17.

[461] Wenn der Romanendichter nicht nützlich werden kann, so bald er nämlich seinen Leser mit übertriebenen, als Muster gebildeten Charakteren unterhält: so kann er es eben so wenig werden, wenn er ihm so böse, so elende Menschen zeiget, als sie in der Wirklichkeit unmöglich zu finden sind. Es würde – wenn ein Geschöpf den Gedanken haben darf – der größte Tadel der Vorsehung[461] seyn, wenn sie eine Welt hätte schaffen können, in welcher es möglich gewesen wäre, daß ein Mensch ganz böse, ganz ruchlos seyn könnte. – Auch die strenge philosophische Unmöglichkeit eines solchen Menschen nicht in Erwägung gezogen, ist in denen Verhältnissen, und in denen Verbindungen, unter welchen der Mensch gebildet wird, schlechterdings immer etwas, das ihm, auf eine oder die andre Art, eine gute Eigenschaft erwerben, oder das ihn abhalten hilft, alle mögliche böse zu besizzen. Alle Niederträchtigkeiten, alle Bosheiten in einem Menschen vereinen, ist eine so ungereimte Erfindung, als alle Vollkommenheiten auf einen zusammen schütten29. Stand, Geschäfte, Erziehung, Neigung, die einem Menschen Gelegenheit geben, gewisse Bosheiten zu erlernen, sind ihm selber im Wege, gewisse andre sich eigen zu machen;[462] und die Zeit, die er auf die einen verwendet, wird ihm fehlen müssen, wenn er sich in den Besitz der andern zu setzen auch trachten wollte. –

Und wozu unsre Empfindungen, unsern Haß, unsern Abscheu also für Dinge zu erregen, die wir nie in der Wirklichkeit antreffen? Was vorhin von dem unnützen Geschäft, uns mit unnatürlichen Vollkommenheiten zu unterhalten, gesagt worden ist, gilt auch hier. Eins ist im Grunde eben so vergeblich, als das andere. Wenn wir das nicht anwenden können, was uns der Dichter gelehrt, was er in uns geübt hat, wozu brauchen wir seiner Dichtung?

Es ist also unbillig, es ist ohn allen Nutzen, den Leser mit Charakteren zu unterhalten, und seine Empfindungen für sie rege zu machen, die gleich weit über, oder gleich weit unter der Staffel der Vollkommenheit stehen, die die menschliche Natur betreten kann.

So ungerecht es ist, uns Gegenstände vorzuhalten, die in der Natur nicht wirklich sind, und also ganz vergeblich unsre Theilnehmung zu erregen: eben so ungerecht ist es, unsre Empfindungen anders ertönen zu lassen, als sie hätten ertönen sollen. Der Dichter, der uns Gegenstände in einer andern Gestalt zeigt, als sie, ihrem wahren Werthe nach, haben sollten, begeht einen Hochverrats) am menschlichen Geschlecht.[463]

Der Vorwurf klingt hart; aber er ist sehr gegründet. Es ist nichts grausamer, als Menschen zu verführen, daß sie eine Sache hochachten, die ihren Abscheu verdient.

Es giebt einen gewissen Gesichtspunkt, aus dem man die strafbarsten und lasterhaftesten Neigungen und Leidenschaften zeigen kann, so daß sie den Leser vergnügen. Sie erlangen ein Ansehn von Erhabenheit und Würde, wenn sie mit einer gewissen Größe der Seele, mit einer gewissen Zuversicht ausgeübt werden, als ob die Personen, welche sie ausüben, sich in ihrem Besitz glücklich, und sie selbst für rechtmäßig erkenneten. Anstatt unsern Abscheu zu erregen, können sie alsdenn unsre Verführer werden. Und dies geht sehr naturlich zu; da uns eine Sache desto mehr in Bewegung setzt, je mehr sie es selbst ist, – da uns jede Bewegung vergnügt, so überlassen wir uns gern der Macht jener Leidenschaften, wenn uns der Dichter nicht mit der größten Sorgfalt, ihre wahre Gestalt sehen läßt, oder sonst den Strom unsrer Empfindungen zu lenken weis.


Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam, ac lubens.


sagt Cherea, wenn ihm Jupiter vorgeht.

Diesen falschen Glanz, den man aber dem Laster giebt, hat es in der Wirklichkeit nicht. Im[464] Home und der Lessingschen Dramaturgie finden sich so viel wahre Bemerkungen hierüber, daß ich lieber mit den Worten dieser Verfasser, als mit meinen reden will. Bey Gelegenheit einer Stelle aus den Abhandlungen des Corneille über das Drama, worin er, von einer Person (der Cleopatra) behauptet, daß, weil alle ihre Verbrechen, mit einer gewissen Größe der Seele verbunden sind, die etwas Erhabnes hat, man, indem man ihre Handlungen verdammet, doch die Quelle bewundere, woraus sie entspringen; – bey dieser Gelegenheit! sagt Lessing30: »einen verderblichern Einfall hätte Corneille nicht haben können. Befolget ihn in der Ausführung, und es ist um alle Wahrheit, um alle Täuschung, um allen sittlichen Nutzen der Tragödie gethan! Denn die Tugend, die immer bescheiden und einfältig ist, wird durch jenen glänzenden Charakter eitel und romantisch: das Laster aber mit einem Firniß überzogen, der uns überall blendet, wir mögen es aus einem Gesichtspunkte nehmen, aus welchem wir wollen. Thorheiten bloß durch die unglücklichen Folgen von dem Laster abschrecken wollen, indem man die innre Häßlichkeit desselben verbirgt! Die Folgen sind zufällig:[465] und die Erfahrung lehrt, daß sie eben so oft glücklich als unglücklich fallen. – Die falsche Folie, die so dem Laster untergelegt wird, macht, daß ich Vollkommenheiten erkenne, wo keine sind; macht, daß ich Mitleiden habe, wo ich keines haben sollte.«

Es ist überhaupt ganz wider die Natur des Lasters, daß es auftrete, und seiner Bosheiten sich rühme. Solche unsinnige Bravaden sind an einer andern Stelle eben der genannten Lessingschen Schrift noch einmal gerügt. »Der großte Bosewicht, heißt es, weiß sich vor sich selbst zu entschuldigen, sucht sich selbst zu überreden, daß das Laster, welches er begeht, kein so großes Laster sey, oder daß ihn die unvermeidliche Nothwenkeit es zu begehen zwinge. Es ist wider alle Natur, daß er sich des Lasters, als Laster rühmet; und der Dichter ist äußerst zu tadeln, der aus Begierde etwas Glänzendes und Starkes zu sagen, uns das menschliche Herz so verkennen läßt, als ob seine Grundneigungen auf das Böse, als auf das Böse, gehen könnten. – Alles athmet bey dem Corneille Heroismus; aber auch das, was keines fähig seyn sollte, und wirklich auch keines fähig ist: Das Laster.«

Solche Tiraden, solche glänzende Vorstellungen des Lasters sind nun zwar in den gewöhnlichen[466] Romanen nicht Gang und Gebe; aber falsche Schilderungen gewisser erhabener Leidenschaften können sich in ihnen so gut, als in den dramatischen Dichtern finden. Sie übertreiben eben so gut, als diese, die Leidenschaften in ihren Personen.

