Faunsmonolog

[350] (Für Maximilian Dauthendey.)


Bin ein alter Faun mit langem, weißem Bocksbart,

Lobe Pan und blase meine grüne Bündelflöte,

Die so süß singt wie der Maienwind im Schilfe.

Sah schon viele, viele hohe Säulen fallen,

Schöne, schlanke Säulen, buntbekapitälte,

Zwischen denen Wein und rote Rosen rankten.


Unter Weingerank und roten Schlingerosen

Liegen nun die glatten, weißen Steinbaumstämme;

Menschenhand erhob sie, Menschenhand zerschlug sie.


Sinne nach, ich alter Faun am braunen Wasser,

Sinne nach, wozu dies wirre Menschgewimmel

Immerfort beklebt, befleckt die bunte Erde,

Immerfort bewegt mit Armen, Beinen, Mäulern

Ewig baut und bildet, schreit und zankt, – und wütig

Niederreißt Gebautes und Geschaffenes. Besser

Dünkt es mir, die leise Flöte blasen, träumen,

Aus dem grünen Gras zum blauen Himmel blicken.


Aber keine Ruhe mehr auf dieser Erde,

Ueber-überallhin dringt ihr wüstes Schrein.

Wäre nicht die laute Menschenarbeitsherde,

Wär es wonnevoll, ein alter Faun zu sein.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 350-351.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)