12.

[148] Ich versprech' es, mich bey dem Erhabenen, das in uns durch andre Leidenschaften erzeugt werden kann, weniger, als bey dem vorhergehenden zu verweilen.

Longin, und nach ihm Home haben es der Furcht und der Betrübniß, und der Englander besonders der Rache (Vol. I. Ch. 4.) abgesprochen, daß sie nicht erhabene Leidenschaften in uns erzeugen können; aber, indem Home eben daselbst beweist, daß das vom Longin gewählte Beyspiel (die berühmte Ode der Sapho) seiner Lehre widerspreche: so kann ich ihm selbst einen seiner Landsleute, den Burkes entgegen setzen. Es ist bekannt, daß sich ein Theil der Schrift dieses letztern über den Ursprung unserer Begriffe vom Erhabenen und Schönen, auf die Behauptung gründet, daß alles, was die Leidenschaften der Selbsterhaltung in uns erregt,[148] das Gefühl des Erhabenen dadurch in uns erzeuge; und ich glaube, daß Verzweifelung, Angst, Entsetzen, Reue, Wuth, und so gar Betrübniß dies in uns eben so gut vermögen, als ich es von Furcht, Schrecken, Rache und Raserey gesagt habe. Die Meynung des Home scheint aus einem Irrthum herzukommen, der schon im neunten Abschnitt widerlegt ist. –

Es ist Verzweifelung im Othello, die sich ganz, nachdem er die Unschuld seiner von ihm ermordeten Gattinn erkannt hat, seiner bemeistert, wenn er zum Gratiano sagt, der ihn jetzt entwaffnen lassen will:


Lo! I have a weapon:

A better never did itself sustain

Upon a soldier's thigh. I've seen the day,

That with this a little arm, and this good sword,

I've made my way through more impediments,

Than twenty times your stop. But, oh vain boast!

Who can controul his fate? 'Tis not so now.

Be not afraid, though you do see me weapon'd;

Here is my journey's end, here is my butt,

The very sea-mark of my outmost fail. –

Do you go bak dismay'd? 'tis a lost fear.

Man but a rush against Othello's breast,

And he retires. Where should Othello go?

Now – how dost thou look now?

(Indem er auf die ermordete Gattinn sieht)

Oh ill-star'd Wench!

Pale as thy smoke! When we shall meet at compt,

[149] This look of thine will hurl my soul from heav'n.

And fiends will snatch at it.Cold, cold, my girl,

Ev'n like thy chastity.O cursed Slavs!

Whip me, ye devils

From the possession of this heav'nly sight;

Blow me about in Winds, roast me in sulphur,

Wash me in steep-down gulfs of liquid fire –

Oh, Desdemona! Desdemona! dead! dead! oh! oh!


Othello Act. V. Sc. 9.


»Seht! ich hab ein Gewehr; ein schöneres hieng niemals an eines Soldaten Hüfte. Ich habe den Tag gesehen, da ich mit diesem kleinen Arm, und diesem guten Degen mir durch mehr Hindernisse einen Weg machte, als zwanzig solche Wächter wie ihr seyd. Aber, o eitle Prahlerey! Wer kann über sein Schicksal Meister werden? Es ist nun ein anderes. Erschrecket nicht, ob ihr mich gleich bewaffnet seht; hier ist das Ende meiner Fahrt, hier ist mein Ziel, die äußerste Marke, die mein letztes Seegel noch erreichen kann. – Tretet ihr erschrocken zurück? Es ist eine vergebliche Furcht: Zücket nur ein Schilfrohr gegen Othellos Brust, so wird er sich zurück ziehen. Wo sollte Othello hingehen? Nun – (er sieht auf Desdemonen) – wie siehst du nun aus? Unglückliches Geschöpf! wie bleich! Wenn wir vor Gericht zusammen kommen, wird diese[150] Mine, die du hast, meine Seele vom Himmel herabschleudern, und Teufel werden sie auffangen. – Kalt, kalt, mein Mädchen; kalt wie deine Schönheit! – O verfluchter Sclave! Peischt mich, ihr bösen Geister! peischt mich vom Genuß dieses himmlischen Anschauens hinweg; zerstäubt mich in die Winde, röstet mich in Schwefel, wascht mich in bodenlosen Schlünden von flüßigem Feuer. – O Desdemona! Desdemona! todt! todt! oh! oh!«

Wiel. Uebersetzung.


