Zweiundzwanzigster Auftritt.

[68] Agnes allein.


AGNES. Die Füße schmerzen mich – ich kann nicht mehr weiter. Sie lehnt sich ans Brückengeländer. Hier kann ich weinen – hier kennt mich niemand, da ist kein Mensch – der mich beschimpft, mit Füßen tritt! Großer Gott – wird das so fortgehen, werde ich immer ein Auswurf bleiben – verstoßen von den Menschen als eine Verbrecherin – keinen Vater mehr, keine Mutter, keine Seele, die für mich fühlt, keinen Menschen, der mich liebt – Stärkere Tanzmusik oben in dem Hause. Da oben sind sie luftig – da oben tanzen sie und freuen sich des Lebens und ich möchte tief – unten liegen in der Erde. – Sie stützt den Kopf in die Hände und verharrt so einige Augenblicke. – Die Musik verstummt. Von nun an ist nur Verachtung mein Los; wenn mich einer eine Diebin nennt, so werde ich's dulden müssen, so werde ich nichts sagen dürfen, denn ich habe ja keinen Beweis für meine Schuldlosigkeit. – Sie schluchzt heftig. So wird mein Leben sein – ohne Liebe, ohne Ehre auf dieser Welt. Sie richtet sich auf und erblick die Spree. Da unten wäre Frieden für mich – da unten allein. Mit sich kämpfend – sie läuft dem Ufer zu. Wenn mich solch ein Leben erwarten sollte, dann lieber – Gott steh mir bei! Sie seufzt tief auf und läuft dem Wasser zu, nach rechts.


Nr. 10 Melodram.


THEODOR im Ballkostüm unter dem Mantel und Bernhard im Gehrock schreiten über die Brücke.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 68.
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