Das Klapperwerk

[342] Vor meinem Fenster drauß,

Auf dem kahlen Pappelbaum[342]

Sitzt ein Gespenst;

Das sieht scheußlich aus.

Sein Auge, das droht,

Ist innewendig rot,

Sein Maul, das trenst.

Ach, und wies redet und gestikuliert,

Jedwedes Wörtel mit Salbe beschmiert;

Schnappt über auch oft in Gezeter.

Sei nicht so unverschämt, wertes Gespenst;

Siehe, mein Pappelbaum ist kein Katheder,

Und ich bin kein Schulbube, wie du mich kennst.

Hab ich nicht rite hinaus dich geschmissen

Aus meinem Leben, du ledernes Scheuel?

Du bist mir widriger als der Tod,

Und eine Fahne flammfeuerrot

Will ich auf meiner Pappel hissen,

Daß sie dir droht

Und dich bannt, oh du Greuel.

Du bist die gelehrte Kümmerlichkeit,

Armselig weise, krüppelgescheidt,

Die nichts vermag,

Als Nacht und Tag

Dem Leben dekretieren,

Wies blühen soll und wachsen soll

Und ja nicht excedieren.

Macht einer vor Begeisterung

Jach in die Lüfte einen Sprung,

Gleich krähst du miserere,

Thust immer, als ob Gotteswelt[343]

Ein tristes Geometerfeld

Aus graden Linien wäre;

Speist alles an, was freudig ist

Und bist voll eitel Hinterlist

Mit Regeln und mit Fallen,

Und manchen frohen Uebermut

Hat deine kalte Regelwut

Zerdrückt in ihren Krallen.

Du bist der Deutschen Erbgespenst,

Und wenn du dich Professor nennst,

Gleich werden zahm die Kecken,

Und heißt du gar Geheimer Rat,

Muß sich die beste, frohste That

Vor deinem Spruch verstecken.


Wie meinem Zorn ich genug gethan

Sah ich das Ding mir genauer an:

Da wars ein Klapperscheuchwerk nur,

Von einem Geiste keine Spur;

Oh zornige Verblendung!

Indes, mich deucht, wens nicht verdrießt,

Daß er aus dieser Märe liest

Wol eine Nutzanwendung.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 342-344.
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