1. Ursprung120.

[253] Weil das Reichsgotteshaus Weingarten auf das Jahr 1090 am Freitag nach dem Feste der Himmelfahrt Christi, der damals auf den 31. Mai fiel, durch eine feierliche Uebergabe[253] von der Königin Juditha, Herzog Guelph des IV. Gemahlin, das hl. Blut empfangen, so wurde dieser Tag zum Andenken dieser unschätzbaren Schenkung und zur Ehre dieses kostbaren Wertes unserer Erlösung von dieser Zeit an mit der Prozession gefeiert, die hernach von Jahr zu Jahr dergestalt angewachsen und so prächtig geworden, dergleichen man nicht bald an andern Orten zu sehen bekommt. Die Menge der Wallfahrer und Zuseher ist so groß, daß die ganze Nachbarschaft kaum erklecket, sie unterzubringen und ihnen Unterhalt zu verschaffen.

Die Zeit, in welcher diese Prozession durch lauter Reiter um die nahe gelegenen Felder herum angefangen, ist eigentlich nicht mehr zu bestimmen, weil die vielen Veränderungen, Feuersbrünste, Kriegsunruhen und andere Unglücksfälle unserer Neugierde die Urkunden davon entrissen. So viel ist gewiß, daß schon im Anfange des 16. Jahrhunderts dieser Ritt als eine von Alters her übliche Gewohnheit im Schwung gewesen. Es sind noch zwei Briefe vorhanden, der eine vom Jahre 1529 den 5. Mai, der andere den 14. Brachmonat 1546 geschrieben, worin sich nach der damaligen Mundart die »Gotzlüth beklagen, das niemand von Ravensburg, welche Stadt damals wegen der Reformation in voller Gährung war, um das heilig Blut durch die Stadt zu fieren gebethen habe, wie der Breuch von Alther her gewesen. Auf das seyn sie Freytags hin gegen der Stadt, zu dem Bild in der holen Gassen geritten, und darnach gegen dem Kammerbriel und das ganze Feld um, wie von Alther her. Es seye auch kein Mensch von Ravenspurg mitgeritten noch gangen. Der Landrichter sey selbs mitgeritten, und sonst gar viel Volk, das sie der[254] von Ravenspurg nit bedurft haben«, woraus zu sehen, daß diese Prozession damals schon lange üblich und zahlreich gewesen, auch der Zug durch die Reichsstadt Ravensburg gegangen sei.

120

Fortsetzung des Wunderwirkenden, auf dem Calvarienberg entsprungenen Gnadenbrunnens. Altorf-Weingarten 1778, Anhang.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 253-255.
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