Ich habe die ganze Rede des Othello hergesetzt, (obgleich nur der letztere Theil derselben eigentlich Lebhaftigkeit genug hat, um als ein Beyspiel der Verzweifelung gezeigt werden zu können,) damit ich die Gelegenheit erhalte, es anzumerken, daß der Dichter nicht mit einemmal, nicht ohne Veranlassung den Othello in diese Verzweifelung gerathen läßt. Es ist eigentlich der, an seiner unschuldigen Gemahlinn verübte Mord, welcher ihn in diese Verzweifelung stürzet; und er ist daher, ehe er eben auf die todte Desdemona sieht, weit ruhiger, als nachdem er sie nun erblickt, und beschauet. Die abscheulichen Verwünschungen seiner selbst brechen nicht ehe aus, als bis er wieder, auf das[151] lebhafteste, an seine rasende Eifersucht erinnert worden ist. –

Ich werde eben noch aus dem Shakespear ein Beyspiel nehmen, um zu zeigen, daß so gar Gewissensangst in uns erhabene Ideen hervor bringen kann, wenn sie gut behandelt wird. Die That nämlich, die jetzt das Gewissen ängstigt, muß mit ganzem Recht dies Gewissen ängstigen. Und der Thäter muß diese Angst empfinden, und äußern, und ihr doch nicht unterliegen wollen; vorausgesetzt, daß sein Charakter Lebhaftigkeit und Ehrgeiz genug hat, und überhaupt in solchen Situationen sich befindet, um nicht ganz unterliegen zu dürfen. Die ganze dritte Scene im fünften Aufzuge des Trauerspiels vom Makbeth, so verschiedene Wendungen sie auch hat, ist nichts, als der lebendigste Ausdruck eines gepeinigten Gewissens. Schon ist das Engländische Heer, mit dem rechtmäßigen Erben von Schottland (Malkolm) in diesem Königreich angekommen, um den grausamen Makbeth zu züchtigen; es hat seinen Weg gegen den Birnamwald genommen, und Makbeth sein Lager zu Dunsinan aufgeschlagen: zwey Oerter, von welchen die Zauberinnen gesagt hatten


Macbeth shall never vainquish'd be, untill

Great Birnam wood to Dusinane's high hill

Shall came against him. –


Act. IV. Sc. 2.
[152]

»Makbeth soll niemals überwunden werden, wenn nicht der große Wald von Birnam, auf die hohen Hügel von Dusinan zu, gegen ihn anzieht.«


Hier sehen wir ihn nun, mit einem Arzt, und einigem Gefolge auftreten, indem er sagt:


Bring me no more reports, let them fly all;

'Till Birnam wood remove to Dusinane,

I cannot taint with fear. What 's the boy Malcolme?

Was he not born of Woman? Spirits that know

All moral consequences, have pronounc'd it:

Fear not Macbeth, no man that 's born of woman,

Shall e'er have power upon thee. – fly false Thanes,

The mind I sway by, and the heart I bear,

Shall never sagg with doubt, nor shake with fear.


»Bringt mir keine Zeitungen mehr, laßt sie alle fliehen! Bis der Birnamwald sich nach Dusinan bewegt, kennt Makbeth keine Furcht. Was ist der Knabe Malkolm? Ward er nicht von einem Weibe geboren? Geister die den ganzen Zusammenhang der sterblichen Begegnisse kennen, haben so ausgesprochen: Fürchte nichts, Makbeth! keiner der von einem Weibe geboren ward, soll jemals Gewalt über dich haben. – Flieht ihr abtrünnigen Thane! – – Der Geist, der mich beherrscht, das Herz, das mich befeuert, kann nie von Zweifeln wanken, nie von Furcht erschüttert werden.«
[153]

Es scheint auf den ersten Augenblick, als wenn es nichts weniger, als Gewissensangst sey, welche aus dem Makbeth rede; und doch ists, wenn man besonders den ganzen Zusammenhang des Stücks sich denkt, nichts anders, als eben diese Angst, die sich so ganz seiner bemächtigt hat, daß sie, wenn er kühn und gesetzt erscheinen will, ganz allein aus ihm spricht. Er nimt den Ton eines Zuversichtlichen nur an, um diese Angst desto besser zu verbergen. Es ist eine alte Bemerkung, daß die Furcht oft die Sprache der Kühnheit führt, entweder um sich dadurch zu verstecken, oder um in sich selber Muth hinein zu reden. – Doch, was man hier noch nicht deutlich genug davon sieht, wird man in dem Verfolg der Scene sehr gewiß entdecken. Indem Makbeth noch fortredet, tritt ein Bedienter herein:36
[154]

The Devil damn thee black, thou cream-fac'd lown:

Where got'st thou that goose lock?

