20.
»Durch welche Mittel wird der Romanendichter am sichersten unsre Empfindungen, unsre Theilnehmung, erregen können?«

[492] Es ist bereits öfter, als einmal bemerkt worden, daß es nicht eigentlich die Thaten und Unternehmungen der Personen in einem Roman, sondern die Eigenschaften und der Charakter derselben sind, an welchen wir vorzüglich Theil nehmen. Wie muß uns der Dichter diese zeigen, wie muß er die verschiednen Gegenstände behandeln, damit diese Theilnehmung desto gewisser erfolge?

Im Home finden sich (im ersten Theil des zweyten Kapitels) sehr viel richtige Bemerkungen über die ideale Gegenwart, und die Nothwendigkeit derselben, wenn die Gegenstände der Nachahmung unsre Leidenschaften erregen sollen. Nur was sich dort nicht findet, soll hier mitgenommen werden. Aber auch dies sind schon bekannte Sachen. –

Die Romanendichter schränken sich gewöhnlich aufs bloße Erzählen der Leidenschaften und Empfindungen ihrer Personen ein. Wenn diese lieben, so erzählen sie uns, daß sie lieben; und damit ist die Sache gemacht. Es hat sich eine gewisse Reihe von Formelchen und Ausdrücken eingeschlichen,[493] wodurch man uns den Zustand der Personen anschauend zu bezeichnen glaubt; und es ist möglich, daß sie im Anfange, da sie gebraucht wurden, noch einigen Eindruck machten; aber jetzt sind wir so sehr mit ihnen bekannt, sie sind so allgemein, daß wir unmöglich noch etwas bey ihnen fühlen können. Sie sagen uns höchstens die Sache selbst, und wir wollen mehr sehn, als dies. Der Eindruck ist sehr verschieden, den es macht, wenn wir eine Wirkung vor unsern Augen erfolgen sehen, oder wenn wir sie erzählt hören. Und diesen flachen, kahlen Eindruck, den die bloße Erzählung der Begebenheit macht, und der unsre Leidenschaften gar nicht erregt, kann nun der Romanendichter vermeiden, wenn er diese Erzählung in Handlung zu verwandeln weis.

Eigentlich ist diese Verwandlung nichts, als die vorher schon vorgeschlagene Behandlung der Begebenheiten, so daß wir diese nämlich, im Roman, werdend, mit einem Wort, so sehen, wie z.B. die Liebe Agathons wird. Die Sache selbst aber, wird hier von der Seite angesehen, wo sie gerade den Eindruck macht, den der Dichter machen muß, wenn sein Leser nicht kalt bleiben soll.

Diderot, der den Unterschied im Eindruck sehr gewiß fühlte, den das Erzählen einer Wirkung,[494] und das Hervorbringen derselben macht36, scheint den Romanendichter von dem letztern freyzusprechen. Wie sehr sich aber eben dadurch das angeführte Wielandsche Werk von allen übrigen Werken ähnlicher Art unterscheide, und um wie viel mehr die Illusion des Lesers dadurch befördert, und also der Endzweck des Dichters erreicht werde, ist schon vorhin genug bemerkt worden. Es giebt so gar Dichter, die bey solchen Gelegenheiten, und wenn sie uns das Warum ihres Darums vorenthalten, von geheimen Sympathien, von dem unbekannten je ne sçais quoi u.s.w. reden. Das heißt dem edlen Titel, eines Schöpfers im Kleinen, entsagen. Denn der muß alle Kräfte seiner geschaffenen Personen, mit all' ihren Wirkungen kennen und übersehen. –

