15.

[177] Ich komme zu demjenigen unsrer Gefühle, welches weit dauernder als das Gefühl fürs Erhabene, und eben so allgemein, und noch allgemeiner als das Gefühl für die sanftern Tugenden ist. Mit dieser Allgemeinheit verbindet es einen sehr hohen Grad von Anziehendem, das nicht sowohl in seiner Natur, als in denen damit verbundenen Leidenschaften liegt.

Wenn ich sage, daß der hohe Grad des Anziehenden nicht sowohl in der Natur der Liebe selbst liege: so will ich erstlich nichts anders sagen, als daß der Gegenstand dieser Leidenschaft sie veredle oder erniedrige, je nachdem er selbst edel oder niedrig ist. Wenn die Liebe des nachherigen Gemahls der Pamela noch irgend etwas Anziehendes hat, so ists, weil er die Pamela liebt. In dem geadelten Kaufmanne des Brandes ist nichts abscheulicher, als Rutlers Liebe zu der so genannten Baronessinn. Sie macht den Mann vollends lächerlich42. Hiezu[177] kommen noch andre Verhältnisse. Der Grad, in welchem wir die Liebe empfinden, – ihr Einfluß auf unsre übrigen Handlungen, – und die Umstände, unter welchen wir ihr dienen, entscheiden von ihrem Werth, und machen sie in den Augen des unparteyischen Zuschauers entweder zum niedrigsten oder zum sanftesten Geschäft des Lebens. Wenn Antonius, sowohl in der Geschichte, als in dem bekannten Trauerspiel des Dryden, in seiner Liebe zur Cleopatra so weit geht, daß er seinen Ruhm, seine Provinzen, seine Gattinn selbst aufopfert, und sagen kann:


One look of hers (Cleopatra's) would thaw me into tears

And I should melt till I were lost. – etc.


so scheint er, rechtmäßig, als ein elendes Schlachtthier all ihrem Altar zu fallen. Aber wie gern, mit wie vieler Theilnehmung sehen wir einen Tellheim eine Minna lieben! In den mehresten französischen Trauerspielen ist die Liebe höchst lächerlich, weil oft unter Tod und Leichen der Held sich mit seiner Liebe nur beschäftiget. Doch alle diese besondern Einschränkungen thun noch nichts zur Sache, als daß sie die Liebe größtentheils nur vor der Gleichgültigkeit, oder gar vor der Verachtung des Zuschauers schützen. Das, was eigentlich in diesem eine so angenehme Theilnehmung erregt,[178] sind die mit ihr verknüpften Hoffnungen von großer Glückseligkeit, und die Vorstellung des peinigenden Kummers, der dem unglücklich Liebenden zu Theil werden kann. Daher hat sie einen so mächtigen Reiz, der beynahe bis zum Erhabenen geht, in der Geschichte der unglücklichen Clementina. Und die süßen Träume von künftiger Glückseligkeit, die entzückenden Hoffnungen, womit sich alle Liebhaber, vor dem Besitz ihrer Geliebten, unterhalten, als ob ihnen jene Freuden durch diese zugeführt werden würden, sind es, die den Leser so sehr hinreißen. »Der Dichter aber, sagt ein Engländischer Philosoph, der zwey Verliebte vorstellte, die in vollkommener Sicherheit sich ihre gegenseitige Zärtlichkeit einander beschreiben, würde Gelächter, aber keine Sympatie erwecken.« Die Praxis der Dichter aller Jahrhunderte beweist die Richtigkeit dieser Anmerkungen. Es wäre traurig, wenn gleich mit dem Hochzeittage alle Liebe aufhören sollte; es kann so gar in den ganz ersten Zeiten der nähern Verbindung nach, ein höherer Grad von Entzuckung und Zärtlichkeit in der Natur statt finden, und ich habe – aber freylich wenige Beyspiele davon gesehen; indessen wurden diese Entzückungen, wenn sie der Dichter auch mit seiner ganzen Kunst höchst wahrscheinlich zu machen gewußt hätte, dennoch für den Zuschauer gewiß verloren[179] seyn; und nicht, weil solche Vorstellungen, ihrer Seltenheit in der Natur wegen, nie Wahrscheinlichkeit genug erhalten könnten; denn es liegt nicht in der Natur der Liebe, daß sie so selten gesehen werden, es liegt in der Natur der Verbindungen, und in denen Personen, die sich verbinden; – aber der Zuschauer würde sie deßwegen nicht nach fühlen können, weil er eigentlich nicht durch diese Entzückungen, sondern durch die, mit ihnen verknüpfte Furcht oder Hoffnung in Bewegung gesetzt wird: zwey Leidenschaften, welche die mehrste Gewalt über uns alle haben, und mit Recht über uns haben, weil sie zu unserm Seyn unausbleiblich nothwendig sind. Diese beyden Leidenschaften lassen sich nun mit verschiedenen andern Leidenschaften vereinigen, und sind größtentheils die Grundlagen von unsern angenehmen, oder unangenehmen Gefühlen. Wenn auch die Furcht in der Natur beständig ein verdrüßliches Gefühl ist, das wir lieber nicht haben, als haben wollen: so verliert sie doch in den Werken der Nachahmung diese genaue Beziehung auf uns, und setzt uns in die angenehmste Bewegung.