SERV. There are ten thousand –

MACB. Geese, villain?

SERV. Soldiers, Sir –

MACB.

Go, prick thy face, and over red thy fear,

Thou lilly-liver'd boy. What soldiers, patch?

Death of thy soul! those linnen cheeks of thine

Are counsellors to fear. What soldiers, wheyface?

SERV. The English force, so please you.

MACB.

Take thy face hence – Seyton! I'm sick at heart,

When I beholdSeyton! I say – –

– – – – – – – – – – – – – – –

I have liv'd long enough; my way of life

Is fall'n into the fear, the yellow leaf:

And that which should accompany old age,

As honour, love, obedience, troops of friends,

I must not look to have: but in their stead,

Courses not loud but deep, mouth-honour, breath,

Which thee poor heart would fain deny, and dare not.


Enter Seyton.


[155] SEYT. What is your gracious pleasure?

MACB. What news more?

SEYT. All is confirm'd, mylord, which was reported.

MACB. I'll fight, 'till from my bones my flesh is hacked. Give me my armour!


Die Wuth, mit welcher Makbeth den Bedienten anfällt, ehe dieser noch spricht, charakterisirt, auf die vortreflichste Art, die Angst, die in ihm ist. Man weis es, daß diese Leidenschaft, so wie alle heftige andre Leidenschaften, beym ersten Anreize ausbricht. Beym Makbeth ist es die zweydeutigste Sache von der Welt, die ihn in Bewegung setzt; der Bediente konnte, auch andrer Ursachen wegen, blaß aussehen; und es ist wahrscheinlich, daß er gar nicht blaß aussahe, weil, nach dem eigenen Zeugnisse des Makbeth, ihn seine Anhänger und Bedienten nicht so sehr liebten, als daß sie für ihn in Furcht hätten gerathen sollen. Aber sein böses Gewissen zeigte ihm in allen, was er sah und hörte das, was er in sich selber hatte. Die Wuth selbst bezeugt, wie gern er sich in andre Leidenschaften versetzen, und von aller Angst loßmachen will; er jagt den Bedienten fort, um nicht länger einen Gegenstand vor sich zu haben, der solche so lebhaft in ihm erweckt hat, und ruft den Seyton, seinen Vertrauten, um sich zu trösten. Aber ehe noch Seyton kommen kann, fällt sehr natürlich diese[156] künstlich erregte Wuth, weil die Veranlassung dazu fort ist, ganz nieder; und Makbeth sinkt in die gewöhnliche Verfassung eines geängsteten Bösewichts herunter, der jetzt noch weniger Gutes sich verspricht, und um sich her sieht, als vielleicht wirklich da ist. Ich muß es noch bemerken, daß Makbeth nicht zuerst durch diesen Bedienten die Ankunft des Engländischen Heeres erfuhr, und daß daher diese Nachricht allein ihn nicht in so heftige Wuth gesetzt haben würde, wenn er nicht jede Gelegenheit hätte ergreifen wollen, sich von seinen innern Gefühlen loßzureißen. – Selbst die Prophezeyungen der Zauberinnen, so vorteilhaft er auf sich solche auslegte, und so glücklich zweydeutig sie, um ihn zu beruhigen, auch waren, konnten nicht seine Angst stillen. Er nimmt sie zu oft vor sich, und betrachtet und wiederhohlt sie zu vielfältig, um nicht dadurch zu bezeugen, daß er in sich selbst etwas trage, und sprechen höre, das sie alle widerlege; und ich könnte hievon, wenn ich einen Kommentar über dies vortrefliche Trauerspiel schreiben wollte, sehr viel Beweise geben. – – Wie Seyton komt, fragt Makbeth ihn so gleich nur nach Neuigkeiten: ein neuer Beweis von dem Zustande seines Gewissens; und wie er vom Seyton die Bestätigung der alten Nachrichten erhält und sich dadurch von aller Errettung von seinem Gericht, das er mit dem Engländischen[157] Heer über ihn zu kommen, innerlich fürchtet, abgeschnitten sieht, bricht seine innre Angst von neuem in Wuth aus. Diese äußert sich auch nur in so fern anders, als Seyton sein Vertrauter, und nicht sein Bedienter ist. Er nimmt seine Zuflucht zu seinen Waffen, und sucht äußern Schutz für innre Feinde: eine Verwechselung, die nur zu sehr natürlich; – und umgekehrt die Eigenschaft eines großen, so wie hier eines höchst elenden Mannes ist. – Man höre ihn weiter!

