien mir so fürchterlich. Ein andermal, da ich ihn hatte hineingehen sehen, wollte ich zu ihm, fand aber die Thür verschlossen, und sie blieb es bei allem meinem Klopfen.[141] Ich fürchtete, daß ihm etwas zugestoßen seyn möchte, öffnete sie mit einem Hauptschlüssel, sah aber das ganze Zimmer leer. Eine Stunde darauf hörte ich es von inwendig öffnen, und sah unsern Vater daraus hervorgehen.

THEODORA. Du hast Dich getäuscht, Bruder.

XAVER. Nein warlich nicht. Was die höchste Wachsamkeit erfordert, das habe ich angewandt, um Täuschung zu vermeiden. Das Zimmer, weißt Du, liegt im zweiten Stockwerk, und hat nur einen Eingang; diesen habe ich in der ganzen Zeit nicht aus den Augen gelassen.

THEODORA. Aber wohin wollen wir dies alles deuten?

XAVER. Es ist schwerer zu deuten, als der verwickeltste Traum. Und noch eins liegt mir auf dem Herzen. Du weißt, daß ich sehr krank war, und daß die Aerzte mir nur langsame Herstellung versprachen. Mein Vater gab mir einen Trank, und wenige Tage darauf war ich zum Erstaunen der Aerzte gesund.

THEODORA. Seltsam! Ich muß Dir nun auch meine Bekenntnisse machen. Du weißt meine unglückliche Liebe zu Moritz; Verschämt. ich war Mutter geworden, aber Schrecken und Schmerz tödteten[142] das Pfand meiner traurigen Liebe, ehe es ans Licht kam. Weint.

XAVER. Hu, das ist schauerlich!

THEODORA. Ach, ich habe Dir noch etwas zu sagen, das schauerlicher, als alles andre ist. In der Nacht, wo Rochus ermordet ward, konnte ich nicht schlafen; da hörte ich in der Mitternacht Geräusch und Klagestimmen in dem Zimmer meines Vaters, so daß mich eine halbe Todesangst überfiel; am andern Morgen aber fand ich Blutflecke in demselben an der Erde.

XAVER. Ja wohl, Theodora, das ist fürchterlicher, als alles andere. O, das Räthsel wird immer dunkler und unauflöslicher.

THEODORA. Was wollen wir beginnen? Mir graut, länger in diesem Hause zu bleiben.

XAVER. Ich wüßte wohl einen Ort für uns, wo wir gut aufgehoben wären: Wagner lebt so glücklich mit unsrer Mutter, und ist so lange unser Freund gewesen, daß wir an ihm einen zweiten Vater wiederfinden würden.

THEODORA. Das ist ein glücklicher Gedanke. Wir sind lange genug bei unserm Vater gewesen; wir können nun auch bei unsrer Mutter seyn. Und er wird uns gewiß nicht vermissen.[143]


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 140-144.
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