8.

[78] Das, was ich über das Erhabene erster Art noch sagen zu müssen glaube, will ich ganz kurz fassen.

Es ist mir noch übrig, einige Züge hinzuwerfen, die den großen Verstand, vor sich allein betrachtet, bezeichnen. Er kann sich noch thätig und denkend in höhern Sphären, und auf andre, als moralische Gegenstände angewandt, zeigen. Und man glaubt wenigstens, daß, je größer das Theater ist, auf dem er erscheint, je glänzender sey er. Dieser Glanz aber kömmt wohl nur in so fern von der Stelle her, worauf er steht, weil er von einer höhern weiter gesehen werden kann, als von einer niedrigern. Denn sonst macht die beste, zweckmäßigste Anwendung desselben, wenn er, nach Maaßgebung der Möglichkeit, gleich vertheilet ist, seinen wahren Werth aus; und Alexander der Große hat vielleicht nicht mehr Anspruch darauf, als der Mann vom weißen Rosse23, oder Hanbury24.[79]

Indessen, wenn er auf den höhern Bühnen des Lebens auftritt, nennen wir ihn den großen Geist. Hier erhält er schon, nach Umständen, – und er muß es – Zusatz von mehrern Leidenschaften. Die Ceder auf dem Libanon webt hin und her, und muß bewegsam seyn, wenn sie den Anfall des Sturms aushalten will, dem sie natürlich mehr ausgesetzt ist, als die Linde im Thal. Und der hohen Eichen, die auf den Gipfeln der Berge wachsen, sind so wenige, und jetzt so selten, daß es wohl beynahe ein Problem seyn möchte, ob sie noch jetzt darauf gut entsprießen, oder vielmehr fortkommen können?

Wenn der große Verstand denkend erscheint: so findet er entweder Wahrheiten, die das menschliche Geschlecht unterrichten, oder er holt sie unter den tiefen Hüllen hervor, mit welchen sie bedeckt waren. Er übersieht die Wahrheiten alle, die in seinen Zirkel gehören; er hat den Weg von der einen zur andern inne, als ob er ihn selbst gefunden hätte;[80] und er hat jede nach ihrer wahren Beziehung auf den allgemeinen Endzweck geordnet, und schätzt jede nach den richtigsten Verhältnissen. Er sieht durch den Purpurmantel und den Chorrock hindurch, was Vorurtheil, Wahn und Thorheit; oder Größe, Nutzen und Heil ist. Ihn kann nichts blenden, nichts kann seinen Blick aufhalten; er zweifelt, wo er nicht entscheiden kann, – und wirft sich endlich vor Dem mit Ehrfurcht und Anbetung nieder, von Dem er alles hat, was er hat, und fühlt seinen ganzen Raupenstand, in Vergleichung mit dem Allmächtigen. – –

Ich komme zu den erhabenen Gesinnungen, als Aeußerungen der Denkungsart irgend eines Menschen. Der ganze Charakter dieses Menschen wird aber nicht erhaben, wann er gleich eine erhabene Gesinnung in einem einzeln Falle äußert. –

Ueber die Sache selbst befindet sich in den Werken des Hrn. Mendelssohn25 und des Home26 so viel Gründliches und Wahres, daß ich nur Nachlese zu halten begehre.

Wir haben schon gesehn, daß mit wahrer Erhabenheit, sich nichts weniger verträgt, als Schwatzhaftigkeit. Also wird der Ausdruck erhabener[81] Gesinnungen schon den Charakter der Kürze und des Nachdrucks tragen müssen. Und diese Kürze ist um desto nothwendiger, da unsre ganze Seele beschäftigt werden muß, wenn Erhabenheit, Erhabenheit bleiben soll. Unsre Seele muß viel, und sehr viel an der ihr vorgehaltenen Sache zu denken finden, so daß sie ihre ganze Kraft darauf verwendet, den ganzen Innhalt der Sache, wenn ich so sagen darf, zu entziffern; und dies ist nicht mehr nöthig, so bald im Ausdruck alles schon gesagt ist, was bey der Sache gedacht werden kann. –

Freylich ist es aber auch nothwendig, daß sich bey der Sache selbst, bey dem Innhalt der Gesinnung, viel zu denken finde. Einige Beyspiele mögen dies erläutern. Wenn der Hohepriester Joad in der Athalie des Racine sagt27:


Je crains Dieu, cher Abner, & n'ai point d'autre crainte.


