Das Hochzeitsreisepaar

[408] Die Eheringe glänzen

Mit feuerigem Schein,

Es ist kein einziger Kritzer dran;

Sie sagt: »Mein Herz! Mein Schatz!« – Man kann

Gar nicht verliebter sein.


Auf seine Schulter legt sie

Den Kopf mit Lindigkeit;[408]

Ach könnte man küssen im Coupé!

Indem ich aus dem Fenster seh

Schaff ich Gelegenheit.


Sie essen und sie trinken;

Wie füttert sie ihn zart!

Wer Augen hat zu sehn, der sieht:

Die Liebe stärkt den Appetit.

Dann wischt sie ihm den Bart.


Zu sagen hat sie ihm sehr viel,

Thut höchst geheimnisvoll.

Sie tuschelts leise ihm ins Ohr

Und hält auch noch die Hand davor,

Weils niemand hören soll.


Es muß nicht von fataler Art,

Was sie ihm kündet, sein;

Im Gegenteil, mir scheint, es thut

Dem Braven wundersüße gut

Und geht ihm lieblich ein.


Wie Butter in der Sonne glänzt,

So glänzt sein Angesicht:

Kein Zweifel, er ist sehr beglückt.

Mein Gott, wie er sie an sich drückt!

Unmensch, zerbrich sie nicht!
[409]

Im ganzen muß ich sagen: mir

Scheints etwas deplaziert,

Daß man mir einfach vis-à-vis

So ungemeine Sympathie

Ganz offen produziert.


Mir scheint, es wäre angebracht,

Fürs stille Kämmerlein

Zu sparen diese Zärtlichkeit.

Sie gehn entschieden etwas weit!

Doch will ich nicht so sein:


Die Stunden wehn, die Tage gehn,

Der kritzerlose Ring,

Wie bald wird er zerschunden sein!

Und viel vergeht mit seinem Schein,

Du sehr verliebtes Ding!


Denn eine Hochzeitsreise ist

Die Ehe wirklich nicht.

Da wird der Anschluß oft verpaßt,

Und manche überschwere Last

Macht, daß die Achse bricht.


Drum, junge Frau und junger Mann,

Drückt, küßt euch ohne Zwang!

Gehs euch so gut, wie mir es geht,

Bis daß der Wagen stille steht,

Die ganze Ehe lang.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 408-410.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irrgarten der Liebe
Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon