Jenseits von Gut und Böse

[271] Schwül war der Tag ...

Auch das Gewitter, das aus schwarzer Wolke

Fegenden Regen in das Seegrau goß,

Gab keine Kühlung.

Unbewegt das Laub,

Durstdürr.

Und auch mein Herz war schwül,

Von Sehnsucht schwül nach dir

Und deinem Heißesten.

Und dir auch dürstete das Herz

Und alle Sinne,

Und deinen schmiegeweichen Leib an mich

Hast du gedrängt,

Bittend aus Sehnsuchtsschwüle.


Da sahen unsere Seelen sich nackt in Liebe,

Und segenfeierlich vereinte uns Natur.[271]

Wie im Garten

Des Paradieses, ehe die Schlange sprach,

Also erkannten wir uns wie im Traum

Und waren selig.

Wortelos

Im Arm uns lagen wir und kosteten

Vom Baume holdester Erkenntnis.


Schwül war der Tag,

In Schwüle ging die Nacht.

In segenschwangerer Wolke schwebten wir

Jenseits von Gut und Böse.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 271-272.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)