51. Das Faßnachtküchlein im Kloster Sießen, oder der Gesellenzug.

[24] Mal gingen mehrere Gesellen des edlen Handwerkerstandes aus Saulgau von Wolfertsweiler heim. Zwischen Wolfertsweiler und Sießen bemerkten sie einen Brand im Kloster, eilten herzu und halfen die Sache glücklich löschen. Dafür wurde ihnen vom Kloster das Faßnachtküchlein versprochen. Die Sitte, das Faßnachtküchlein zu holen, wurde von da an mit besonderer Feierlichkeit begangen. Am Sonntag nach Dreikönig versammelten sich die Gesellen in einem Wirtshaus in Saulgau; es durften aber nur ledige sein. Man wählte vier Platzmeister und aus diesen wieder einen Oberplatzmeister, einen Ober- und einen Unterfähndrich. Jeden Sonntag bis zur Fastnacht zogen die Gesellen im großen Zug durch die Stadt mit Trommeln und Pfeifen. Die Platzmeister hatten schwarze Mäntel, wie sie noch vor kurzer Zeit bei Leichen und jetzt noch bei Prozessionen theilweise getragen werden. Zwei liefen vornen, zwei hinten. Wenn man vor dem bestimmten Wirtshaus ankam, hielt der Zug, und der Oberplatzmeister that einen Spruch, Abdankung geheißen: »Dieweilen wir auf den heutigen Tag einen Faßnachtstag und Umzug gehalten haben, so wollen wir keinen neuen nicht machen und keinen alten nicht abgehen[24] lassen, und sodann ist unser Herr Wirt zugegen; er hat zwei-, dreierlei Bier, Wein und Branntwein im Keller liegen, und wenn das eine Faß nicht mehr lauft, so wollen wir ein anderes anstechen. So dank euch Gott aller Ehren.« Nach diesen Worten fing Trommel und Pfeife wieder an, und vor dem Wirtshaus tanzte, was nur immer tanzen konnte, ob zu den Gesellen gehörig oder nicht. Die Wahl des Ober- und Unterfähndrichs geschah durch's Schlagen; der, welcher am meisten Kanten schlug, wurde Fähndrich; es war ein Ehrenamt, weil das Fahnenschwingen beim Zuge eine Hauptsache war. Die Fahne wurde überall da geschwungen, wo der Nachtwächter zu rufen pflegte, vor der Kirche, vor des Bürgermeisters Haus etc. Endlich am Fastnachtdienstag Morgens ging der Zug nach Sießen: 30-40 Gesellen. Droben angekommen, ging's drei Mal um den Brunnen herum, wobei der Fähndrich eben so vielmal die Fahne über seinen Kopf und über den Brunnen schwang. In Sießen selber mußte dieses Schwingen alle zehn Schritte geschehen. Alsdann ging's in des Klosters Handwerkerlokal zum Faßnachtküchle. Eine Masse Küchlein und Kanten Wein wurden aufgetragen, jedem Gesellen vier; Messer und Gabel durfte keiner gebrauchen, wiewol sie dalagen, bei Strafe, und man ließ sich's herzlich schmecken. Man trank die Gesundheit der Frau Priorin und Subpriorin, sowie der Frau Ober- und Unterschaffnerin und dem ganzen Convent. Der Platzmeister hielt einen bogenlangen Spruch, wo alle Verdienste des Klosters hervorgehoben wurden. Hierauf die Abdankung. Nach der Rede brachte eine Klosterfrau einen wunderschönen Strauß auf einem Teller für den Platzmeister. Zuletzt wurde der Hanswurstel in Gegenwart aller Klosterfrauen und des Beichtvaters durchgeprügelt zum allgemeinen[25] Ergötzen. Sein Amt war, mit einer ausgestopften, armlangen ledernen Wurst die Leute aus dem Weg zu treiben. Am Fastnachtsonntag vorher erschienen die Klostermägde in Saulgau in dem Wirtshause der Gesellen, mußten mit denselben tanzen und wurden zechfrei gehalten. Zwei Abgesandte mit Trommel und Pfeife holten sie halbwegs ab und begleiteten sie wieder.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 24-26.
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