59. Die Fastnacht zu Ertingen.

[43] Die drei aufeinander folgenden Donnerstage vor der Fastnacht (von denen der aũserig, aũselig, glumpig Donnerstag der lezte ist) nennt man Gabeln. Der erste heißt die erste Gabel u.s.w. An den Gabelabenden wird in den Häusern gezecht, wo die Kameradschaften (»Banden«) der ledigen und verheirateten Männer zusammenkommen. Diese Zechgelage nennt man »Schürwecken«, weil die »Hexen« mit ihren Schürgabeln zum Feuerschüren da zusammenkommen, und an der Fastnacht selbst ziehen diejenigen als Hexen im Dorf herum, welche beim Schürwecken waren. Anderswo nennt man diesen Schmaus »Schiedwecken« (Riedlingen), hier wäre es so viel wie Abschiedstrunk. Zum Schürwecken bringt man gebettelte und gestohlene Eier und Schmalz zusammen, um einen Pfannenkuchen daraus zu backen, welcher[43] in erstaunlicher Menge genossen wird. Die Fastnachtsnarren heißen in Ertingen schlechtweg »Hexen«, und kleiden und gebärden sich in Allem, wie man in Ertingen sich die Hexen in ihrem Treiben vorstellt. Die Bursche ziehen alle blos weibliche Kleider, und zwar alter Weiber Kleider, an, mit Ausnahme des »Bocksreiters«, der eine phantastische Grenadiertracht besizt und den Hexenzug anführt. Die Hexe hat auf dem Kopf eine Rad-oder »Pompadushaube«, einen Schienhut oder eine Nudelhaube, schwarzen Rock, blauen Schurz und blaues Wamms. Das Gesicht ist mit einem Tuch verhüllt. Die Hexen reiten auf einer »Kuzengabel« (Schür-Ofengabel), auf Besen, oder tragen Pfannen mit Schmalz umher, um die Vorübergehenden anzurußen. Alle Andern, die keine Pfannen haben, tragen große Geißeln (Peitschen), mit denen sie aus Leibeskräften »schnellen« (knallen). Truppweise rennen diese Hexen unter schrecklichem Geheul im Dorfe herum und belästigen Jedermann. Am Aschermittwoch wird die Fastnacht in Gestalt eines alten Weibes begraben, zu welcher Feierlichkeit in den benachbarten Orten geladen wird. Am Morgen früh laufen eine Menge Hexen unter entsetzlichem Geheul und Jammern umher, um die Fastnacht zu suchen, bis sie dieselbe irgendwo liegen finden. Jezt wird ein großes Klaggeheul erhoben, wo die Manieren der Weiber köstlich verhöhnt werden. Am Nachmittag wird die Fastnacht feierlich in eine Mistgrube begraben, nachdem sie ein langer Leichenzug auf einer Mistbärre im Dorf umhergetragen hat. Die Fahnen werden aus Schürzen, die an Besen geheftet sind, gemacht, und die Uebrigen tragen Haken und Schaufeln. Zum Leid tragen die Leidleute weiße Schürzen, ein Witzbold macht den Pfarrer und hält in Reimen eine Leichenpredigt, bei der sich das Publikum[44] halb todt lacht, während die Leidleute nach der Größe des Gelächters heulen. Endlich wird die Hexe Fastnacht »verlochert«. An der Fastnacht ißt man in jedem Haus die »Fahsnethenn«, welche der Pfarrer vordem bezog, und wie der Ammann von Ertingen eine solche von der Abtissin von hl. Kreuzthal alle Fastnacht verehrt bekam.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 43-45.
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