so enthält dieser Gedanke für die Seele selbst ein sehr wichtiges Geschäft, wenn sie alles das ausdenken will, was er in sich faßt. »Was muß das für ein Geist seyn, wie viele Eigenschaften muß der besitzen, der nur Gott fürchten kann?« Wie unendlich viel hat die Seele nicht bey diesen und den ihr verwandten, und durch sie herbeygeführten Vorstellungen[82] zu denken! Und alles das, was in der Sache liegt, ist uns durch den zusammengedrängten Ausdruck so sichtbar gemacht, so nahe gebracht worden. – Eben so verhält es sich mit dem Ausdruck des Psalmendichters:


Darum fürchten wir uns nicht, wenn sich die Erde verwandelt,

Und Gebirge mitten im Meere vergehen.


Mit Recht gebührt dieser Stelle noch der Vorzug vor jener, weil sie weit bildlicher die Gegenstande dieser Furcht zeigt, die der Dichter wohl haben könnte, und nicht hat. – So ist eine Stelle im Euripides (in dem Trauerspiele, die Tochter des Herkules) die uns, in sehr wenig Worten, eine sehr große That ankündigt, und uns eben daher desto mehr beschäftigt. Makaria hört von dem alten Jolaus, daß das Orakel dem Demophoon erklärt habe, es sey keine Rettung für die Herakliden übrig, (die Euristheus verfolgt) wenn nicht eine Jungfrau von dem Götterblute geopfert werde. Sie frägt ihn darauf:


»Ist dann dies das einzige Mittel zu unsrer Rettung? Jol. Das einzige!

Makaria. So fürchte nur das Heer der Argiver nicht länger!«


Die heldenmüthige Entschließung, selbst das Opfer zu werden, die wir aus Makariens Antwort erkennen, verdient mit Recht einen Platz unter den[83] erhabenen Gesinnungen, die unserm Geiste viel zu denken geben28. –

Die Anwendung von allem diesen auf den Roman wird sehr leicht seyn. – Nur hüte sich der[84] junge Romanendichter, das Erhabene zu mißbrauchen; das heißt, an unrechten Orten uns die Gesinnungen seiner Personen, als Erhabenheiten, aufdringen; oder unter einem Schein von Würde und Feyerlichkeit uns Dinge als Erhabenheiten aufbürden zu wollen, die im Grunde ein Nichts, ein Geklingel von Worten sind. Auf dem Theater ist diese Mode außerordentlich gangbar; und der sentenzenmäßige Ausdruck, der sie so gut verbirgt, vermehrt diesen falschen Prunk, nicht unter den französischen Dichtern allein, von Tage zu Tage mehr; er ergreift auch unsre besten Genien. – Doch was geht mich hier das Theater an! Auch Romanendichter haben ihre Personen oft, mit Affektation und Geziere, Sachen sagen lassen, wodurch, wenn man dies Gesagte entziffert, uns nachher nur die Personen desto lächerlicher geworden sind, je erhabener sie uns scheinen sollten. Es klingt sehr erhaben, wenn Henriette Byron im Grandison, in einem Anfall von Einbildung, daß Grandison nicht der Ihrige werden könne, das Unglück gleichsam herausfodert29. »Thut dein Bestes, Unglück!« ruft sie aus; und sie setzt hinzu: »sie hoff' es noch zu verdienen, daß man sie würdig finden werde, der Lucia ihre Henriette Byron zu seyn.« – Ich[85] sage, es klingt erhaben, das Unglück herauszufodern; nur Schade, daß diese Herausfoderung gar nichts sagt. Das gute Mädchen konnte nicht einen höhnischen Blick, nicht ein spöttisches Lächeln vertragen; sie litte schon, wenn nur Charlotte die Miene verzog; und nun fodert sie das Unglück heraus. Und welchen Sieg wird sie nun erfechten? worüber will sie mit dem ganzen Unglück kämpfen? Daß es ihr nicht an dem Verdienst hinderlich sey, Luciens würdige Henriette Byron zu seyn! Das ist nun freylich eine große Sache! – Nur im Scherz sollte man so was schreiben – Und eben so Erhaben siehts auf den ersten Anblick aus, wenn sie sagt30: »O behüte mich mein guter Geist, daß ich nicht das Mitleiden, selbst von einem Sir Grandison, brauche!« Sie, keines Mitleids? – Henriette Byron keines Mitleids? – Sie, die das Mitleid aller bedurfte, mit welchen sie lebte? Sie, die das Mitleid aller, eben um diese Zeit, suchte, gegen alle klagte, gegen alle jammerte, Trost von allen haben wollte? Da hatte sie ihre Leiden in sich selbst verschließen und ihrer mächtig seyn müssen, wenn sie keines Menschen Mitleid hätte brauchen wollen. Wenn man nun nicht Mitleid mit ihrer Schwachheit gehabt, sondern sie, nach[86] Verdienst, ausgelacht hätte? – Wenn ein Vertheidiger Richardsons antwortet, daß es die Liebe sey, die aus Henrietten auf diese Art rede. Das erste würde ein Gallicismus seyn; so kann ich nichts als bedauern, daß er eine Person zur Heldinn gewählt, bey der sich die Liebe so ekelhaft äussert. – Aber der Stoff lag in ihrem Charakter, – so wie im Charakter aller Frauenzimmer – sie anders reden zu lassen. Stolz schweigt vor der Liebe. – Jetzt ist Henriette ein Mittelding von beyden, voller hohen Anfoderungen, und ohne Rechte dazu; jetzt über alles Irrdische erhaben, und dann wieder voller Gefühle: ein wahrer Widerspruch, – eine sehr unangenehme Gesellschafterinn! –

