336.

[393] In Igersheim bei Mergentheim war ehedem und ist jezt noch theilweise am Hochzeittage die Sitte des »Kränzlestehlens«. Die Braut ist den ganzen Tag nicht sicher, die ledigen Bursche lassen sich's unermüdlich angelegen sein, mit irgend einer List das Kränzlein zu bekommen. Der Bräutigam ist deßhalb fortwährend ganz wachsam und läßt kein Auge von der Braut verlaufen. Ja, sogar hinter dem Tisch und Fenster ist sie nicht sicher. Es wurden schon oft Leitern angelegt, die Scheiben eingedrückt und so der Brautkranz geraubt. Hat eine Braut das Unglück gehabt, am Hochzeitstage ihn zu verlieren, so geht das Gerede noch lange von ihr.

In meiner Heimat, in Oberndorf, Poltringen etc. sehen es die ledigen Bursche darauf ab, die Braut zu entführen. Und man thut sich etwas zu gut darauf, die Sache hinter dem Rücken des Bräutigams auszuführen. Man nimmt die Braut in die untere Stube, zecht mit ihr, bis endlich der hintergangene Bräutigam es merkt, Umschau hält und sie wieder auf den Tanzboden bringt.

In Wildbad ist es schon vorgekommen, daß man die Braut vor dem Altare wegstahl, mit ihr den ersten Tanz that, wofür der Tänzer von der Brautjungfer auf bedecktem weißem Teller das Brauttüchlein überreicht erhielt.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 393.
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