Sechster Auftritt

[172] Faust. Wagner, Mariane treten in Nachtkleidung hastig ein.


WAGNER. Armer Faust, was ist Dir zugestoßen?

FAUST. Zugestoßen? Die Hölle ist mir zugestoßen.

WAGNER. Besinne Dich, Faust; wir sind Deine Freunde. Was begehrst Du von uns so tief in der Nacht?

FAUST. Tief in der Nacht? Ja! – Ich will Dir's sagen, aber Du mußt nicht erschrecken: Rettung will ich; ich habe einen Bund mit dem Teufel.

WAGNER zu Marianen. Ach Gott, er hat den Verstand verloren. Xaver und Theodora treten ein.

FAUST. Das ist brav, Wagner, daß Du[172] nicht erschrickst! Sieh, es giebt Dinge, vor denen die ganze Natur im Schauder zusammenfährt, aber ich möchte doch nicht, daß Du davor erschräckst; ich habe einen Bund mit dem Teufel, und in dieser Nacht noch, will er mich in die Hölle führen. Rette mich nun, Wagner!

WAGNER. Ja, er ist wahnsinnig geworden.

FAUST. Wahnsinnig? O das sind glückliche Leute, die wahnsinnig geworden sind! Ueberzeuge mich, daß ich es bin, und ich will Dich anbeten. Nein, Wagner, ich bin nicht wahnsinnig, Gott erbarme sich, ich bin nicht wahnsinnig! Es ist wahr, ewig wahr: ich bin mit dem Teufel verbündet! Rette mich, Du bist fromm, Du hast auch in guten Tagen gebetet; rette mich! –

MARIANE. Unglücklicher Faust! fasse Dich; wir wollen Dich retten.

FAUST. Bist Du hier, Mariane? O das ist gut! Du bist ein edles, großes Weib, und an solchen Weibern hat der Teufel keine Gewalt. Bleibe ja hier, Mariane!

MARIANE. Ich bleibe bei Dir, armer Faust! sieh, hier sind auch Deine Kinder.

FAUST. Kommt alle herbei, meine Lieben! Umringt euren Vater, euren Freund! Haltet nur diese einzige Nacht bei mir aus, daß sie vorüber[173] gehe, ohne die Ewigkeit, ohne die Hölle mit zu bringen!

MARIANE. Wir wollen alle bei Dir bleiben; aber laß die irren Gedanken fahren. Schon viele haben die traurige Einbildung gehabt, daß der böse Feind ihnen nachstelle.

FAUST. Einbildung? Um Gottes Barmherzigkeit willen glaubt nicht, daß es Einbildung sey; sonst kämpft und betet ihr nicht mit Inbrunst! Mariane, Wagner, Ihr meine Kinder, ich schwöre euch bei der ganzen Ewigkeit mit ihren Freuden und Qualen, ich bin mit dem Teufel verbündet, und noch diese Nacht will er mich zur Hölle führen.


Paulina tritt ein, ebenfalls im Nachtkleide, ohne bemerkt zu werden.


PAULINA. Gott, was ist hier?

MARIANE. Mich könnte ein Schauder überfallen!

WAGNER. Rede, Faust! Woher sind diese Gedanken in Dir entstanden?

FAUST. Mariane ist standhaft geblieben, als die Wellen des Unglücks über uns zusammenschlugen; ich bin gefallen, ich habe Hülfe bei einem bösen Geiste gesucht, und sie gefunden. Weh mir, weh jedem, der im Unglücke nicht fest steht![174]

MARIANE. Das sind keine Worte eines Wahnsinnigen.

FAUST. Nein, keines Wahnsinnigen! O Mariane, Mariane, hätte ich wie Du das Unglück mit Heldenmuth ertragen, ich stünde jetzt nicht mit der Angst eines Verdammten unter euch! Ich habe im Verbrechen Hülfe gesucht, und daraus ist diese entsetzliche Nacht entstanden.

WAGNER. Aber wie ist es möglich, ein Bündniß mit dem Teufel zu schließen?

FAUST. Als der Ewige mir nicht helfen wollte, da habe ich den bösen Feind angerufen, und er ist gekommen, mir zu dienen. Er hat mir Geld gebracht, er hat mir Paulinen in die Arme geliefert.

PAULINA. Allmächtiger Gott, was hör' ich! Ist dies das schreckliche Geheimniß, das noch auf Deinem Herzen lag?

FAUST. Ja, dies ist das letzte furchtbare Geheimniß, gegen das alle übrige verschwinden, wie das Kerzenlicht vor dem Brande der Hölle. Betet nun für meine Seele; gebt es nicht zu, daß Euer Vater, Euer Gatte, Euer Freund in die Klauen Satans falle.

MARIANE. Wir wollen Dich schützen! Der böse Feind hat an Dir so wenig Macht, als an uns.[175]

FAUST. Schwöre mir, daß er keine Macht an mir habe.

MARIANE. Ich schwöre Dir – Ein Sausen ertönt.

FAUST. Weh mir, ich vernehme seine Ankunft! Umschlingt mich, Ihr meine Kinder, umklammert mich fest, Ihr meine Gattinnen, erbarmt euch, und verlaßt Euren Gatten, Euren Vater in dieser Todesangst nicht!

ALLE umschlingen ihn von allen Seiten. O unser Vater, unser Freund, niemand soll Dich uns entreißen!


Ein stärkeres Sausen erschallt, alle taumeln von Faust zurück, sinken rings um ihn auf die Knie, und strecken die Hände nach ihm aus.


FAUST. Weh mir, ich bin verlassen, ich stehe erstarrt und allein in diesem gräßlichen Augenblicke! Helft mir!


Ein drittes Sausen ertönt, das mit einem Donnerschlage endet. Mit dem Donnerschlage stürzen die Knieenden leblos zu Boden. Satan erscheint.


SATAN. Ich komme. Deine Seele von Dir zu fordern, und sie auf ewig in die Hölle zu führen. Hier ist Deine Verschreibung mit Blut. Hält ihm ein Papier hin.[176]

FAUST am ganzen Leibe zitternd. Auf ewig? Ich habe mich Dir nur auf einige Jahre verschrieben; willst Du Deinen Bund brechen?

SATAN. Weißt Du nicht, daß ich der Vater der Lügen bin? Wer mein ist, der ist auf ewig mein,

FAUST. Allbarmherziger, wehre ihm, daß er mich nicht antaste! Er hat mich um meine Seele betrogen! – Satan, habe Erbarmen, Erbarmen! Ich bin Vater, ich bin Gatte!

SATAN im Hohngelächter. Desto süßer schmeckst Du der Hölle!

FAUST. Ihr Todten, wacht auf, helft mir, er will mich ergreifen!

SATAN. Dem Fürsten der Hölle vermag kein Sterblicher zu widerstehen. Schlummert ihr! Du aber komm mit hinunter zur Hölle. Der Augenblick Deines Todes ist da. Naht sich ihm, umklammert ihn, und fährt mit ihm durch die Luft. Faust stößt einen fürchterlichen Schrei aus. Die Erstarrten an der Erde erholen sich allmählig, und sehen wild umher.[177]


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 172-178.
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