Keine dieser Leidenschaften ist solcher seltsamen Verdrehungen fähiger, als der Ehrgeiz. Diese Verdrehungen schreiben sich alle aus den neuern Jahrhunderten her. Man kann jetzt mit jeder Missethat beynahe den Begriff von Ehre verbinden. Diese Leidenschaft gründet sich gewöhnlich auf gewisse Verabredungen unter den Menschen, zufolge welchen auch diejenigen Unternehmungen Wirkungen des Ehrgeizes heissen können, die der Wahrheit nach, und in den Augen solcher Menschen, die diese Verabredungen nicht kennen, oder nicht eingesogen haben, Wirkungen der Naserey und des Unsinnes sind. Ehrgeiz rechtfertigt alle Grausamkeiten, alle Ausschweifungen. Es ist eben so gut falscher Ehrgeiz, der den jungen Horaz (in dem Trauerspiele des Corneille die Horazier) vermag, der Mörder seiner Schwester, ohn' alle Bewegung von Reue, zu werden, weil er sich ein Verdienst um sein Vaterland davon verspricht, als es eine Art von falschem Ehrgeiz ist, der dem Loveless bewegt, Clarissen zu schänden, weil er sich Ruhm von seinem Siege über so viel Tugend, so viel Schönheit verspricht.[467] Denn die Süßigkeiten des Genusses sind nicht das, was ihn allein zu dieser Unternehmung treibet. Ich weiß, daß Richardson weit behutsamer in der Behandlung des Loveless zu Werke gegangen ist, als Corneille in dem oben angeführten Falle. Horaz giebt seine Unternehmung für un acte de justice aus; und Corneille läßt ihn, durch den König, mit einem:


Vi donc, Horace, vi guerrier magnanime,

Ta vertu met ta gloire au dessus de ton crime,

Sa chaleur genereuse a produit ton forfait u.s.w.


freysprechen; und Loveless wird gestraft; aber zu geschweigen, daß selbst diese Strafe für den Loveless viel zu rühmlich ist, und daß er eine ganz andre verdiente, geht er in seinem ganzen Betragen gegen Clarissen so rund, so dreust zu Werke; er hat einen so zuversichtlichen, ich möchte beynahe sagen, gewissenhaften Anstand bey seiner Unternehmung, er hat so sehr das Ansehn, als ob er sich selbst ganz ruhig, und mehr als ruhig, freudig, und zufrieden befände; der Dichter läßt ihn mit einer so liebenswürdigen, zuversichtlichen Art seine Bosheit ausführen, er scheint uns so angenehm, so witzig, daß er ehe zur Nachahmung reizt, als davon abschreckt. Er scheint uns nichts weniger, als innerlich, das heißt wahrhaft unglücklich in seinem Verbrechen;[468] er fühlt sich lange nicht so strafbar, so unruhig, als er sich fuhlen sollte. –31

Ueber die Art, wie der Dichter den Lasterhaften bilden solle, wenn er die Empfindungen der Leser nicht irre leiten und sie falsch, oder gar zum Verderben ausbilden will, finden sich im Home vortreffliche Bemerkungen, die ich schon vorhin angekündigt habe. »Es ist wider die Ordnung der Natur, wenn eine Leidenschaft in irgend einem Falle, sich wider Vernunft und Gewissen auflehnt. Eine solche Verfassung der Seele ist eine Gattung von Anarchie, deren sich jeder schämt, und die jeder zu verbergen und zu verstellen sucht. Selbst die Liebe, so loblich sie auch seyn mag, ist mit einer Schaam verbunden, deren man sich bewußt ist, wenn sie unmäßig wird; man verbirgt sie vor der[469] Welt, und entdeckt sie nur dem geliebten Gegenstande. – Daher ist es eine Hauptregel, bey Vorstellung starker Leidenschaften, ihre Gesinnungen, so sehr als möglich, zu verdecken oder zu verstellen. Besonders findet dies bey lasterhaften Leidenschaften statt. Ein Mensch räth niemals einem andern ein Verbrechen mit trocknen Worten. Wir lassen ein Verbrechen, selbst in unsern Gedanken, sich nicht in seinen natürlichen Farben zeigen; und wenn wir es einem andern rathen, oder auftragen, so muß es durch verdeckte Worte geschehn; man muß ihm die Handlung unter irgend einem vortheilhaften Lichte vorstellen.« – Die Beyspiele hiezu nimmt Home aus dem Shakespear. Der unrechtmäßige Herzog von Meyland, thut dem Sebastian, in dem Lustspiel der Sturm, den Vorschlag, seinen Bruder, den König von Neapel zu ermorden:


ANTONIO.

