§ 12. Des Volkes Unterschied.

[29] Nach der obigen Aufzählung der deutschen Volksstämme, welche sich in unseren Gauen bleibend niedergelassen und somit[29] als unsere Ahnen erscheinen, muß ein Unterschied in der heutigen Bevölkerung noch vorhanden sein, mehr oder minder auffällig, in der einen oder anderen Weise, wenn wir auch zugeben werden, daß jene Stämme im Laufe der Zeit sich verschmolzen haben, zu einem großen Ganzen zusammengewachsen sind. Ein Urtheil hierüber darf aber nur mit Vorsicht gesprochen werden. Die Mundart allein reicht nicht aus; denn niederdeutsche Juthungen haben schwäbische Mundart angenommen. Nur in Verbindung mit Sitte und Sage kann sie entscheiden.

Die Mundart selber ist eine gemeinsame, ein Zweig der oberdeutschen. Aber sie zerfällt gleichfalls nieder in Unterarten, welche eigenthümliches Gepräge haben. Darnach gehören Elsaß und alamannische Schweiz zusammen, also ganz Alamannien links des Rheines. Das ist merkwürdig, daß diese Aehnlichkeit gerade in jenen Strichen vorhanden, welche die Alamannen zuletzt besetzten, als sie von den Burgunden aus den Thälern des unteren Mains vertrieben worden; die Vermuthung, daß Elsäßer und alamannische Schweizer die Nachkommen der vertriebenen Alamannen des Unter-Mains seien, hätte damit etwas für sich. Auch sonst im Lande findet sich diese Unterart einzeln zerstreut. Hier kommt aber zu erwägen, daß nach dem Schwedenkriege, welcher in Würtemberg allein die Zahl der Bewohner von 400000 auf 50000 gemindert hatte, viele Schweizer in das entvölkerte Land einzogen, auch Tausende aus den entlassenen Kriegsvölkern sich niederließen.

Eine weitere Eigenthümlichkeit weist die Mundart Oberschwabens auf. Hier mögen die Juthungen hausen. Einer solchen Annahme kommt die Sage zu Hilfe; denn gerade hier finden wir die Wassersage reich vertreten. Die Juthungen aber kommen von der Ostsee. Das sogenannte Niederschwaben hat eine eigene Mundart für sich; hier ist der Kern der alten[30] Alamannen zu suchen. Ein kleines Gebiet bilden Schwarzwald und Breisgau.

Bayerisch-Schwaben endlich zerfällt gleichfalls wieder in zwei Mundarten, wovon die eine im Allgäu gesprochen wird. Schönwerth hat wohl die bayerischen Schwaben im Sinne, wenn er diese den Oberpfälzern näher stellt. Es wird zumal von den Allgäuern zu gelten haben. Wer aber sind diese? Sollten es Hermunduren sein, die zu Tacitus Zeit, den Römern in Vindelikien befreundet, häufig über die Donau nach Augsburg kamen? Burgunden wären um den Burgau zu Hause.

Wie dem sei, es ist anziehend, diese Frage der Abstammung auch nur anzuregen, auch nur Vermuthungen aufzustellen. Der Unterschied steht zu Tage. Das Räthsel liegt nur in dem Warum?

Das Eingesprenge in diese weiteren Felder bilden die »besonderen Leute«, so geheißen, weil sie etwas Absonderliches an sich tragen, und dieses mit Vorliebe pflegen. Es sind gewöhnlich nur kleinere Ortschaften, wo solche Sonderart bemerkt wird.

Als eigene Leute gelten die Leute in der Göge und Saulgau bis Scheer hin, welche, das Fremdartige scheuend, nur unter sich heirathen und in ihrer Mundart einen eigenthümlichen Wortschatz bewahren.

Dann jene zu Oberheudorf, mit singender Sprache, dunkler Gesichtsfarbe, nach der Sage von Zigeunern abstammend.

Ferner die Steinlächer bei Tübingen, ein schöner, großer, schlanker, blonder Menschenschlag, wie man glaubt, schwedischen Blutes.

Die Lützenharter Thalbewohner zeichnen sich durch ihre Größe und Wildheit aus.

In Hirschau bei Tübingen ist ein kleines Völkchen zu Hause, plumpfüßig, stumpfnasig, dickhalsig, ausdruckslos. Die Haare[31] sind blond. Wie man den Passauern nachsagt, können auch sie kein s aussprechen. Deßgleichen zu Horb bei Rottenburg.

Das Verzeichniß solcher Völker-Inseln könnte noch sehr erweitert werden. Besonders wären jene einer eingehenderen Untersuchung werth, welchen zigeunerischer Ursprung zugesprochen wird. In Altbayern ist bei Garmisch, in der Oberpfalz bei Velburg eine solche Niederlassung der Zigeuner von Sepp und Schönwerth verzeichnet. Es wäre wohl der Mühe werth, diese beide Gegenden mit der um Oberheudorf zu vergleichen. Sind es Kelten oder Slaven?

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. XXIX29-XXXII32.
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