Dämmerung

[106] Dämmerung mit den milden, grauen Augen

Schreitet über die Erde.

Kühl weht ihr Atem,

Weich und kühl,

Milde wie ruhiger Atemzug

Eines schlummergeküßten,

Backenroten Kindes.

An lauschender Ferne ruhendem Rund

Ein goldenes Glänzen, matt verscheidend,

Zerrinnend in zarten, grauen Duft ...[106]

Oh Ruhe! Ruhe! Gabe der Seligkeit,

Die du auf Flügeln der Dämmerung linde

Vom Himmel niederschwebst, gelinde

Das Herz mit warmem Hauche,

Sorgenscheuchend, rührst;

Oh Ruhe, Frieden, Fülle des Seins!

Heut aus grauen Dämmeraugen

Blickst du mich liebreich an und verheißend,

Und mein Dank schwillt auf im Herzen,

Wie im Auge der seligen Braut

Warme, lachende Thränenflut, –

Aber mein Herz muß an verklungene

Tage höheren Glückes denken,

Da ihm friedevolle Liebe

Gütig fromm entgegenleuchtete

Aus zwei braunen Mädchenaugen,

Sonnen der Liebe.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 106-107.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)