445. Die Strietemer Urschel.

[284] Mündlich.


In Oßweil bei Ludwigsburg geht die Sage von der »Strietemer Urschel«. Sie kommt den Neckar herauf als blaues Flämmchen bis zum großen Birnbaum hinter dem Dorf, in der Nähe des Kirchhofs. Da hält sie sich auf von Mitternacht bis gegen Morgen zur Frühglocke; geht wieder neckarabwärts, von wannen sie gekommen. Der Bergfritz von Oßweil sagte mal Abends in der Kâz, er wolle die Urschel citiren, wer sie sehen wolle. Mehrere Leute stach die Nasweisigkeit, gingen mit unter den Birnbaum. »Strietemer Urschel komm«, rief der Bergfritz und murmelte vor sich hin ein Zauber- und Banngebetlein. Wie der Blitz flog blau Flämmchen vom Neckar herauf und war da. Man sah wahrhaftig nichts von der Urschel, als dies klein blau Flämmlein, es war mitten unter ihnen drinn und blieb da. Der Bergfritz hub wieder an: »So Urschel, jezt kannst wieder gehen!« Blau Flämmchen ging wieder den Neckar nab. Allen kruselte es und jeder stahl sich so schnell er konnte in's Dorf hinein heim.

Mal stahl Einer Birnen auf dem Baume, stieg hinauf. Wie er wieder herab will, da trat er auf etwas. Aber, o Schrecken, eine himmelhohe Gestalt stand unter dem Baume und hatte eine Art Wachstuchhut auf, so hoch, daß er bis[284] an die Aeste hinanreichte. Der droben wagte nimmermehr herabzusteigen, bis gegen Morgen bei der Betglocke die Gestalt mit dem Hut verschwand242.

242

Einen Wachstuchhut hat auch der Töst bei Rochholz A.S. I. 176. J.V. Zingerle S. 145. 147. 177. 352.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 284-285.
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