Zweiter Auftritt.

[12] Die Vorigen. Köhler.


KÖHLER feingekleidet, einen sehr schlechten Hut in der Hand.

FERDINAND in das Buch vertieft, Köhler nicht sehend, liest. O, wie glücklich wäre ich, wie selig, von Ihren holden Lippen das süße Wort zu vernehmen –

KÖHLER. Einen Bittern! Guten Morgen, meine Herren! Schon so fleißig? Oder vielmehr noch so fleißig? Das kann mir gefallen. Morgenstunde hat Gold im Munde. Er tritt an den Spieltisch. Ist erlaubt, so halte ich etwas.

EISLEBEN ohne Köhler zu beachten. Sept et Valet – trois et l'as.

KÖHLER. Nicht wahr, je schöner der Abend, je später die Gäste. Wollen Sie nicht so freundlich sein, und 'n bißchen zusammenrücken, meine Herren! Es geschieht nicht.

DÜMMLER bückt sich zu Eisleben rüber und sagt diesem was ins Ohr.[12]

KÖHLER. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich mit pointiere!? Mein Geld ist auch kein Blei! Ein Louis auf den König!

EISLEBEN schiebt das Geld zurück.

KÖHLER. Was hat das zu bedeuten?

EISLEBEN. Das will ich Ihnen sagen mein Herr. Sie haben neulich auf Ehrenwort gespielt und nicht bezahlt.

KÖHLER. Wer wagt das von mir zu behaupten?

DÜMMLER. Ich! Sie sind mir noch dreißig Taler schuldig, und ich habe mir vorgenommen, jede anständige Gesellschaft vor Ihnen zu warnen. Meine Herrn! Spielen wir nicht mit diesem Lumpen.

KÖHLER wütend. Herr, da soll ja gleich –

DÜMMLER. Was, Sie wagen noch zu drohen? Ein Schurke, der sein Ehrenwort gebrochen?

KÖHLER. Schurke? Ha! Er greift nach einem Messer, das auf dem Tisch liegt, und sticht damit nach Dümmler.

KOHLREPP und die andern Spieler fallen Köhler in den Arm und schlagen auf ihn los. Hinaus! Mörder! Betrüger! Schurke! Sie werfen Köhler hinaus.

FERDINAND im Vordergrunde. Da muß man sich nichts draus machen.

EISLEBEN zu Dümmler. Sie sind doch nicht verletzt?

DÜMMLER. Nur die Haut gestreift, aber der Rock ist zerschnitten.

EISLEBEN. Kommen Sie, kommen Sie, sonst holt uns der Mensch noch die Polizei auf den Leib. Sie gehen ab.

BERNHARD im Vordergrunde allein, während Ferdinand im Hintergrunde mit Wegräumung des Tisches und der Stühle beschäftigt ist.Was hab ich hier erlebt! Welche Gesellschaft? Und morgen wird vielleicht mir eine ähnliche Beschimpfung zu teil, wenn ich mein Wort nicht halte. Nein, lieber alles tun, als min Ehrenwort brechen. Meine Tante muß und wird mir helfen, ich will noch einmal meine Zuflucht zu ihr nehmen, und wenn sie mich nur diesmal noch rettet, dann wahrhaftig nie mehr eine Karte in die Hand – nie mehr einen Fuß in diese Höhle! Er stürzt ab.

FERDINAND allein. Gott sei Dank, daß sie alle fort sind. Es ist wahrhaftig keine Kleinigkeit, vierundzwanzig Stunden[13] auf den Ruf: Kellner! hören zu müssen, ohne sich aufs Ohr legen zu können. Es heißt immer, der Mensch ist nur ein Gast auf Erden, warum soll ich grade Kellner sein? Jetzt rasch auf den Markt und das Terrain rekognosziert! Er zieht sich einen eleganten Rock an. In diesem Landsberger wird Karoline mir nicht widerstehen. Das Buch hier sagt: Wer den Brauen gefallen will, darf sein Äußeres nicht vernachlässigen. Nun auch den neuen Bibi – Wo ist er denn – mein Hut – Er ergreift den liegen gebliebenen Hut. Was ist denn das? Es hat einer meinen Hut genommen und dafür diesen durchgeschwitzten Pomadenfilz stehen lassen! Das ist niederträchtig! Aber halt – da ist ja eine Karte – ein Namen drin – da kann ich gleich sehen, wem er gehört – Er liest. Nationaleigentum! Er spricht. Nationaleigentum! Er besieht den Hut von allen Seiten. Schauderhafte Bosheit! Aber da muß man sich nichts draus machen.


Nr. 1. Couplet.


Der den Hut verunsichtbarte

Und ihn hat jetzt in Besitz,

Dieser Mann, das zeigt die Karte,

Dieser Mann hat Geist und Witz.

Darum heiter, unverfroren,

Will mich gar nicht ärgern drob.

Ist der feine Hut verloren,

Fand er doch 'nen feinen Kopp.

Darum nur nicht gleich erbost,

Ferdinand, denk an deinen Trost!

Dadraus da muß man sich nichts machen,

:|: Da muß man lachen. :|:

Dadraus da muß man sich nichts machen,

Da muß man lachen. Hahahahaha!


Er lacht, wird aber gleich ernst und sieht sich scheu um.


Ernst zu sein ist jetzt in Moden,

Alles macht ein streng Gesicht,

Als wär jeder Spaß verboten

Und der Ernst nur unsere flicht.

Ja, es predigt unverdrossen[14]

Mancher strenge Sittenheld:

Tanz, Musik, Theaterpossen

Müssen endlich ans der Welt!

Doch die schlimme Welt denkt bloß:

Gott, ist dein Tiergarten groß!

Dadraus da muß man sich nichts machen etc.


David war als Harfensänger

Engagiert bei König Saul;

Dieser war ein Grillenfänger,

Dem ein jedes Lied schien faul.

Finster ward ihm die Visage,

Wenn sich David hören ließ;

In der Rage, statt der Gage

Schmiß er ihn mit seinem Spieß!

Aber David sprach. Wie heißt?

Ich sing ihm und er – er schmeißt?


Harfenspiel mit beiden Händen fingierend.


Dadraus da muß man sich nichts machen etc.


Obschon heilte unbestritten

Kein Religionshaß existiert,

Wird doch gegen Israeliten

Manches Scherzwort noch riskiert.

Neckereien pflegt zu üben

Gegen sie so mancher Christ,

Weil das Schweinfleisch sie nicht lieben,

Was höchst abgedroschen ist.

Denn der Jude denk Mag sein!

Wir haben doch jetzt sehr viel Schwein.

Dadraus da muß man sich nichts machen etc.


Ins französische Theater

Raus zu Krolls einmal zu gehn,

Sagt die Frau. So hör mal Vater

Müssen's doch auch einmal sehn.

Und sie fahren ins Theater,

Hin zu den Pariser bouffes;

Wütend applaudiert der Vater

Und zum Schluß ertönt sein Ruf:[15]

Nee, das ist doch gar zu schön,

Man kanns bloß nicht recht verstehn.

Dadraus da muß man sich nichts machen etc.


Weil Berlin sich mehret täglich,

Ging's im Magistrat jüngst durch,

Daß erweitert es wo möglich

Wird bis nach Charlottenburg.

Wenn sich der Einwohner Scharen

So vermehren fernerhin,

Dann vielleicht nach ein paar Jahren

Schlägt man Potsdam zu Berlin.

Ach wie traurig das wohl wär',

Gäb's dann keine Potsdamer mehr.

Dadraus da muß man sich nichts machen etc.


Er geht ab.


Verwandlung.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 12-16.
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