Die mehr, oder weniger bessere Verbindung dieser zwey Leidenschaften mit der Liebe ist es also, die den größten Theil des Reizes erzeuget, der uns so sehr hinreißt. –[180]

Aber es giebt noch mehrere Mittel, diese Leidenschaft anziehend zu machen, Mittel, die fast durchgehends vernachläßigt werden. Es ist so bekannt, und so oft bemerkt, daß jede Leidenschaft, wenn sie mit einiger Stärke und mit Dauer sich unsrer bemächtigt hat, einen Einfluß auf alle unsre übrigen Empfindungen und Handlungen hat, und unsre guten Dichter haben dies so wohl zu nützen gewußt, daß wir einen Theil des Vergnügens, das uns ihre Werke geben, dieser Beobachtung schuldig sind. In Emilia Galotti hat die Liebe so mächtigen Einfluß auf den wollüstigen Prinzen, daß er, ohn' Untersuchung ein Todesurtheil unterschreiben will: ein Zug, der uns den ganzen Charakter des Prinzen, und die ganze Natur seiner Leidenschaft sichtbarer macht, und dem Denker mehr Unterhaltung gewahrt, als hundert Beschreibungen43.[181] In Minna von Barnhelm sind wir Minnens Liebe die ganze dritte Scene des zweyten Aufzugs schuldig: eine Scene, wodurch uns Minna tausendmal liebenswürdiger wird, als sie es uns, wenn sie nichts könnte, als bloß lieben, jemals werden würde. Eben so sind in der Geschichte des Agathon, der ganze Charakter desselben, und seine ganze Denkungsart, Zeugen von dem Einfluß der Liebe auf den ganzen Menschen. In Musarion ist diese Wahrheit eben so schön, eben so richtig behandelt. In den gewohnlichen Dichtern aber finden wir nichts von diesem sichern Einfluß der Liebe auf all' die übrigen Gefühle und Vorstellungen der liebenden Person; man liebt, und das ist alles! Und wann auch in einigen dieser Werke, die Liebenden andere Handlungen, als Thaten der Liebe, unternehmen, so sieht man in diesen nichts von dem Einfluß ihrer Hauptleidenschaft, weder auf ihre Thaten, noch ihre Art zu denken. Jede ihrer besondern Unternehmungen besteht vor sich, ohne Einwirkung auf die übrigen Bestandtheile des Charakters. Und wenn ja die Liebe auf die übrigen Gesinnungen einer Person wirklich Einfluß hat,[182] so ist dieser Einfluß entweder ganz vorübergehend, und die Spuren, ob eine Person geliebt, – und ernsthaft geliebt hat, sind sogleich zugeweht; oder der Dichter weis nicht einmal, auch nur diesen vorübergehenden Einfluß sichtbar und anschauend zu machen. – Bey jungen Personen besonders ist die Vernachläßigung dieses Einflusses der größte Fehler wider die Wahrscheinlichkeit; denn auf die Ausbildung des weiblichen Geschlechts besonders wirkt diese Leidenschaft sehr mächtig. Ich möchte gern manchen Dichter fragen: Warum er ein Paar Personen sich lieben lassen? Ich hoffe gewiß die Antwort zu erhalten, damit der Leser eine Hochzeit habe. – Und doch werden unsre Dichter sehr böse, wenn man über ihr Hochzeitmachen sich des Lachens nicht erwehren kann. Aber es ist gewiß, daß sie höchstens nichts als den Einfluß der Liebe aufs Aeußere des Menschen bemerken, auf Anstand, Mine; und doch nicht einmal bis zum Putz, oder zum Compliment geht es. Exempla sunt odiosa! Aber wem fallen sie nicht dutzendweise ein? Nur eins! wer siehts der Clary an, daß sie den Durimel (im Deserteur) schon lange Zeit geliebt hat? oder daß sie überhaupt liebt?

