Nachtwandel zum Glück

[194] Schwül war die Frühlingsnacht, es sang

Die Sehnsucht aus der Nachtigall;

Des Mondes Scheibe, groß und gelb,

Stand über dem Kastanienbusch

Und sog der Erde Atem auf;

Im Wildbach kollerte vom Berg

Gekiesel, unterm Wasser klangs

Wie Glockenläuten. Sonst wars still.[194]

Ich weiß nicht, ob ich schlief; mir war,

Da draußen winkte eine Hand:

Steh leise auf und komm heraus,

Verlaß die Enge, die dich hält,

Geh frisch den hellen Weg der Nacht,

Geh grade aus: es gilt dein Glück.

Es drängte dich schon lange, sieh:

Jetzt zieht es dich. Du mußt! Du mußt!

Mit offenen Armen steht es da.

So.!. Leise ... leise ... komm ... komm ... so!

Das Gartenthor ist aufgeklinkt ...

Nun geh! ...


Und ich ging durch Wies und Wald,

Lief ins Ungefähre;

Sah ein Schloß ich liegen bald

Hinter Mauernwehre.


War die Thüre leider zu;

Ließ ich michs erfrechen,

In des alten Gartens Ruh

Kletternd einzubrechen.


Standen schwarze Tannen rings,

Alte Paladine,

Treppenhoch lag eine Sphinx

Mit verdrossener Miene.
[195]

War verdrossen, weil ihr Bug,

Ungewöhnt, zu tragen,

Einen frechen Reiter trug,

Herrisch und verschlagen:


Amor wars; er zauste sie

Keck am linken Ohre.

Es vertragen Sphinxe nie

Solcherlei Humore.


Und mir schien, der Knabe Gott

Sei hier nicht am Platze.

Hüte dich! Dein nackter Spott

Spürt die Löwentatze!


Hüte dich! In diesem Haus

Ist kein Ort zum Necken.

Schweres Leiden schläft hier aus;

Hüte dich, 's zu wecken!


So dem kleinen Gotte sehr

Ins Gewissen redend,

Ging ich würdevoll umher,

Langsam näher tretend.


Dachte mir: Sprang ich einmal

Ueber Thür und Mauer,

Seh ich auch in Flur und Saal

Mich noch um genauer.
[196]

Stieg die Treppe drum hinan,

Wagte mich zum Thore;

War ein Löwenkopf daran;

Nahm ich den am Ohre.


Klopfte. Bum, bum, bum, bum, bum.

Hört es innen hallen.

Horch: Geschlürfe und Gebrumm,

Dumpfes Thürenfallen.


Kommt wer? ... Nein. Rief da nicht wer?

Wie? »Die Thür ist offen!«

Wie? »Bloß drücken!« Danke sehr!

Und ich steh betroffen:


War ein langer, dunkler Gang,

Gobelinverhangen;

War mir auch ein wenig bang,

Bin ich doch gegangen.


Rechts und links in Blau und Grau,

Teppicheingewoben,

Rittersmann und Rittersfrau;

An der Decke oben


Braun Gebälke tief und schwer;

Nirgends eine Thüre;

Niemand da; all-alles leer;

Niemand, der mich führe.
[197]

Ist das ein Gespensterhaus?

Ward mir ängstlich enge.

Ungemütlich! Schnell hinaus!

Hebt sich das Gehänge:


Eine Thüre thut sich auf

Wie von Geisterhänden,

Eine Treppe führt hinauf

Zwischen bunten Wänden.


Rot und grün und gelb und blau,

Alle Farben sangen;

Rittersmann und Rittersfrau

Reigenketten schwangen.


Eine Falkenjagd dabei;

Vom Dekamerone

Manche gute Märe frei;

Amor auf dem Throne.


Neben ihm ein junges Kind

In der Schönheit Kleide;

Gottseidank, ich bin nicht blind

Solcher Augenweide.


Nacktheit ist mir kein Verdruß,

Danke dem Geschicke,

Daß ich nicht erröten muß

Vor der Schönheit Blicke.
[198]

Also: An dem Throne stand

Neben Amors Gnaden

Nackt ein Fräulein, und das wand

Einen roten Faden


Linde sich wie einen Ring

Um den linken kleinen

Finger. Ach, das süße Ding!

Ihrer Augen Scheinen


Ging mir so lebendig tief

In mein bestes Leben,

Daß ich einen Namen rief,

Der mir Glück gegeben.


Sieh! da hebt ein Teppich sich,

Und es kommt gegangen,

Die in goldene Ketten mich

Lange schon gefangen.


Doch mir wars, ich sähe sie

Heut zum erstenmale;

Sank verliebt vor ihr aufs Knie

In dem bunten Saale.


Ach, wie schön sie vor mir stand

In der gelben Seide;

Lange küßt ich ihre Hand,

Und wir lachten beide.
[199]

Sprach ich: Alles fällt von mir,

Was an mir gehangen,

Seit ich heute her zu dir

Wie im Traum gegangen.


Komm aus einer grauen Welt

Voller Spinneweben,

Und nun seh ich lusterhellt

In ein buntes Leben.


Sprach sie: Denke nicht zurück

An die grauen Tage,

Küß von meinem Mund das Glück,

Das ich in mir trage.


Denn für dich wards mir geschenkt

Von der hohen Güte,

Die zu mir dich hergelenkt.

Dein ist meine Blüte.


Und es sank um uns die Nacht,

Duftgewobene Flöre,

Aus den alten Bildern sacht

Sangen süße Chöre.


Wie zwei Kinder schliefen wir

In das Land der Träume,

Hand in Hand durchliefen wir

Alle Weltenräume.
[200]

Wanderten von Stern zu Stern,

Sahn in alle Weiten,

Sahen selber Gott den Herrn

Durch die Himmel schreiten.


Wanderten von Kuß zu Kuß

Mitten durchs Gebrause

Allen Seins. Zum guten Schluß

Waren wir zuhause.


Wie wir morgens aufgewacht,

Hand in Hand geschlungen,

Hat sie hell mich angelacht

Und ein Lied gesungen:


»Ich weiß im tiefen Walde, ja Walde,

Ein ururaltes Schloß,

Dahin, da will ich reiten

Auf einem weißen Roß.


Komm, spring du in den Sattel, ja Sattel,

Und heb mich hinter dich,

Allein will ich nicht reiten,

Im Walde fürcht ich mich.


Das Schloß ist mein und deine, ja deine,

Und es ist garnicht weit,

Zwei Stunden hinter Mitternacht,

Wo die Schleiereule schreit.
[201]

Ach Gott, wo ist der Schimmel? Ja, Schimmel?

Der ist am Anger drauß.

So laß den Schimmel weiden,

Und wir, wir bleib'n zuhaus.«


Und die Sonne übergoß

Sie mit goldenem Schimmer,

Schöner als das alte Schloß

Schien mir da mein Zimmer.


Ich verstand des Traumes Hand

Und sein weises Führen,

Daß ich, was ich hatte, fand

Hinter fremden Thüren.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 194-202.
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