153. Der Ochs am Bodensee.

[107] In Wolfs Zeitschr. I. S. 439 mitgetheilt von E. Meier, und mündlich.


In Oberschwaben fütterten die Bauern ehedem ihre Ochsen dergestalt, daß sie eine ungeheure Größe erreichten. Da behagte es einmal einem solchen Ochsen nicht mehr in seinem Stalle; er brach aus und lief fort, bis er an den Bodensee kam. Da stuzte er eine Weile, besann sich aber nicht lange, sondern spazierte in das Wasser hinein und nahm bei jedem Schritt einen Schluck zu sich, und das ging so fort, bis er durch den ganzen See hindurchgegangen war und er auf der[107] andern Seite am Schweizerufer wieder herauskam. Da hatte er so nebenbei im Gehen den ganzen See ausgetrunken. Nun dachte der Ochs, er wolle sich doch auch die Schweiz ein wenig ansehen und ging hinein. Wie er nun einmal stille stand und sich die fernen Berge ansah, kam ein mächtiger Vogel und sezte sich auf das eine Horn des Ochsen. Nach einer Weile schüttelte der Ochs ganz ruhig nur ein wenig seinen Kopf, worauf der Adler fortflog und sich auf das andere Horn setzen wollte. Bis er dies aber erreichte, brauchte er nicht weniger als zwei volle Stunden. Da kann man sich wohl denken, was das für ein großer Ochs gewesen sein muß.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 107-108.
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