Seyton antwortet ihm, als er seine Waffen fodert:


'Tis not need yet!37

MACB. I'll put it on:

Send out more horses, skirre the country round,

Hang those that talk of fear. Give me mine armour.


Man sieht, daß er sich nicht, auf die Vorstellung des Seyton, abreden lassen will, sich zu bewaffnen. Er konnte nicht; denn wo hätt' er sonst seine Zuflucht hinnehmen, wo hätt' er nun Trost suchen sollen? denn seine Angst in ihm ist so mächtig, daß er auch die hängen lassen will, die nur von Furcht reden. Indem er diese Furcht rund um sich[158] herum ausrotten will, denkt er ihrer selbst loß zu werden. Und wie sehr er wirklich sie in sich fühlt, ist die wiederholte Foderung seiner Rüstung. Denn wenn auch dies zugleich Begierde zum Kampf anzeigt: so ist diese Begierde eigentlich nichts, als der Wunsch, der Angst loß zu werden. Ein innerlich ruhiger, und nicht gequälter Mann würde den Augenblick besser abmessen können, in welchem die Zubereitung zur Schlacht nöthig ist. –

Man hat gesehn, daß Makbeth einen Arzt mit auf das Theater gebracht hat; aber dieser kann wahrscheinlich, nach Makbeths eigener Vermuthung, ihm so wenig Tröstendes zu sagen haben, und Makbeth selbst ist, durch sein eigenes Gefühl, so sehr auf andre Gegenstände und Vorstellungen geführt worden, daß er nicht ehe, als bis er so zu sagen muß, den guten Doktor anredet:


How do 's your patient, doctor?38

[159] DOCT.

Not so sick, Mylord.

As she is troubled with thick-coming fancies,

That keep her from her rest.

MACB.

Cure her of that!

Canst thou not minister to minds diseas'd,

Pluck from the memory a rooted sorrow,

Raze out the written troubles of the brain;

And with some sweet oblivious antidote,

Cleanse the full bosom of that perilous stuff

Which weighs upon the heart.


Wenn keine der vorhergehenden Stellen die innre Verfassung des Makbeth von der Seite gezeigt hätte, von welcher ich sie bis jetzt angesehen habe: so würde diese hier uns diese Seite, auf die hellste Art, sichtbar machen. Was der Arzt hier an seiner Gemahlinn heilen soll, das fodert er, indem er zwar sie nur nennt, zugleich für sich mit; und nur deswegen klagt er sich eben derselben Krankheit nicht an, einmal, weil sein stärkerer Geist noch nicht ihren Aeußerungen so sehr untergelegen war, als der schwächere Geist der Königinn, und dann, weil ein offenbares Geständniß von einem solchen Zustande so viel schändliches mit sich führt, und seinen Angelegenheiten so sehr schaden konnte, daß wir dies billig nicht von ihm erwarten können. Der Ton, mit dem er von der ganzen Sache spricht, und, da der Arzt ihm versetzt, daß in solchen Zufällen der Kranke sich selber helfen müsse, die Antwort, die er ihm hierauf giebt:
[160]

