Eine Parabel vom Mond und dem Riesen

[317] (Für Eduard und Hedwig Thuille.)


Hinter dem Berge

Die tausend Zwerge

Mit den großen Schädeln gescheidt und frech

Lassen wieder gleißen

Im grellen, weißen

Scheine das runde, blinkende Blech.


Gespannt den Bogen!

Die Sehne gezogen!

Ich treffe das blitzende, glitzende Ding.

Was soll das Geblecher!

Zum Abendtrunkbecher

Brauch ich kein zitterndes Flimmergeblink.


Es saust von der Sehne

Der Pfeil, seine Mähne

Wirft rückwärts der Riese und wartet gespannt.[317]

Dann brüllt er: Daneben!

So will ich es heben

Das Ding aus der Höhe mit eigener Hand.


Es soll nicht dort hangen!

Ich will es mir fangen,

Ich will von den Zwergen nichts glitzerndes sehn!

Ich wills ihnen weisen!

Ich will es zerschmeißen,

Klirr soll es in tausend Kleinstücke mir gehn!


Es rannte der Riese

Wild über die Wiese,

Ueber Berge und Thäler, durch Sümpfe und Kot.

»Fort! Fort mit dem Scheine!«

Er brach sich die Beine.

Der Mond hängt noch oben, der Riese ist tot.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 317-318.
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