– – What might.

Worthy Sebastian – O what might – no more. –

Ant yet, methinks, I see it in thy face,

Wat thou should'st be; th' occasion speaks thee, and

My strong imagination sees a crown

Dropping upon thy head.

Act. 2. Sc. I.


Ein anderes! König Johann will Huberten bewegen, den Prinzen Arthur zu ermorden;


K. JOHN. Come hither, Hubert.

O my gentle Hubert

We owe thee much: within this wall of flesh

[470] There is a soul counts thee her creditor,

And with advantage means to pay thy love.

And, my good friend, thy voluntary oath

Lives in this bosom, dearly cherished.

Give me thy hand, I had a thing to say –

But I will fit it with some better time. –

By heaven, Hubert, I'm almost asham'd

To say what good respect I have of thee.

HUBERT.

I am much bounden to your Majesty.

K. JOHN.

Good friend, thou hast no cause to say so yet –

But thou shalt have – and creep time ne'er so slow,

Yet it shall come for me to do thee good. –

I had a thing to say – but, let it go:

The sun is in the heav'n and the proud day,

Attended with the pleasures of the world,

Is all too wanton, and too full of grawds,

To give me audience. If the midnight-bell

Did with his iron tongue and brazen mouth

Sound one into the drowsy race of night;

If this same were a church-yard where we stand,

And thou possessed with a thousand wrongs;

Or if that surly spirit Melancholy

Had back'd thy blood, and made it heavy thick,

Which else runs tickling up and down the veins,

Making that idiot Laughter keep men's eyes,

And strain their cheeks to idle merriment,

(A passion hateful to my purposes.)

Or if that thou could'st see me without eyes,

Hear me without thine ears, and make reply

Without a tongue, using conceit alone,

Without eyes, ears, and harmful sounds of words;

Then, in despight of broad-ey'd watchful day,

[471] I would into thy bosom pour my thoughts. –

But ah, I will not – Yet I love thee well;

And, by my troth, I think thoulov'st me well.

HUBERT.

So well, that what you bid me undertake,

Through that my death were adjunct to the act,

By heav'n, I'd do't.

K. JOHN.

Do not I know, thou would'st?

Good Hubert, Hubert, Hubert, throw thine eye

On yon young boy. – I'll tell thee what, my friend:

He is a very serpent in my way.

And wheresoe'er this foot of mine doth tread,

He lies before me – Dost thou understand me?

Thou are his keeper. –


Die Anwendung für den Roman wird dem Romanendichter nicht schwer werden. – Wer sieht in diesen Zügen nicht die wahre, eigenthümliche Gestalt des Lasters, wer lernt es nicht kennen? und wer kann sich nun in seinen Empfindungen dafür irren? – Der Leser verlangt von dem Dichter, daß er ihm seine Bekanntschaften mit der wahren Natur, und mit dem wahren Menschen erleichtere; sein Vergnügen soll ihm Unterricht verschaffen. Unsre Empfindungen sollen auf die richtigste, auf die wahreste Art erregt werden, damit sie, durch diese, aus dem Werke des Dichters erhaltene Uebung, in der Wirklichkeit, im Leben, eben so entstehen, und nicht, durch ein zu viel oder zu wenig, einen Unfall, ein Mißvergnügen oder[472] ein Unglück mehr, oder eine Freude, ein Vergnügen weniger veranlassen, und uns zuziehen. – Und man glaube ja nicht, daß Menschen, der Wahrheit nach, gezeichnet, uns weniger in Bewegung setzen; daß wir einen Theil weniger Vergnügen haben werden, wenn wir den Menschen so sehen, wie ihn die Natur schaffen kann. Es ist immer nur die Schuld des Dichters, wenn wir uns an der Wahrheit nicht ergetzen. Das lehren Erfahrung und Beyspiele! –