Throw physick to the dogs, I'll none of it


»Wirf deine Arzneyen den Hunden vor; ich will keine davon«


beweisen diese Anmerkung noch mehr. –

Makbeth fährt in der Folge der Scene fort, seine Waffen zu federn, und zu versichern, daß er weder Tod noch sonst etwas fürchte; beydes sind Wiederholungen, daß er nur zu gewiß alles fürchtet, was nur zu fürchten ist. Natürlich artet solch ein Zustand, in einem Menschen von Makbeths Charakter und Temperament, in Fühllosigkeit, und endlich in Verzweiflung aus. Es ist sehr bekannt, daß, unter immerwährendem Druck und Beklemmung, das Leben, so zu sagen, wegstirbt; und die Stelle ist, meines Bedünkens, zu vortreflich, in welcher Shakespear es bestätigt, daß aus fortdauernder Furcht endlich Unempfindlichkeit werde, als daß ich sie nicht mitnehmen sollte. In der Scene, worinn wir das nächstemal den Makbeth wieder sehen, hört er ein Geschrey; er fragt was es ist? und als man ihm antwortet, es seyen Weibsleute, welche schreyen: so sagt er:


I have almost forgot the taste of fears:

The time has been, my senses would have cool'd

To hear a shriek, and my fell of hair

Would at a dismal treatise rouse and stir

As Life were in't. I have supt full with horrors,[161]

Direness familiar to my slaught'rous thoughts

Cannot once start me.


»Ich habe die Furcht ganz verlernt. Die Zeit ist vorbey, da mich der Schrey einer Nachteule schauern gemacht, und meine Haare sich in die Höhe gerichtet und bewegt hätten, als ob Leben in ihnen wäre. Ich habe mit Schreckgespenstern zu Nacht gegessen: das Entsetzlichste ist mit meinen blutigen Gedanken so vertraulich geworden, daß es mich nicht mehr erschrecken kann.«


Wenn ich es mir erlaubt hielte, weiter den Charakter des Makbeth aus einander zu setzen, und seine innre Geschichte zu entwickeln: so würden sich noch manche Bemerkungen über seinen Zustand machen lassen, die vielleicht nicht ohne Nutzen wären. Vielleicht wird aber jetzt ein junger Dichter aufgemuntert, diese Bemerkungen selbst im Shakespear aufzusuchen; und da wird ihm dann auch die Gemahlinn des Makbeth Stoff zu einer reichen Erndte von Anmerkungen geben können. – Dies sind ungefehr die Bemerkungen, die ich über das Erhabene, das durch verschiedene Leidenschaften in uns erzeugt wird, hier dem künftigen Romanendichter habe mittheilen wollen, damit er nicht Leidenschaften ungenützt lasse, die er, zur Unterhaltung seiner Leser, so vortheilhaft gebrauchen kann.[162] Ich wiederhol' es, daß ich damit nichts gewollt, als ihn erinnern, daß wir mit Theilnehmung, auch für andre Dinge, als Liebhaber und Liebhaberinnen geschaffen sind, und daß es Unrecht ist, immer auf Liebe und Liebe allein den Grund eines Romans aufzuführen. Zwar haben wir schon aus- und einländische Werke dieser Art, in welchen die Liebe nicht die Hauptrolle spielt (z.B. den Tristram Shandy, Sebaldus Nothanker u.a.) aber diese Werke sind so höchst selten, und Liebe und Roman sind so genau verbundene Ideen, daß die Anmahnung wohl nicht zu viel seyn kann, diesen eben angeführten Beyspielen noch mehr zu folgen. Und wenn in ihnen nun gerade auch nicht die zuvor berührten Leidenschaften sich gebraucht fanden: so sind diese nur deßwegen hier bemerkt und aus einander gesetzt worden, damit die, in den Romanen zu gebrauchenden Materialien, desto mehr allen Romanendichtern einleuchten mögen. Denn –

Die Anwendung der, aus dramatischen Dichtern, genommenen Beyspiele wird dem Romanendichter, für sein Werk, sehr leicht seyn. Das Shakespearsche Trauerspiel umfaßt, wie gedacht, einen Raum und Zeit, welche bis jetzt nur unsre erzehlende Werke einnehmen können. Und Shakespear hat die Leidenschaften so vortreflich, so wahr behandelt, daß ich, da sich Gelegenheit fand, diese[163] Behandlung zum Theil aus einander zu setzen, auch deßwegen diese Beyspiele aus ihm genommen habe. Denn, wenn man auch diese und ähnliche Leidenschaften nicht brauchen wollte, oder könnte: so läßt sich doch, aus der Shakespearschen Behandlung derselben, so viel Brauchbares, für die Aufführung andrer Leidenschaften, folgern, daß der Romanendichter, auch nur aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, manches aus ihnen lernen kann. Und in der Schilderung der Leidenschaften findet sich unter uns, und besonders in Romanen, noch immer so wenig Wahres; und der Romanendichter dürfte leicht glauben, daß er, um diese Wahrheit zu lernen, nicht zu dem dramatischen Dichter seine Zuflucht nehmen dürfe, daß dieß eine zweyte Ursache war, auch diesen, auch den erzehlenden Dichter, auf das Studium eines so großen Meisters zu führen. –

