53. Die Trommelgesellen und das Brunnenspringen in Munderkingen.

[30] Mehrere Wochen vor der Fastnacht beraten sich die ledigen Bursche Munderkingens, 30-40 an der Zahl, über die Art und Weise, wie sie den Fasching zubringen wollen. Werden sie über das Trommelwesen und das Brunnenspringen einig, so wählen sie ein Wirtshaus, in welchem sie ihre Zusammenkünfte halten. Diese finden schon vor der[30] Fastnacht statt behufs der vielen Besprechungen, die zu halten sie für nothwendig finden. Die Bursche, welche sich dieser Gesellschaft anschließen, nennt man Trommelg'sellen, weil sie zum Aufspielen nur zwei Musikanten haben: einen Trommelschläger und einen Pfeifer. Unter den Trommelgesellen wird gewählt: ein Ober- und Unterg'selle; alle übrigen sind »Trommeng'sellen«. Jeder Trommeng'sell hat einen großen Schleppsäbel. Mit diesem umgürtet, gehen die Gesellen während des Carnevals öfters um die Stadt, mit Trommel und Pfeife an der Spitze des Zuges. Dies geschieht nun auch namentlich zu nächtlichen Stunden; vor jedem Hause, an welchem die »Tromme« vorüberzieht, hängt alsdann eine Laterne. Die Trommengesellen schleppen ihre Säbel entweder rasselnd auf der Straße nach, oder die Nebengesellen fechten während des Gehens mit den blank gefegten Säbeln so miteinander, daß die Waffen vornehmlich ein starkes Geklirre und Blitzen verursachen.

Jeder Trommeng'sell muß ein »Trommenmädle« haben. Dazu wählt er seine Schwester oder eine Verwandte, in den meisten Fällen aber seinen Schatz. In den letzten drei Tagen, d.i. am Fastensonntag, Montag und Dienstag wird von den Trommengesellen und Trommenmädchen das jedesmalige Mittags- und Nachtmahl im Wirtshause eingenommen und bei Trommel und Pfeife getanzt. Je ein Trommeng'selle führt ein Trommenmädchen, an dem kleinen Finger haltend, und so ziehen sie paarweise durch die Stadt. Der Hauptumzug findet jedoch an einem der letzten Fastnachtstage statt. Hier erscheinen die einzelnen Paare in verschiedenem Costüme: Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Fischer und Fischerin, Schäfer und Schäferin, Bauer und Bäurin, Schnitter und Schnitterin, Russe und Russin, Türke und[31] Türkin etc. im Zuge. Trommler und Pfeifer sind mit goldbortirtem Fracke nach altem Zuschnitte, Schnallenschuhen, kurzen Hosen und großem, preußischem Hute, der quer auf dem Kopfe sitzt, bekleidet.

Nach diesen Umzügen, Beratungen und Abstimmungen, nach vielem Essen und Trinken rückt endlich der Aschermittwoch heran. Nach dem Vormittagsgottesdienste trommeln einige Trommeng'sellen auf kupfernen Becken mit Kochlöffeln die Trommeng'sellen in ihr Wirtshaus zusammen, wo nochmals ein gemeinschaftliches Mahl gehalten wird. Vor oder nach demselben werden durch Abstimmung aus ihrer Mitte zwei Gesellen gewählt, welche in den Brunnen springen müssen. Das Brunnenspringen findet gewöhnlich Nachmittags 2 Uhr statt, wozu sich eine Menge fremder Gäste im Städtchen ansammelt. Diejenigen zwei Gesellen, die in den Brunnen springen müssen, sind in weiße Hosen und weiße Spenzer gekleidet und tragen entweder eine rothe Kappe oder einen mit langen Bändern geschmückten niedern Hut und eine Schärpe um die Lenden. Einer dieser zwei Brunnenspringer kommt in der Mitte aller übrigen Trommeng'sellen vom Wirtshaus in Prozession unter Trommelschlag und Pfeifen beim Marktbrunnen an, steigt auf das Brunnengeschäl, tanzt nach Trommel und Pfeife auf demselben drei Schleifer und einen Hopser, während von mehreren Bräuknechten das Wasser mit Schapfen in Wallung gebracht wird. Nochmals wird eingehalten: der Trommeng'sell bringt in längerer Rede, mit Scherzen gewürzt, Lebehoch aus auf die Deputation, den Stadtrat, den Stadtvorstand, den König, den Kaiser, und endlich auf seinen Schatz; er leert nach jedem Ausrufe sein Gläschen Wein, das ein nebenstehender Kellner wieder auffüllt, während Trommler und Pfeifer einen Tusch aufspielen.[32] Nach dem letzten Zuge wirft er sein Gläschen in die Höhe unter die zuschauende Menge und – springt in den tiefen Brunnen. Zwei Bursche, die besonders dazu bestellt sind, ziehen ihn sogleich wieder heraus. Er rennt dann unter die Menge, macht sie naß, küßt einige Mädchen und läuft so schnell als möglich in sein Wirtshaus, um sich umzukleiden. Nun wird von den Gesellen der zweite Brunnenspringer abgeholt, in Prozession zum Brunnen begleitet, dieser von den Gesellen umstellt und alles Andere wie vorhin ausgeführt6.

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Diese Faschingsbelustigung mag etwa bis zum Schlusse der dreißiger Jahre angedauert haben. Der damalige Stadtpfarrer machte ihr ein Ende.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 30-33.
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