39. Sitte am Lichtmeßtag.

[19] Ehedem, jezt nicht mehr, fand auf der Leutkircher Haide im Wurzachischen die Sitte statt, daß am Lichtmeßabend Nachbarn und Verwandte einander besuchten. Die Mutter des Hauses, wo man gerade zusammentraf, gemäß der Verabredung, war zugleich auch die Läderin zu diesem Abend. Sie hatte schon so viele Lichtlein gegossen, als Leute zusammenkamen. Waren Alle da, so zündete man die der Reihe nach aneinander gesteckten Lichtlein an. Alle Lichtlein mußten gleich groß sein. Man kniete jezt nieder und betete laut einen Psalter. Jedes wußte sein Licht, indem alles vorher abgetheilt worden. Man sah nun mit wahrer Spannung den flackernden Lichtlein zu. Wessen Licht am längsten brannte, der lebte lange; wessen Licht bald abbrannte, dem war nicht viel Lebenszeit mehr gegönnt. Leute aus dieser Gegend haben einen festen Glauben daran und lassen sich's nicht nehmen: es sei noch allemal richtig so gewesen.

Auch aus Weilheim (Tuttlingen) ist dieser Brauch bekannt. Dort befestigen Kinder auf einem Brettchen mehrere Lichtlein, beten herumkniend einen Rosenkranz. Jedes hat[19] sein Lichtlein. Wessen Licht zuerst ausgeht, muß zuerst sterben.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 19-20.
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