Aber warum sollte der Romanendichter nicht eben so gut, wie der tragische Dichter, auch auf die Erregung und Ausbildung unsers Mitleids, denken? – Daß es diese Leidenschaft vorzüglich verdiene, wird sich in der Folge mehr ergeben. – Wir können in dieser Welt nicht immer alles thun, um unsre Mitmenschen von ihrem Leiden, von ihrem Unglück zu befreyen, (eine Pflicht, die uns vor allen andern obläge; denn darum nur sind wir Menschen) aber die Mittel sind in unsrer Gewalt,[164] immer richtig für sie zu empfinden, immer Theil an ihren Schicksalen, auf eine gerechte Art, zu nehmen. Und wenn diese Theilnehmung schon einen großen Trost dem Leidenden gewährt; wenn er sich erleichtert fühlet, auch wenn er nur einem bösen Nachbarn39 sein Leiden klagen kann; und wenn diese Theilnehmung nun nicht in allen Menschen so bereitwillig entsteht, oder auf die Art entsteht, wie sie billig sollte (eine Sache, wovon Jeden die Erfahrung überzeugt): warum sollte nicht auch der Romanendichter, zur Anbauung dieser Leidenschaft, das Seinige beytragen? – Oder wären die Gränzen seiner Kunst so enge, daß er es nicht kann? Man sagt, nur gegenwärtiges Leiden erregt unser Mitleid; und schließt daraus, als ob wir die Personen selbst, handelnd vor uns sehen müßten, wenn dies Mitleid in uns erregt werden sollte. Daß der Grad des Mitleids durch die Gegenwart der Personen erhöhet werde, versteht sich wohl von selbst; aber der Romanendichter wird, wenn er sich nur nicht auf das bloße, kahle Erzehlen der Vorfälle einschränkt, die Illusion so weit treiben können, daß wir immer noch vom Mitleid so viel empfinden, als zur Ausbildung desselben nöthig ist. Beyspiele beweisen es. Wer bemitleidet[165] nicht, auf die lebhafteste Art, die unglückliche Clementina? –

Nur theile der Romanendichter, nach weisen Absichten, seinen Personen ihre Leiden zu! Ich habe über dieser Zutheilung schon vorher einen Wink gegeben. Die Personen sollen, in des Dichters kleiner Welt, (eben so wie in der größern, wirklichen) zu ihrer Besserung, zu ihrer Vervollkommung leiden. Er soll seine Strafen, sein Unglück ausspenden, wie die Vorsicht es ausspendet; und wie die Gesetzgeber billig es sollten, wenn sie es könnten, – die Menschen besser dadurch zu machen. Das Leiden, um des Leidens selbst willen, und um die Leser angenehm damit zu unterhalten, ist, in einem Werke, worinn der Dichter Zeit und Raum hat, höhere Absichten haben zu können, – eine so ungereimte, so unedle Erfindung, als irgend eine. Und diese Zeit, diesen Raum hat der Romanendichter. Mit der Anordnung seines Werks verträgt sich jene Besserung. In der Folge mehr hiervon. Es versteht sich aber, daß hier die Rede von einer wahren, einer Menschen anständigen Besserung ist, die sich nicht aufs Aeußere dieses Menschen einschränkt. –

Eben so ungereimt würde es seyn, einen Menschen ohne Verdienst, ohne Anlaß leiden zu lassen, – eben aus dem Grunde, der vorhin schon angeführt[166] worden. Das hieße einem Muley Ismael ins Handwerk fallen, und nachahmen wollen. –