Doch dies Erfolgen der Wirkung selbst, vor unsern Augen, ist noch nicht genug, wenn der Romanendichter unsre Leidenschaft bis zu dem Grade zu erregen wünscht, warum er eigentlich gedichtet hat. Es ist nicht genug, daß wir eine Leidenschaft haben werden, daß wir sie haben entstehen sehen, um Theil an ihr zu nehmen; es ist nicht genug, daß wir, z.B. wissen, dieser oder jener liebt nun:[495] – wir wollen diese gewordene Liebe nun als eine Ursache anderer Wirkungen sehen. Man lasse von einem gewöhnlichen Liebhaber, zehn Seiten hindurch, erzählen, daß er seine Geliebte aufs innigste liebe, daß er aus Liebe sterben, daß er zu den Schatten gehen, mit einem Wort, alles, alles aus Liebe thun wolle; und man höre dagegen vom St. Albin (Im Hausvater) daß er mit einemmal ganz verändert ist von dem, was er war. Er ist weniger sorgfältig in der Wahl seiner Bedienten, seiner Pferde, seiner ganzen Equipage; weniger gewählt in seinem Anzuge, als sonst; er geht allen Zerstreuungen und seinen jugendlichen Freunden aus dem Wege; er bringt ganze Tage in seinem Zimmer mit Lesen, Schreiben, Denken zu. Und in der Folge hören wir noch mehr. Er hat sich in ein viertes Stockwerk eingemiethet; er hat sich in einen armen Handwerksmann verkleidet; er schleicht sich des Abends aus dem Hause seines Vaters, damit er seine Sophie sehen und sprechen könne, die er auf keine andre Art sonst sehen oder sprechen kann: – man halte dies, sag' ich, gegen alle nur mögliche Erzählungen von Liebe, Treue, Zärtlichkeit; und sage dann, wobey man mehr von der Liebe, gesehn habe, wobey man mehr beschäftigt, – und wobey folglich unsre Empfindungen lebhafter erregt worden? ob bey diesen Handlungen[496] der Liebe, oder bey jenem Geschwätz von ihr? – Eben so lasse man den Prinzen, in Emilia Galotti, an Statt, daß er das Gemälde seiner Emilia gegen die Wand drehet, wenn Marinelli kommt, damit dieser Marinelli es nicht sehen solle, – sehr viel zärtliches von seiner Liebe sagen; und sehe zu, ob sich irgend etwas finden könne, das, indem es den liebenden Italiener so vorzüglich charakterisirt, unsre Einbildungskraft so beschäftigen, uns so in Bewegung setzen werde, wie dieser Zug? – Ich glaube einiger Auftritte aus Minna von Barnhelm schon gedacht zu haben, wo Minna, nachdem sie ihren Tellheim wieder gefunden, der Franciska Geld aufdringt, dann ihr Geld für den ersten verwundeten Soldaten giebt, den sie antreffen würde u.s.w. Was konnte Minna sagen, das so gut ihre glückliche Liebe ausdrückte, als dies; und das also unsre Theilnehmung so stark zu erregen vermochte, als eben diese Handlungen einer wahrhaft Liebenden? –

Natürlich muß das, was unsre Theilnehmung erregen, unsre Empfindungen lebhaft beschäftigen soll, uns viel, und bestimmte Dinge sehen lassen. – Und sollte dem Romanendichter nicht so gut, wie dem dramatischen Dichter der Gebrauch solcher Züge frey stehen? Zwar hab' ich selbst die Beyspiele aus dramatischen Dichtern genommen; aber gewiß[497] andrer Ursachen wegen, als weil ich glaubte, daß sie nur dem Schauspiel allein zukommen. Denn auch aus erzählenden Werken hätt' ich sie nehmen können. Der Dichter der Musarion sagt uns sehr wenig davon, daß Phanias verliebt ist, und Phanias selbst erzählt es nicht; aber ein


– »er stockt, er schwieg« –


oder die Thränen


– »die wider Willen

In runden Tropfen ihm die Augenwinkel füllen« –


sagen mehr, mehr als zehn Erzählungen und zehn Liebeserklärungen hätten sagen können. Freylich werden wir die Sache immer nicht so lebhaft vor uns sehen können, als im Drama; aber um so mehr der Romanendichter Raum und Zeit in seinem Werke hat, um so ehe wird er uns, an statt von seinen Personen zu erzählen, daß sie lieben oder hassen, Handlungen der Liebe und des Hasses zeigen; – und um so mehr wird er dann auch unsere Theilnehmung erregen. –