In unsern Romanen fängt an, ein anderer, eben so falscher Geschmack zu herrschen: eine Erhebung und Anpreisung von Reichthümern und Schätzen, vermöge welcher man den wichtigsten Personen, – und so gar der Tugend selbst, – einen Zusatz von Ansehn und Würde zu geben vermeint, wenn man sie reich, mit Gold und Kostbarkeiten beladen auftreten, und Schätze großmüthig verspenden läßt. Solche Erfindungen mögen freylich nicht viel kosten; Anstrengungen des Genies können sie unmöglich heissen. Auch mögen sie auf den jungen Leser und das eitle Mägdchen Wirkung genug machen; nur Schade, daß diese eben dadurch verdorben, eben dadurch gewöhnt werden können, nur das zu schätzen, was sich eben so ihnen darstellet, – und daß der übrige Theil der Leser die Mühe hat, durch diese Zierrathe sich durcharbeiten, oder über sie weghüpfen[473] zu müssen, wenn sie nämlich nicht in genauerer Verbindung mit dem Menschen stehen, – als daß er sie besitzet. Doch wer weiß, ob die Zahl dieser eben so groß ist, daß der Dichter auf sie denken solle? Bey unsern allerliebst französischen Sitten ist freylich der Schnitt vom Rocke und die Frisur vom Kopf ein wichtiger Ding, als der hellste Kopf und das reinste Herz. Und was müssen nun nicht erst jene Kostbarkeiten vor Wirkungen machen! – Doch im Ernst, soll der Dichter diesen Geschmack unterstützen, soll er ihn nähren? Soll auch er die Menschen verführen wollen, einen andern höher zu achten, weil er reich ist? Schon Longin, hat gesagt: Ἐιδέναι χρὴ, φίλτατε, διότι, καϑάπερ κᾄν τῷ κοινῷ βίῳ οὐδὲν ὑπάρχα μέγα, οὗ τὰ καταφρονεῖν ἐστι μέγα, οἷον πλοῦτοι, τιμαὶ, δοξαὶ, τυραννίδες, καὶ ὅσα δὴ ἄλλα ἔχει πολὺ τὸ ἔξωϑεν προστραγωδούμενον, οὐκ ἂν τῷ γε φρονίμω δόξειεν ἀγαϑὰ ὑπερβάλλοντα, ὧν ἀυτὸ τὸ περιφρονεῖν ἀγαϑὸν οὐ μέτριον. Θαυμάζουσι γοῦν τῶν ἐχόντων αὐτὰ μᾶλλον τοὺς δυναμένους ἔχειν, καὶ διὰ μεγαλοψυχίαν ὑπερορῶν τας32. Und ich gesteh' es, daß ich, ohne im mindesten den Stoiker affektiren zu wollen, nichts lächerlicher kenne, als auf Dinge einen großen Werth zu legen und sie für Wesentlich zu erklären,[474] die im Grunde mit dem Koth auf der Gasse nur zu viel ähnliches haben. Was soll aus dem Geschlecht der Menschen werden, wenn seine Lehrer, seine Vormünder selbst, diesen Sachen ein gewisses Gewicht geben können? –

Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, zu sagen, welchen Gebrauch man, billiger Weise von diesen Dingen machen kann. Sie können als Ursachen gebraucht werden, gewisse Wirkungen hervor zu bringen; das heißt im Werke selbst; oder Wirkungen von gewissen Ursachen seyn. Sie können beziehentlich erscheinen. Es ist, z.B. sehr natürlich, den Gegenstand seiner Liebe mit alle dem zu überhäufen, was man für gut hält; aber denn haben diese Sachen keinen andern Werth, als in so fern sie Zeugen, Beweise, Wirkungen der Liebe sind. Nur freylich müssen sie es nicht allein seyn, nur müssen sie nicht für die wichtigsten angesehen werden. Es giebt Frauenzimmer, die noch jetzt keinen zweydeutigern Beweis von Liebe kennen wollen, als Geschenke. Die Sachen selbst aber müssen nie Etwas bedeuten sollen. Emilia gedenkt der Edelgesteine, die sie von ihrem Liebhaber erhalten hat; aber sie gedenkt ihrer gerade so, wie es zu wünschen wäre, daß jeder Dichter ihrer gedenken ließe, – als nichtsbedeutender Spielwerke, die sie aber schätzt, weil sie solche, als Beweise von der Liebe ihres, Grafen ansieht. Und der Ring in[475] Minna von Barnhelm, mit allen Schätzen der Minna ist gewiß nicht da, ihr einen Werth mehr in den Augen der Leser oder Zuschauer zu geben. Sie sieht den Ring so an, wie Emilia die Edelgesteine ansieht. In der ganzen Denkungsart dieser Personen, und all' derer, die wir in diesen Stücken sehen, ist nicht ein Zug, der ein Gefühl von Würde verriethe, das aus dem Besitz dieser Schätze entstanden wäre, oder deswegen Achtung vom Leser oder von einer andern Person foderte. Und dann wird dieser Sachen nur gelegentlich, nur wo sie, als Ursachen oder Wirkungen nothwendig sind, gedacht; und diesen Gebrauch hat der Dichter so sparsam eingerichtet, daß der Leser gewiß nicht auf den Irrthum geführt wird, sie für wichtig zu halten, oder einen andern Werth auf sie zu legen, als sie verdienen. In .... ist ein Geklingel von Kostbarkeiten, Geschenken, Putz, Ringen, und Uhren und Steinschnallen und goldenen Degen u.s.w. von Anfang bis zum Ende; Auf jeder Seite ist etwas davon zu finden; Und die Art, mit welcher der Dichter davon reden läßt, bezeugt sehr augenscheinlich, daß seine Personen, – und also auch er, – keinen kleinen Werth auf diese Possen legen; und das Verdienst dadurch zu erhoben glauben. So geht es, wenn man sich auf äußere Geschichte des Menschen, auf pure kahle Begebenheiten[476] und Vorfälle einschränkt. Dies verführt naturlich dazu. Was läßt sich, bey solcher Einrichtung bessers sagen? –

Was ich von dem weisen Gebrauch der Reichthümer und Kostbarkeiten in Emilia Galotti gesagt habe, gilt auch von dem Gebrauch dieser Dinge im Agathon. So kostbar, so verschwenderisch auch immer, z.B. im Hause des Hippias und der Danae alle Einrichtungen sind, so wenig hat der Dichter dadurch seinen Personen einen Werth geben wollen. Er braucht sie als Ursachen zu einigen Wirkungen auf den Agathon, die uns noch mehr von dem Charakter desselben; aber nichts, als was sehr anständiges, sehr wahres zeigen, das gewiß nichts dazu beytragen kann, unsre Ideen von diesen Dingen zu erhöhen33.

So also nur, nur Beziehungsweise, nicht als von selbstständigem Werth, nicht als einen Zusatz von Würde, oder Verdienst, oder um einen Charakter dadurch zu erhöhen, soll der Dichter diese[477] Dinge gebrauchen. Was Pope bey einer andern Gelegenheit sagt:


Poets like Painters – unskill'd to trace

The naked nature and the living grace,

With gold and jewels cover ev'ry part,

And hide with ornaments their want of art.