Man folgere, aus allem, was ich gesagt habe, nicht etwann, als ob ich aus dem Roman ein bloßes tragisches Werk machen wolle? dies würde gerade mit meinen Begriffen im Widerspruch stehen. Ich habe nur die Leidenschaft des Mitleids auch hier in ihre Rechte einsetzen, und mehrere Quellen dazu so wohl, als überhaupt für den Roman anzeigen wollen, aus welchen der Dichter schöpfen könne, um seine Leser zu vergnügen40. –

Ich habe auch nicht alle Leidenschaften, die Mitleid in uns erwecken, indem sie zugleich das Gefühl der Selbsterhaltung erregen, hier anzugeben, vermeynt. – Nur eins will ich noch hinzusetzen.

Man ist gewohnt, vorzüglich das für Erhaben zu erklären, was irgend eine Erhebung über das, was gewöhnlich Eindruck macht, anzeigt. Zufolge dessen sollte nun ehe die Person, die mitten in ihren Leiden unbeweglich bleibt, die sie nicht fühlt, oder[167] nicht fühlen will, für erhaben erklärt werden. Aber wenn der Mensch billig das seyn soll, was zuerst ihn Natur, und dann Grundsätze und Pflicht zu seyn fodern: so sind diese vermeynten Erhabenheiten, wahre romantische Erhabenheiten. – Auch der Dichter würde bey diesem Tausch verlieren. Denn jene Erhebung erregt bloß Bewunderung; und das Kalte dieses Gefühls ist genug bemerkt, und allgemein bekannt.

36

Daß dich der Teufel schwarz räuchere, du milchsuppiger Bengel! Wie kommst du zu diesem ganßmäßigem Aussehn?

BED. Zehn tausend –

MAKB. Gänse, Schurke?

BED. Soldaten, Gnädigster Herr –

MAKB. Geh, streich dein Gesicht vorher roth an, du weißlebrichter Bube! Was für Soldaten, Lumpenhund? daß du verdammt wärest! deine Wangen von weißem Tuch rathen uns Furcht an. Was für Soldaten, Molkengesicht?

BED. Die engländische Armee, mit eurer Erlaubniß.

MAKB. Fort! Aus den Augen! – Seyton! – Ich werde krank, wenn ich sehe – – Seyton! sag ich – Ich habe lange genug gelebt; mein Leben ist nach und nach ins Welken herabgesunken, in gelbes Laub, und das was das hohe Alter begleiten sollte, Ehre, Zuneigung, Gehorsam, Freunde, an das darf ich nur nicht gedenken: alles was ich dagegen zu erwarten habe, sind Flüche, nicht laut, aber desto tiefer, leere Complimente, Athem, den das arme Herz gerne versagen wollte, wenn es dürfte.

Seyton kommt.

SEYT. Was ist euer gnädigster Befehl?

MAKB. Was giebts Neues?

SEYT. Es hat sich alles bestätiget, was berichtet worden ist.

MAKB. Ich will fechten, bis mir das Fleisch von den Knochen abgehackt ist; gebt mir meine Waffen!

37

SEYT. »Es ist noch nicht nöthig.

MAKB. Ich will sie anlegen. Schickt mehr Reuter aus, stöbert die ganze Landschaft durch, laß die Schurken, aufhängen, die von Furcht reden. Gieb mir meine Rüstung.«

38

MAKB. »Was macht eure Patientinn, Doktor?

DOKT. Gnädigster Herr! ihre Krankheit besteht hauptsächlich in schwermüthigen Einbildungen, die sie in ihrer Ruhe stören.

MAKB. So heile sie davon! Kannst du die Schmerzen eines kranken Gemüths nicht stillen, einen eingewurzelten Kummer aus dem Gedächtniß ziehen, die eingegrabenen Unruhen des Gehirns ausglätten, und den überladenen Busen von diesem gefährlichen Unrath reinigen, der das Herz beklemmt?«

Wiel. Uebersetzung.

39

Sophocl. Phil. v. 201–205.

40

Wenn der Romanendichter seine Personen, in seinen Leidenschaften, selbst redend, einführen will: so findet sich in den Elements on Crit. im 17ten Kap. (nach der ersten Auflage) und im 2ten Theil der Mendelssohnschen Schriften, so viel Lehrreiches, daß ich nichts kann, als ihn dahin verweisen.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 148-168.
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