9.

[347] Hier ist das edelste Werk getan

Allerlebendigster Kunst: hier ist

Kunst und Natur ganz eins.


Nichts verlor die Natur an die Kunst auf diesen Terrassen,

Die sich ihr fügten, indem sie sie edel

Faßten: Steine aus deinem Kern,

Fels von Fiesole.


Feld und Garten ist eins: es schlingt,

Wachsend aus gleicher Furche mit ihm

Zwischen den üppigsten Halmen des Korns,

Wolluststark sich die Rebe empor,

Keine Räuberin: Geliebte,

Hoch in den Ölbaum.


Alles umarmt sich hier: Rose den Lorbeerbaum,

Efeu die Eiche, die

Nie ihr Blatt verliert.
[347]

Engelwurz flicht sich sanft,

Liebevoll, Schmuck, ins Grün

Steiler, schwarzer Zypressen. Es hängt,

Gleich einem riesigen Bacchusgelock,

Blau der Glyzine Blütentraube

Schwer vom Säulengebälk der Villa.


Iris und Tulpen säumen das Garten-Feld;

Überall Sterne und Glocken im Gras,

Seltsame, feurige: namenlos

Nordischer Zunge.


Nichts scheint wild hier; alles ist Zucht;

Aber es ist die edelste Freiheit.

Dienerin wurde Natur dem Geiste,

Der aus ihrem Geist regiert.


Hier erkannt ich die Kraft

Und die herrliche Ewigkeit,

Hellas und Rom, des Sinns

Eurer Zeiten: hier

Lebt noch die Herrscherin Kunst, die alles

Bindet und hebt und verklärt und den Menschen

Wirklich zum Herren der Erde macht.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 347-348.
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