Auch dann, wann die Rede von der bloßen Beschreibung einer Wirkung ist, kann der Dichter nie bildlich, nie bestimmt genug seyn. Auch wenn er nur in Prosa schreibt, ist die erste Foderung an ihn, daß er das Abstrakte ins Concrete verwandele; daß er uns das, in einem einzeln Fall zeige, was er sagen will. Und die Sache ist ja[498] auch so bekannt, so allgemein angenommen! Aber vielleicht eben, weil sie so bekannt ist, wird ihrer weniger, auch in der Ausübung, gedacht. Oder wird man ihren Mangel nicht gewahr? – Nichts ist, wie gedacht, kahler, nichts macht einen flachern Eindruck, als die allgemeinen Formeln und Ausdrücke; und in keiner Sprache sind sie häusiger und keiner sind sie eigenthümlicher als der französischen. Daher lesen sich denn auch die französischen Werke des Witzes so höchst langweilig; besonders wenn man einmal mit den Werken der Engländer bekannt ist. Ich würde hier dieses Umstandes nicht erwehnen, wenn ich nicht überzeugt zu seyn glaubte, daß auch diese flache Manier des Ausdrucks in unsrer Sprache, von den Franzosen sich herschreibt. – Home sagt: (Im 21sten Kap.) »Jeder Mensch von einigem Nachdenken muß gemerkt haben, daß ein Vorfall einen weit stärkern Eindruck auf einen Augenzeugen macht, als auf dieselbe Person, wenn sie von einem dritten ihn erst erfährt. Scribenten von Genie, welche wissen, daß das der beste Zugang zum Herzen ist, stellen jedes Ding so vor, als ob es vor unsern Augen vorgienge, und verwandeln uns gleichsam aus Lesern und Zuhörern in Zuschauer. Ein geschickter Scribent verbirgt sich und läßt nur seine Personen sehen; mit einem Wort, alles wird dramatisch,[499] so sehr es nur immer möglich ist. – Aus diesem glücklichen Talent enspringt der Nachdruck des Styls« u.s.w. Dies wird nun zum Theil dadurch mit erreicht, daß uns der Dichter ein bestimmtes Bild giebt, in welchem wir die Wirkung einer Leidenschaft, in einem einzelen Fall, in welchem wir die Aeußerung, bestimmt, sehen, die, z.B. der allgemeine Ausdruck: er liebte sie mit der innigsten Zärtlichkeit, enthalten kann. Denn diese Aeußerung, dieser Ausdruck kann vielleicht, unter hundert verschiedenen Gestalten und Bildern, je nachdem die Person ist, von welcher er gebraucht wird, erscheinen. Welchen soll nun der Leser sich gedenken? Und einen einzeln Fall muß sich der Leser denken, in ein Bild muß er diesen Ausdruck verwandeln, wenn er die Sache sinnlich fassen, wenn er sie sich anschauend darstellen, – mit einem Wort, wenn er in Bewegung gesetzt werden soll. Er wird, wenn seine Einbildungskraft auch lebhaft genug ist, sich das Bild zu schaffen, doch dem Dichter wenig Dank wissen, der ihm unter allen möglichen Fällen sich zerstreuen, und eine Arbeit überläßt, welche nicht zu haben, er nun eben den Dichter in die Hände nahm. Doch wie viele sind unter den Lesern der Dichter, die diese Arbeit selbst übernehmen, und dem Dichter nachhelfen können? – Vielleicht sehr wenige. –[500] Und daher kommt es denn nun sehr natürlich, daß die mehrsten dieser Leser, nach Endigung des Romans nicht eine Sache bestimmt wissen, und sich vorstellen können, die sie, nach der Meymmg des Dichters, aus ihm hätten lernen sollen. Dieses einzele Bild eines allgemeinen Falls, gewährt uns allein diejenigen Kenntnisse, die wir im Dichter überhaupt suchen, die Kenntniß des Menschen, indem wir die bestimmten Aeußerungen und Gestalten sehen, die der Mensch in den angenommenen Fällen haben kann. –