Essay on Criticism v. 293. s.


drückt ganz vortreflich die Manier der gewöhnlichen Dichter aus. Sie möchten uns gern für ihre Personen einnehmen, und wissen unglücklicher Weise zu wenig, was uns an sich zieht und mit Recht an sich ziehen darf; – sie beurtheilen vielleicht zu sehr das ganze menschliche Geschlecht nach sich; – sie haben sich zu wenig Mühe gegeben, über die Unterhaltung nachzudenken, die der Leser mit Recht von ihnen verlangen kann, als daß sie uns nicht vorzüglich das geben sollten, was doch zuerst in die Augen fällt. Aber der vernünftige Mann sieht solche Dinge für nicht viel besser an, als die Klapper des Säuglings. –

Wenn man hier einwenden wollte, daß, bey meinen Foderungen, den Menschen, nach der Wahrheit zu zeichnen, es dem Dichter zu vergeben sey, wenn er ihm ein Verdienst oder Würde mehr, durch den Besitz der Reichthümer, zulegte, weil die Sachen in der wirklichen Welt so zugehen, wo man immer nach dem Werth der Menschen beurtheilt, wie[478] jener Knabe im Gellert die beyden Vögel: so antworte ich, daß ich nie verlangt habe, alle schaale Nebenseiten und alle Abgeschmackheiten der Welt in den Werken der Nachahmung aufgenommen, – oder für was anders aufgenommen zu sehen, als was sie wirklich sind. Der Dichter soll eben die Menschen lehren, alle Sachen aus dem rechten Gesichtspunkte anzusehen, und nach ihrem wahren Werth zu beurtheilen. Aber ist es möglich, daß dies jemals erreicht werde, wenn noch jetzt die Dichter – wie ich es unlängst irgendwo gelesen – ihre Personen deswegen mit Reichthümern und Schätzen überladen zu haben vorgeben, weil sie es sich nicht verwehren könnten, diesen Personen alles zu geben, was sie glücklich machen, und ihren Werth vermehren könne: eine ganz artige Philosophie, die kaum in dem Munde einer Mad. Ricoboni oder Beaumont zu verzeihen wäre!

29

Wenn – wie ich bemerkt zu haben glaube – wir in den auf uns gekommenen Werken der alten Dichter, keine solche Uebertreibungen der Charaktere, weder im Guten, noch im Bösen finden: so könnte es, für einen denkenden Kopf, vielleicht einen sehr anziehenden Stoff abgeben, wenn er untersuchen wollte, auf welche Art unsre Dichter in diese Uebertreibungen verfallen sind, und haben verfallen können? – Vielleicht fände er in Religion, Gesetzgebung– und einigen Dingen mehr, vorzüglich aber in jenen all die Veranlassungen dazu. Und die Entwickelung derselben, könnte manchen noch unaufgeklärten Punkt aufhellen, und eine sehr interessante Unterhaltung gewähren.

30

Dramaturgie Th. 2. S. 243.

31

Noch eine Stelle aus der Dramaturgie verdient wohl einen Platz hier. »Die Alten, sagt Lessing, schöben öfters lieber die Schuld auf das Schicksal, machten das Verbrechen lieber zu einem Verhängniß einer rächenden Gottheit, verwandelten lieber den freyen Menschen in eine Maschiene; ehe sie uns bey der gräßlichen Idee wollten verweilen lassen, daß der Mensch von Natur einer so schrecklichen Verderbniß fähig sey, – die aus unbegreiflichen Missethaten, aus Bosheiten, die unsern Begriff übersteigen, aus Gräueln, die mit Lust begangen werden,« gefolgert werden könnte. Wenn unsre beßre Religion uns dies nicht gestattet: – so kann doch wohl weder sie, noch sonst irgend etwas den Dichter entschuldigen, der uns das im Menschen zeigen wollte, was die Alten nicht in ihm fanden? –

32

Περι ὑψους VII. Edit. Mor. Lips. p. 32.

33

Wenn Uebertreibungen hierinn statt finden: so gehören sie zu jenem Romantischen, über das die Verfasser der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften (Th. 9. S. 116 u.f.) so richtig geurtheilt haben. Und von solchen, Uebertreibungen ist hier gar die Rede nicht. Was wir hören und sehen, mag so ideal seyn, als es wolle, (es versteht sich, daß hier bloß vom Aeußern die Rede ist) wenn es mit keinem wahren Werth belegt wird, desto besser! –

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 461-479.
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