326. Um die Henne reiten.

[386] »Heut wird's um die Henn' geritten,« sagen die Hohenstatter (schwäb. Alb), wenn eine Hochzeit ist. Seit uralten Zeiten hat sich bis heutzutage dort die Sitte erhalten, daß an einem Hochzeittage nach der Kirche um die Henne geritten wird. Die Braut muß aber von auswärts sein, wenn die Sitte statthaben soll. Während des Gottesdienstes stellen sich droben im Ort beim Bettelhaus eine Anzahl lediger Bursche zu Pferd auf; kommen die Brautleute aus der Kirche heraus, so gibt ihnen einer, der dort wartet, das Zeichen, und im schnellsten Hurrah reiten sie heran, und wer der erste ist, erhält vom Bräutigam eine Belohnung in Geld.

Früher scheint eine Henne oder ein Hahn als Preis gegeben worden zu sein162.

162

Ich theile auch hier eine einschlägige Stelle von des oben erwähnten W. Reynitzsch Buch mit. S. 351 ff. heißt es: Auf der Hochzeit reitet oder lauft man nach der Henne und dem Hahn, ein uralter Brauch. Die jungen Pursche, am zweyten Hochzeitstag – oder dem Kraut- und Fleischtag, – auch der Rocken- oder Brauttag genannt – reiten oder laufen, beym Haus des Bräutigams aus dem Haus der Braut. Der zuerst ankommt, empfängt eine mit Bändern geputzte Henne. Von dort geht's im vollen Lauf zurück zum Bräutigam und dort bekommt der erst eintreffende einen geputzten Hahn oder Gökher.

Henne und Hahn spielen bei derlei Gelegenheit eine nicht unbedeutende Rolle. Eine Reihe bildlicher Redensarten gibt es; die Henne geht in Wald, – in's Bad, – bis an die Kirchmauer, – fliegt aber nicht über die Mauer; – trägt den Handlohn auf dem Schwanz – und hühnert fort. »Ist die Henne mein, gehören mir die Eier.« »Trittst du mein Huhn, wirst du mein Hahn.« »Wenn die Henne nicht mitscharrt, gewinnt der Hahn nichts.« »Wenn die Henne zum Hahn kommt, vergißt sie ihre Jungen.«

Bezieht sich auf die Leibeigenschaft. Ist die Frau leibeigen, so wird's der Mann und werden's die Kin der. Reynitzsch 353. Hillebrand 40. 41. 49. 86. 28. 93. Grimm Rechtsalterth. 376.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 386.
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