Es versteht sich von selbst, daß das Bild genau das darstellen muß, was es soll; daß es weder über, noch unter, noch seitwärts der sich zugetragenen Wirkung ist. Ein Dichter, der, z.B. statt: »er liebte sie mit der innigsten Zärtlichkeit,« zu sagen, diesen Ausdruck in ein und dasselbe Bild kleiden wollte, es sey die Rede von der Zärtlichkeit eines süßen Schwärmers, oder eines üppigen Wollüstlings, würde noch besser thun, wenn er die erste allgemeine Formel beybehielte. Denn beyde, der Schwärmer und der Wollüstling, können mit der innigsten Zärtlichkeit lieben; aber ein Ovid37 äußert seine Zärtlichkeit, indem er Corinnen entkleidet, und ein Agathon zieht, so gar über eine[501] schlafende Danae, »mit der leichten Hand eines Sylven das seidene Gewand wieder her, das Amor verrätherisch aufgedeckt hatte.« – Oder, wenn ein Dichter, anstatt zu sagen: »er war entzückt, wenn er sie nur sah,« unter einem und demselben Bilde, die Entzückung zweyer sehr verschiedenen Personen zeigen, und z.B. das, was Petrarca von sich selbst, in diesem Zustande sagt:


Cosi carco d'oblio

Il divin portamento.

E'l volto, e le parole, e'l dolce riso

M'aveano, e si diviso

Da l'imagine vera,

Ch' i' dicea sospirando:

Qui come venn'io, o quando?

Credendo esser in Ciel, no là dov'era.


als ein Bild jeder Entzückung ansehen, und nicht denken wollte, daß, z.B. ein Polydor, in der Waise des Otway, unter ganz andern Bildern, seine Entzückung, im ahnlichen Falle, ausdrücken muß:


when a Heav'n – born Maid, like you, appeard,

Strange pleasures fill'd his (Men's) Eyes, and fir'd his heart.


Monimia Act. I


Der Unterschied, der sich zwischen dem Eindruck der allgemeinen Formel, und dieses bildlichen, bestimmten Ausdrucks findet, ist nur zu groß, als[502] daß wir nicht mit Recht auf die Foderung dieses letztern bestehen sollten, wenn der Dichter unsre Theilnehmung zu erregen verlangt. Dies wird sich in einigen Beyspielen am besten zeigen. Man sage: »ach! wenn ich doch mit ihm gestorben wäre,« oder mit der Julie38:


Oh churl, drink all, and leave no friendly drop

To help me after?


Oder: »das Mägdchen war entzückt, da sie mit ihm tanzte,« – und halte dagegen:


Wie schwebte das glühende Mägdchen im himmlischen Tanze daher!


Weißens Romeo u. Julie.


hier haben wir eine bestimmte Vorstellung, an welcher unsre Einbildungskraft sich halten kann, ein Bild, das uns die Handlung darstellet, die uns in Bewegung sehen soll; dort eine allgemeine Beschreibung, bey der sich nichts sehen, folglich nichts empfinden läßt. –

Das, was zum Vortheil dieses bestimmten, bildlichen Ausdrucks, in Ansehung der Leidenschaft der Liebe und ihrer Wirkungen gesagt worden ist, gilt von ihm in allen Fällen. Home bemerkt ganz[503] vortreflich, daß in der Stelle des Addisons, wo dieser die Bedienten des Ritters Roger von Coverley beschreibt:


»Man sollte seinen Kammerdiener für seinen Bruder ansehen, sein Kellermeister hat graue Haare, sein Stallknecht ist einer der ernsthaftesten Männer, die ich noch gesehn habe, und sein Kutscher hat die Miene eines geheimen Raths« –


die Beschreibung des Stallknechts, der Beschreibung der übrigen Personen an Werth nicht gleich sey, weil der Ausdruck weitschweifig und allgemein ist, und kein bestimmtes Bild machen kann. –

Einige, aus dem Home genommene Beyspiele, mögen den Werth der bildlichen, bestimmten Ausdrücke noch mehr aufhellen. Zu dem Ende will ich die gewöhnlichen Beschreibungen dagegen setzen. Im Shakespear heißt es vom Fähndrich Pistol:


»Er ist kein Polterer; – ein frommer Schelm, wahrhaftig, ihr könnt ihn streicheln, wie einen jungen Hund; er wird nicht mit einer türkischen Henne poltern, wenn sie die Federn nur mit einem Scheine von Widerstand aufsträubt.«


2ter Th. Heinr. IV. 2 Aufz. 9 Auftr.


Man sehe an dessen statt:

»Er ist ein stiller, furchtsamer, guter Mensch; er thut keiner Seele Leids« – und sehe ... aber man sieht nichts mehr! die bestimmte Gestalt ist[504] weg, und man hat ein Formelchen, bey welchem man sich hundert besondre Vorstellungen machen kann, und von einer zur andern schwanken muß. –

Auf folgende Beschreibung würde sich mancher Romanendichter schon sehr viel zu Gute gethan haben: »Der Ort ist wüste und leer, und in eine Einöde verwandelt, wo nur Thiere wohnen und Unkraut wächst.« Eine Stelle aus dem Ossian mag ihn überführen, wie Unrecht er hätte:


»Die Distel schüttelt da ihr einsames Haupt, das Moos flisterte in den Wind. Der Fuchs sah aus den Fenstern hervor, und das Unkraut des Gemäuers flatterte um seinen Kopf«


Fingal.


Man sage von einem Sterbenden: »Er starb in der größten Verzweiflung,« oder denke sich dies unter folgendem einzeln Fall39:


»Lord Kardinal, wenn ihr Gnade vom Himmel hofft, so hebt die Hand in die Höhe, gebt ein Zeichen eurer Hoffnung. Er stirbt, und giebt kein Zeichen.«


2ter Theil Heinr. VI. 3 Aufz. 10 Auftr.
[505]

und vergleiche nun die verschiedenen Eindrücke!

Und eben so die folgende Stelle:


»Er sieht aus wie ein gesetzter, ehrbarer Mann, und giebt sich ein Ansehn von Weisheit und Würde; und weil er wenig redet: so halten ihn die Leute für sehr klug.«


mit dieser aus dem Shakespear40.


»Es giebt eine Gattung Leute, deren Gesichter, wie ein stehender Pfuhl, unter einer finstern Haut stecken, die immer eigensinnig still sind, in der Absicht, den Namen weiser, ernsthafter Leute, von tiefer Einsicht zu gewinnen, wie, wenn einer sagen wollte, ich bin Herr Orakel, und wenn ich den Mund öffne, so muß kein Hund bellen!« u.s.w. –


