Pulchra ut sol, clara ut lux

[298] In einer Kirche sah ich goldne Statuen

Von Engeln, die auf ihrer Schultern Macht und Pracht

Das Chorgewölbe trugen. Wie aus Griechenland,

Mit klarem Antlitz, rosenkranzgeschmückt,

Goldlockig, edel standen sie und lächelten.


Vier Engel warens, und von goldnen Lettern schien

Aus dämmerigem Dunkel leuchtend dieser Satz:

Pulchra ut sol, clara ut lux.

Ich träumte oft

Von diesen Engeln, und voll Andacht war mein Herz,[298]

Wenn ich die Augen schloß und mir das holde Bild

In seiner strengen Schönheit hell aufsteigen ließ

Und ganz umfaßte. Aber niemals wagt ich es,

An sie zu glauben, ja, ein großes Trauern war

In meiner Seele, daß aus Gold nur oder Stein

Der Künstler solche Schönheit selig bilden kann,

Indes Natur sie ewig strenge uns versagt.


Jetzt ist es anders. Heiter, aller Gnaden voll

Geh ich umher und bin ein selig Wissender,

Und, schließe ich die Augen, denk ich jetzt nicht mehr

An jene goldnen Vier in Kirchendämmerung.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 298-299.
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