Erster Auftritt.

[44] Schlicht. Schröpfer.


SCHLICHT sitzt an einem, mit grüner Tuchdecke behangenem, langen Schreibtisch.

SCHRÖPFER steht zur Seite und reicht ihm Briefe und Aktenstücke zum Unterschreiben hin.[44]

SCHLICHT legt alles vor sich auf den Tisch.

SCHRÖPFER. Wie gesagt, nehmen Sie nur meine Freimütigkeit nicht übel, aber es drückt mich schon zu lange.

SCHLICHT. Na, was drückt Sie denn wieder?

SCHRÖPFER. Sie sind einer unserer ältesten hiesigen Advokaten, Herr Rechtsanwalt, aber wenn das so fortgeht, wie jetzt dann werden wir bald weniger zu tun haben, als der Jüngste. – Schartek hat sich zu einer Vorschußzahlung von fünfzehnhundert Talern erboten, solche Leute wirft man nicht zur Türe hinaus.

SCHLICHT. So? Ich soll also die Handlung eines anerkannten Betrügers verteidigen, um Geld zu machen. – Nein, lieber Schröpfer, daß kann Ihr Ernst nicht sein!

SCHRÖPFER. Mit dieser Gesinnung werden Sie aber nie eine einträgliche Praxis bekommen.

SCHLICHT steht auf. Möglich. Aber der Advokat soll nicht seine Kenntnisse dem ersten besten Gauner verkaufen, nicht sein Amt durch Pfiffe und Kniffe und durch Verdrehung der Gesetze entweihen und nicht jede Sache verteidigen, sei sie noch so schlecht, wenn sie ihm nur einen reichlichen Gewinn abwirft. Wir sind dazu da, die Gesetze zu handhaben, aber nicht sie nur bei der Hand zu haben, Mit entsprechender Handbewegung. wenn etwas in dieselbe hineingesteckt wird.

SCHRÖPFER. Wenn Sie nur wenigstens einen Dank, eine öffentliche Anerkennung dafür hätten.

SCHLICHT ist in den Vordergrund gekommen. Die habe ich. Die Reinheit meiner Grundsätze unter allen Umständen bewahrt zu haben, darf ich als die Freude und den Stolz meines Lebens ansehen, und mit dem vollen Gefühle dieses Bewußtseins zahle und danke ich mir selbst. Wenn man einen unschuldig Angeklagten durch seine Bemühungen lossprechen sieht, wenn man eine arme Familie vor den Ränken und hinterlistigen Plänen eines Schurken geschützt hat, wenn die Geretteten mich umringen, die Tränen in ihren Augen beredter sprechen, als alle Worte der Welt, wenn sie für Lebenszeit an uns das Band treuer Anhänglichkeit, das Band reinster Dankbarkeit knüpft, dann denk ich – Er hat wie unwillkürlich an seinem Knopfloch gespielt. kann man ein – anderes Band entbehren.[45]

SCHRÖPFER für sich. Er ist und bleibt der alte. Laut. Da sind auch die Wechsel, die ich eingelöst habe. Er geht in die Kanzlei ab.

BERNHARD kommt durch die Mitte, ohne sogleich von Schlicht, der im Vordergrunde stehen bleibt, gesehen zu werden.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 44-46.
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