Zwölfter Auftritt.

[54] Brand. Agnes.


BRAND der Agnes nicht sieht. Wenn sie kommt, so will ich ihr sagen, daß sie Schmach und Schande über mich gebracht hat, daß sie uns entehrt hat, für immer, daß ich – daß ich nichts mehr wissen will von ihr, daß ich – Er sieht Agnes und fällt ihr um den Hals. Agnes! Agnes! Meine arme Tochter!

AGNES. Vater! Lieber Vater! Ich bin so froh, dich wieder zu sehen, o Gott! Sie betrachtet ihn. Wie du dich in den acht Wochen verändert hast!

BRAND drückt sie an sich. Nicht acht Wochen – Kind – acht Jahre – acht lange Jahre voll Kummer und Sorgen waren es. Er streicht ihr die erbleichten Wangen. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren – sprich, sag' es mir, war wirklich niemand außer dir in dem Zimmer? Hast du vielleicht aus irgend wen einen Verdacht?

AGNES greift sich an die Stirne. Einen Verdacht? Ja, ja – nein, nein – will ich sagen – mein Vater – man soll keinem Menschen etwas Böses nachsagen, wenn man nicht einen Beweis dafür hat.

BRAND. Du hast also doch jemand in Verdacht – sprich – ich beschwöre dich –

AGNES ängstlich. Nein, mein Vater – was glaubst du[54] denn? Ich weiß nichts, als daß mich keine, gar keine Schuld trifft –

BRAND. Du hast was auf dem Herzen, Agnes, ich seh' dir's an, rede, sage mirs, oder ich werde an dir irre. Er ringt die Hände verzweiflungsvoll.

AGNES für sich, kämpfend. Mein Gott! Es kann ja nicht sein – wie sollte denn Herr Bernhard, der stolze, vornehme Mann – und dann – Nein, ich kann ihn nicht anklagen. Laut. Ich weiß nichts – ich weiß gar nichts.

BRAND. Gut, so weiß ich, was ich zu tun habe. – Wer völlig unschuldig ist an einem Verbrechen, und dem dies geglaubt werden soll, der muß irgend einen Beweis für sich haben. Du weißt aber nichts anderes, als zu leugnen. Ich, ein Vater, sage dir daher, du hast gestohlen, gestohlen hast du! – – Du gehörst dahin, wo du jetzt bist – und ich sage mich los von dir – ja – ich – Er kämpft mit sich selbst, eilt auf sie zu, tritt aber plötzlich wieder zurück. Ja! Ja! Ich sage mich los von dir – auf ewig! Er stürzt durch das Eingangstor ab.

AGNES in bitterliches Weinen aufbrechend, eilt ihrem Vater nach und wankt dann, laut schluchzend, in ihre Zelle zurück.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 54-55.
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