11. Die Sage von dem Hosenflecker.

[12] Von Domcaplan und Cammerer Grimm in Rottenburg.


In den Wäldern, die sich von den Haiden an dem Ende der Markung Hüttlingens bis gegen Saverwang und Schretzheim bei Ellwangen hinziehen, da wo die alte Teufelsmauer jezt noch kenntlich ist, hauset seit unvordenklichen Zeiten ein Geist, von dem Volkswitz nur der »Hosenflecker« genannt. Woher dieser Name kommt, ist nicht auszumitteln. Die Sage berichtet: in diesen Wäldern habe vor alten Zeiten ein Jäger gewohnt, ein wüster, gottloser, frecher Geselle, der den friedlichen Wanderern allen Schabernack und Schimpf angethan habe. Zur Strafe für diese Frevelthaten sei er verurtheilt, auch nach seinem Tode ohne Rast und Ruhe als Geist bis zu seiner Erlösung auf dem Schauplatz seiner Lasterthaten zu bleiben. Er ist ein neckischer Geist und hat seine Freude, die Leute irre zu führen, und gelingt es ihm, einen verspäteten Wanderer die halbe Nacht in den Wäldern durch die Kreuz und Quere zu führen, dann zeigt sich seine Schadenfreude durch ein wüstes heiseres Gelächter, das der Wanderer aus den Büschen vernimmt. Bisweilen erscheint er auch in seiner Tracht als Waidmann, eine lange Hahnenfeder auf dem Hut. Am meisten wird sein Zorn erregt,[12] wenn man ihn mit seinem Spottnamen »Hosenflecker« citirt. Das thut man aber nur, wenn man einmal die kleine Johanneskapelle erreicht hat außerhalb des Waldes. Denn da scheint sein Territorium aus zu sein, und er macht seinem unmächtigen Zorn nur durch gewaltiges Rauschen und Schütteln der Bäume mehr Luft. Einstmals wandelte einen Burschen die Laune an, den Geist mit seinem Spottnamen herauszufordern, ehe er die Kapelle ganz erreicht hatte; er mußte aber diesen unzeitigen Spott damit büßen, daß ihn der Geist bis frühe Morgens auf einer Stange festhielt, über die zu schreiten er gerade im Begriffe war. Ein andermal citirte ein Bursche in verwegener Kühnheit den Geist, als er vergebens Feuer für seine Pfeife schlagen wollte. Augenblicklich war der erzürnte Geist mit einem brennenden Scheite zur Hand, das er ihm vor die Nase hielt. Der Mensch kam fast todt nach Hause vor Schrecken. Eine besondere Freude macht es ihm, verliebte Paare zu schrecken, die sich bei ihrem Heimweg verspätet haben. Einmal äußerte ein solches Paar den Wunsch: in einer Kutsche nach Hause zu fahren. Augenblicklich war eine Chaise mit Pferd und Bedienung da; ehe das Paar von seiner Ueberraschung sich erholen konnte, wurde es in den Wagen genöthigt, und nun ging es die ganze Nacht über Stock und Stein, bis beim ersten Hahnenruf Roß und Kutsche bei dem Braunenbäumlein bei Aalen stille hielt. Viel zu kämpfen mit dem Geiste hatte ein kühner Bursche, der in seiner Jugend in einem Dörflein wandelte, wobei er das Bereich des Geistes zu passiren hatte. Einmal forderte er von dem Herrn des Waldes, seinen Durst zu stillen, und hatte die Unvorsichtigkeit, ihn bei seinem Spottnamen zu citiren. Da erschien der Jäger im höchsten Zorn mit einem Fäßlein, aus dessen[13] Spunten ein feuriges Naß sich ergoß, und warf dann den muthwilligen Jungen mit solcher Gewalt in den Graben, daß er in der Frühe elend zugerichtet nach Hause wankte. – Gegen gute Leute, die den Weg betend zurücklegen, hat er keine Gewalt; vielmehr hat er solchen schon manche Dienste geleistet. – Holzfrevlern ist er auch nicht hold, denn er scheint dies als einen Eingriff in seine Forstgerechtigkeit zu halten.

Seitdem die Wälder in jener Gegend mehr und mehr gelichtet werden, zieht er sich mehr und mehr zurück und erscheint seltener.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 12-14.
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