23

Siehe Popens Werke Vol. 3. (Lond. Ed.) p. 142. v. 250. Rise, honest Muse! And sing the Man of Ross etc.

Der Mann hieß eigentlich John Kyrle. Die ganze Stelle im Pope verdient gelesen zu werden.

24

Hanbury ist Rektor von Langton zu Leicestershire, und lebt noch. Er ist weniger bekannt, als der Mann vom Rosse, ob er gleich auch einen Dichter unter seiner Nation gefunden, der ihn in einem nicht ganz schlechten Lobgedichte besungen hat, weil er eine Plantage von allen in der Welt bekannten Bäumen, Pflanzen u.s.w. angelegt, die jährlich mehr als zehn tausend Pfund einbringt, welche er zum Wohl seiner Mitmenschen verspendet. – Sein Dichter heißt Wory.

25

Phil. Schr. 2ter Th. S.180. N. Aufl.

26

Elem. on Crit. Vol. I. Ch. 4. Vol. 2. Ch. 11. Ch. 16.

27

Act. I. Sc. 1.

28

Man setzt gewöhnlich den bekannten Ausruf des Ajax, beym Homer,

Ζεῦ πάτερ, ἄλλὰ σὺ ῥῦσαι ὑπ᾽ υῖας Ἀχαιῶν˙

Ποίησον δ᾽ αἴϑρην, δὸς δ᾽ ὀφϑαλμοῖσιν ἰδέσϑαί

Ἐν δὲ φάει καὶ ἄλεσσον˙

Il. P. v. 645.

unter die Beyspiele des Erhabenen in den Gesinnungen; und die Stelle, außer dem Zusammenhange gelesen, scheint alles das zu enthalten, was Longin zu ihrem Vortheil bemerkt; aber, ohne etwan auf die Seite des Abt Terrasson (Dissertation sur l'Iliade) treten zu wollen, der dem Longin, bey Anführung dieser Stelle, einen Gedächtnißfehler Schuld giebt, und lieber der Stelle ihren ganzen Werth nehmen möchte, – ist es doch gewiß, daß sie, im Zusammenhange gelesen, lange nicht den Eindruck macht, den sie einzeln genommen hervorbringt. Es ist ehe Ungeduld, Unwille, der aus dem Ajax spricht, als jener unbezwingliche Muth, der sterben will, wenn er nur sehen kann, um zu kämpfen. Denn nichts weniger als dieser Muth ist es, der den Ajax zu dem Ausrufe bringt. Er will Licht haben, Jupiter soll die Finsterniß wegnehmen, damit er jemand entdecken könne, der dem Achill die Nachricht von dem Tode des Patroclus bringe. – Und die Art, wie Boileau sowohl als La Motte diese Stelle übersetzt haben, macht, nach der Bemerkung der Dacier, eine weit kühnere und unsinnigere Gottlosigkeit daraus, als sie irgend einem Menschen ansteht; und als am wenigsten sie Homer gesagt hat. –

29

S. den 21sten Br. des 3ten Th.

30

S. den 6. Br. des 4then Th.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 78-87.
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