Es ist sehr gewiß, daß aus der Liebe sehr viel edle, und höchst anziehende andre Leidenschaften entstehen können, so wie sie, nach Maaßgabe des[183] Charakters der liebenden und geliebten Person, und nach Veranlassung der übrigen Situation der Personen, auch zu hochst schrecklichen andern Leidenschaften Anlaß geben kann, die aber immer noch in den Werken der Nachahmung, die angenehmsten und lehrreichsten Unterhaltungen gewähren werden. Und so wie die Liebe auf andre Gefühle und Leidenschaften einen Einfluß hat: so wirken auch die besondern Eigenschaften der liebenden Person wieder zurück auf diese Leidenschaft. – Eben so wird auch der Charakter der geliebten Person dem Charakter der Liebenden gegenseitig Züge geben, die oft noch in der Folge des Lebens bleiben. Es giebt Leute, die es sehr geschwind, besonders den mehrsten Frauenzimmern ansehen wollen, ob sie jemals wirklich geliebt haben; und ob ihr erster Geliebter ein Geck oder ein vernünftiger Mann gewesen ist? –

Daß in dem Gefolge der Liebe sehr anständige Leidenschaften sich finden können, mag ein schon angeführter Engländischer Philosoph für mich bezeugen. »In der Liebe findet sich, sagt der Verfasser der Theorie unsrer moralischen Empfindungen, eine starke Mischung von Menschlichkeit, Edelmuth, Gütigkeit, Freundschaft, – die Sympatie, die wir gegen diese empfinden, macht die Leidenschaft, die sie begleiten, weniger unangenehm, und unterstützt sie in unsrer Einbildungskraft« u.s.w.[184] Wenn diese Eigenschaften nun in der Natur der Liebe selbst schon liegen, wenn es nichts, als dieser bedarf, um daß jene mit herbeygeführt werden: wer wird nun wohl glauben können, – »daß die Liebe nicht höchst anziehend sey?« – Nein! das wissen wir schon; aber wer wird glauben können, daß unsre französirenden Dichter jemals die Natur der Leidenschaften studiert haben? – Ich kann mir es nicht verwehren, hier noch eine Stelle aus dem Yorick44 herzuschreiben: die wirklich weit mehr lehren kann, als man wohl auf den ersten Augenblick denken möchte: I've been in Love with one princess or another almost all my life,[185] and I hope I shall go on so, till I die, being firmly persuaded, that if ever I do a mean action, it must be in some interval betwixt one passion and another: whilst this interregnum lasts, I always perceive my heart locked up – I can scarce find in it to give Misery a six pence; and therefore I always get out of it as fast as I can; and the moment I am rekindled, I am all generosity and good will again; and would do any thing in the world either for, or with any one, if they will but satisfy me there is no sin in it – – But in saying this – surely I am commending the passion, not myself.

Dies mag hier genug von dem Anziehenden seyn, das diese Leidenschaft haben kann, – und oft nicht hat. Ich will nur meine deutschen Leser hier noch an die 176ste und 177ste Seite des dritten Bandes vom goldnen Spiegel erinnern, wo sie sehen können, wie vortreflich auch hier Hr. Wieland die erste Liebe des jungen Tifan durch den weisen Dschengis nutzen läßt. Der Mann wählt diesen Zeitpunkt, »um seinem Pflegsohn die geläuterten und erhabenen Empfindungen der Religion einzufloßen.« –

42

Ich wähle diese Beyspiele als solche, wo es der Endzweck der verschiedenen Dichter war, daß die Liebe keinen andern, als den angezeigten Eindruck machen sollte.

43

Ich habe mehr als einen, so genannten Mann von Geschmack, diese Scene in Emilia Galotti zwar wahr finden, aber entweder als unzusammenhängend mit dem Ganzen, oder als ganz unbedeutend für das Werk erklären hören. Es ist unbegreiflich, wie weit unser Publikum hinter unsern Lessingen, Wielanden u.a. zurück ist! So bald nicht alles ist, wie wir es gewohnt sind, in den faden französischen Trauerspielen oder albernen Romanen zu finden, so sind wir gar nicht mehr zu Hause; wir wissen nicht, ob oder was wir dann denken sollen? Eine Abhandlung, wie man die Dichter lesen müsse, fehlt uns ganz, und wär' uns höchst nöthig. Die Uebersetzung der Plutarchischen dieses Innhalts kann dem Uebel noch nicht steuern. Wir suchen in den Dichtern noch immer nicht das Wesentlichste; und viele wissen gar nicht, was sie im Dichter suchen sollen.

44

Sent. Yourn. Montreuil deutsche Uebersetzung S. 88. »Ich bin mein ganzes Leben durch beständig in eine oder die andre Prinzeßinn verliebt gewesen, und ich hoffe, das soll bis an mein seliges Ende so fortgehen; denn ich bin fest überzeugt, daß, wenn ich irgend eine niedrige Handlung begehe: so ist es gewiß zu der Zeit, wenn eine Liebe aus ist, und noch keine andre wieder angefangen hat. So lange ein solches Interregnum währet, spüre ich immerdaß mein Herz unterm Schlosse liegt. Ich kann keinen Groschen für einen Bettler herausbringen; derohalben such' ichs so kurz zu machen, als nur möglich; und den Augenblick, da ich wieder angeglommen, bin ich wieder eben so großmüthig und gutherzig, als vorhin; und kann für oder mit jedermann alles in der Welt thun, wenn man mich nur zu überzeugen vermag, daß keine Sünde dabey ist – Aber hiermit – wahrhaftig, lobe ich die Liebe, – nicht mich.«

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 177-186.
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