10.

[100] Ich habe ferner bereits gesagt, daß die Veranlassung zu heftigen Leidenschaften uns gerecht dünken muß, wenn diese Leidenschaften den gehörigen Eindruck machen sollen. Ich wiederhole diese Bemerkung hier, ehe ich zu den Beyspielen übergehe, die ich von erhabenen Leidenschaften zu geben gedenke. Daß ich diese Beyspiele lieber aus dramatischen Dichtern nehme, darüber habe ich mich schon in der Vorrede erklärt.

Es ist bemerkt, daß diejenigen Leidenschaften, und ihre Thaten, die die zweyte Art vom Gefühl des Erhabenen in uns erzeugen sollen, sich auf [100] Schmerz und Gefahr beziehen müssen, wenn sie dies Gefühl erwecken wollen.

Mächtige Furcht in andern erregt gewiß das gedachte Gefühl der Selbsterhaltung sehr lebhaft. Im Trauerspiel Makbeth hört Makbeth, nach dem Morde am Dunkan, eben da ihn seine Gemahlinn verläßt, ein Pochen; er stürzt auf, und ruft aus:


Whence is that knocking?

How is 't with me, when every noise appals me!


»Was ist das für ein Pochen? – Wie ist's mit mir, wenn mich jedes Geräusch blaß macht!«


Die ganze fünfte Scene in dem dritten Akte dieses Trauerspiels kann uns all' das Erhabene, das der Schrecken in uns zu erzeugen vermag, lehren. Ich würde aus diesem Trauerspiel mehr als ein Beyspiel nehmen können, wenn es sonst der Raum gestattete. Ich schränke mich auf einige Stellen ein. Makbeth hat den Banko ermorden lassen; – er giebt ein groß Gastmahl, – die Gäste sitzen, – Makbeths Stuhl ist leer, – er hat eben den Mörder des Banko abgefertigt, – nähert sich dem Tisch – Rosse bittet ihn, sich zu setzen, und er ruft starrend:


The table's full!


»Der Tisch ist voll.«
[101]

Man zeigt ihm seinen Platz, (denn keiner sieht den Geist des Banko, als er) er hört aber auf keinen mehr, sondern setzt hinzu:


Which of you have done this?


»Wer von euch hat das gethan?«


Dann wendet er sich an den Geist:


Thou can 'st not say I dit it: never shake

Thy goary locks at me.


»Du kannst nicht sagen, daß ich es that; schüttle nicht deine blutige Locken gegen mich.«


Zu seiner Gemahlinn, die ihm Vorwürfe macht, sagt er:


Pr'y thee see there!

Behold! look! loe how say you?


»Bitt' dich, sieh her! sieh! schau! he, was sagt ihr?«


Dann zeigt er mit dem Finger auf den Geist.


Why, what care I, if thou can 'st nod, speak too –


»Wie? was frag ich darnach? wenn du winken kannst, sprich auch!«


Hierauf verschwindet der Geist; – Makbeth nähert sich seinem Stuhl; – er muß, (obwohl aus eigner Bewegung) Banko's Gesundheit ausbringen; und der Geist steigt von neuem empor:
[102]

Avannt! quit my fight! let the earth hide thee:

Thy bones are marrowless; thy blood is cold;

Thou hast no speculation in those eyes

Which thou dost glare it.


»Weg! aus dem Gesicht! daß die Erde dich verberge! Deine Gebeine sind ohne Mark; dein Blut ist kalt; du hast keine Sehkraft in diesen Augen, mit welchen du mich so anstarrest.«


Wiel. Uebersetzung.


Seine Gemahlinn sucht ihn bey den Anwesenden zu entschuldigen; aber er hat nichts, als den Gegenstand seines Schreckens vor sich:


What man dare, I dare

Approach thou like the rugged russian bear,

The arm'd rhinoceros, or Hyrcanian tyger,

Take any shape, but that, and my firm nerves

Shall never tremble; or be alive again,

And dare me to the desart with thy sword;

If trembling I inhibit, then protest me

The baby of a girl. Hence horrible shadow,

Unreal mock'ry hence! Why so – be gone!


»Was ein Mann darf, darf ich auch. Erscheine wie ein Bär, wie ein gewaffneter Rhinoceros, wie ein hyrkanischer Tiger; nimm welche Gestalt du willst, nur nicht diese; und meine Nerven sollen nicht zittern! Oder lebe wieder auf, und fodre mich zum Zweykampf in die Wüste; wenn ichs dir zitternd abschlage,[103] so nenn mich eine Kinderpuppe. Weg, scheußlicher Schatten, blendend Schreckbild, weg! Wie, so – fort!«


Der Geist verschwindet; und Makbeth setzt sogleich hinzu:


I am a man again –


»Ich bin wieder ein Mann« – und nun bittet er auch seine Gäste, sitzen zu bleiben. –

Ich habe mich bey dieser Scene lange aufgehalten; und konnte noch einiges hinzusetzen, das gleichsam den Nachtrab des Schreckens ausmacht; aber ich will nicht gern zu weitläuftig seyn. Ein Kommentar über diese Stelle könnte allen jungen Dichtern lehrreich werden, die eine solche Situation zu behandeln haben. Im Anfang stößt Makbeth nur einzelne, wenige Worte heraus; mit jedemmale sagt er etwas mehr; aber sein Schrecken bleibt in jedem Worte lebendig. Seine Leidenschaft, aufs höchste aufgebracht, erhält so gar Zusammenhang in seinen Worten; er kann nichts anders sagen, als was sich auf Banko's Geist bezieht. Wie er nachdenken kann, zeigt sich die Verwirrung desto größer in seinen Reden:


It will have blood, they say; blood will have blood etc.


»Es will Blut haben, sagen sie; Blut fodert Blut u.s.w.«
[104]

Man bemerke ferner, daß Makbeth mit den schrecklichsten Ungeheuern lieber zu thun haben, als den Mann sehen will, dessen Mörder er geworden ist. Doch ich enthalte mich fernerer Bemerkungen, da ich hier nicht zeigen will, wie man den Schrecken behandeln müsse, um ihn wahrhaft zu behandeln; aber ich empfehle das Studium dieser Scene, und des ganzen Trauerspiels allen Dichtern, die uns zugleich das Erhabene dieser Art lehrreich machen wollen. Wer anders, als ein wirklich Strafbarer, kann so fühlen, so sprechen? – Daraus sehe man, wie nützlich dies Erhabene gemacht werden könne, wenn man solche Charaktere zu behandeln hat.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 100-105.
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