Man folgere aus diesen Vergleichungen, um wie viel tiefer der Eindruck gemacht, um wie viel mehr die Illusion befördert, und also unsre Theilnehmung[506] erregt werde, wenn wir, statt des allgemeinen Ausdrucks, statt einer unbestimmten Vorstellung, die Sache in einen einzeln Fall, in ein bestimmtes Bild verwandelt sehen. Meine Absicht bey diesen Vergleichungen und Beyspielen, ist keine andre gewesen, als die Vorzüge des individuellen Ausdrucks der Sache, und derjenigen Vorstellung, die uns durch das Kleid, um mich so auszudrücken, alle Züge und die besondre Gestalt des Körpers hindurch erblicken läßt, – anzupreisen. Ich habe nicht etwann den Gebrauch der eigentlichen, künstlichen Figuren der Rede überhaupt behandeln, oder jene räthselhafte Schreibart empfehlen wollen, die, unter den Händen eines Meisters von vortrefflicher Wirkung ist, in der wir aber auch oft, um mich mit dem Dichter auszudrücken, zwey Garben Stroh durchwühlen müssen, um zwey Körner Weitzen zu finden. Eine Abhandlung über jene (die eigentlichen Redefiguren) muß man vielleicht in einer Theorie der Dichtkunst überhaupt, suchen; und diese räthselhafte Schreibart möchte ich ehe abrathen, als empfehlen, da sie oft mehr Dunkelheit, als Licht, über die vorzustellenden Gegenstände verbreitet. Auch will ich nicht die, als Beyspiele angeführten Stellen, gerade zur Nachahmung aufgestellt haben. Die Situation, in welcher sie gebraucht worden, die Person, die sie gebraucht hat, und[507] die Sprache selbst, aus welcher sie genommen sind, können sehr leicht manches zu ihrer Wahrheit und Vortrefflichkeit beytragen. Man soll nur von ihnen die Anwendung auf andre Fälle, machen, nur die Vorzüge der bildlichen, bestimmten Vorstellung der Sache, folgern lernen. – Unsre Sprache hat ihre Eigenthümlichkeiten so gut wie irgend eine andre; und diese Eigenthümlichkeiten müssen, beym Ausdruck, zu allererst zu Rathe gezogen werden. Aus ihnen können dem Dichter unendlich viel Vortheile zuwachsen. Kein Dichter scheint bis jetzt noch so sehr diese Eigenthümlichkeiten gekannt, und sie in wahre Vorzüge unsrer Sprache vor andern, verwandelt zu haben, als H. Lessing. Sein Styl ist original deutsch.

Ich weis, daß manche Leute diese Lebhaftigkeit des Ausdrucks nicht eben für einen Vorzug erkennen werden. Sie kann ihnen leicht den Verfeinerungen zu widersprechen scheinen, die sie mit unsern Sitten, unserm Geschmack, unsrer Sprache vorhaben. Denn gar zu gern möchten sie uns ehrliche Deutsche in kalte, manierirte, feine, artige Geschöpfe verwandeln, die in Allem den bon ton haben, die in Allem sage, das heißt immer nüchtern sind; – gerne möchten sie unsre Sprache mit H. Herdern zu reden, entmannen. – Mein Vorsatz ist hier nicht, das Ungereimte dieser vermeinten[508] Verbesserung zu zeigen, oder eine Abhandlung über die Vorzüge und Eigenthümlichkeiten unsrer Sprache zu schreiben; ich will, wie gedacht, nichts, als das Studium dieser Sprache, und jenen bildlichen Ausdruck, jene, von dem Dichter gefoderte lebende Vorstellung der geschehenden Dinge, empfehlen.

Es ist der Mühe werth, über das Letztere, das angeführte Kapitel im Home, durchzugehen. Die Fehler, in die der Schriftsteller hierbey verfallen kann, finden sich eben dort angemerkt.

36

Quelle différence de peindre un effet, ou de le produire. Oeuvr. de Did. T. 2. p. 196 (Ed. de Berl.)

37

Amor, Lib. I. El. V. Deripui tunicam etc.

38

Oder auch mit Weißens Julie: »O warum konntest du mir nichts in dem unglücklichen Becher lassen? geliebter – Mennerdiger! nicht etliche tödtliche Tropfen?«

39

Lord Cardinal if thou think'st on Heav'ns blifs.

Hold up thy hand. make signal of thy hope.

He dies and makes no sign!

40

There is a fort of men, whose visages

Do cream and mantle like a standing pond;

And do a wilful stillness entretain,

With purpose to be dress'd in an opinion

Of wisdom, gravity, profound conceit;

As who should say, I am Sir Oracle,

And when I open my lips, let no dog bark!

March of Ven. Act. I. Sc. I.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 492-509.
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