23.

[519] Ueber die äußere Einrichtung eines Romans weis ich dem Romanendichter sehr wenig zu sagen. Die Verschiedenheiten, die darinn statt finden können, sind gern seiner Willkühr überlassen. Ich habe mich zwar schon darüber erklärt; aber ich will es wiederhohlen! Der Dicher wähle seine Personen, aus welcher Classe er wolle; – er führe uns von der Wiege des Helden, bis zu seiner fertigen Ausbildung, wie Fielding; oder bringe einen Theil dieser Begebenheiten, wie Wieland, in Erzählung; – er zeige uns einen ganzen werdenden Menschen; oder nehme ihn, so zu sagen, bey einer gewissen Periode, in einem gewissen innern Zustande, auf, um ihn in einen andern zu bringen: ich glaube,[519] daß er den Leser immer gleich angenehm unterhalten wird. Es sey ferne, den Dichter hierinn einschränken; oder all die verschiedenen äußern Gestalten des Romans für etwas anders ansehen zu wollen, als für – Kleinigkeiten. Eine Trauungs-Ceremonie mehr oder weniger macht die Sache nicht aus. Nur am Wesentlichsten lasse er es nie fehlen! Nur sey das Aeußere und das Innere seines Werks, aus allen Gesichtspunkten betrachtet, in der vortreflichsten Uebereinstimmung!

Die Nachtheile, die die Einkleidung der Geschichte in Briefe hat, ist bereits bemerkt worden. – Ich setze noch hinzu, daß ich, so ein dramatisches Ansehn sie auch immer haben mögen, in ihnen doch nur immer Erzählung höre, weil ich nur immer vergangene Begebenheiten hören kann. Und da die Personen selbst ihre Geschichtschreiber, selbst die Erzähler ihrer Vorfälle sind, so scheint es sehr schwer zu seyn, sie in einem Tone davon sprechen zu lassen, den sie uns nicht, als Prahler, als zu sehr beschäftigt mit Ihrem Selbst darstellt: ein Umstand, der allein einen Menschen unerträglich machen kann; wenn wir nämlich sonst nichts von ihm wissen. – Die Romane in Briefen, die wir haben, möchten schwerlich meine Meynung so ganz widerlegen. Geschwätz und Prahlerey legt man ihnen fast durchgängig zur Last. – Auch noch[520] aus einem andern Gesichtspunkte läßt sich die Sache ansehen. Zugeschweigen daß die Illusion des Lesers sehr oft gestört wird, weil wir immer, mehr oder weniger, den Dichter durch seine Personen durchgucken sehen, findet sich in den mehrsten Briefen aller Romane ein Mangel von Wahrscheinlichkeit und Widerspruch, der meines Wissens, noch gar nicht bemerkt worden ist. Ein Brief fängt sich oft sehr ruhig an, und wird immer unruhiger, (ohne daß die Person ihre Stelle verändert habe) so daß wir am Ende eine Begebenheit erfahren, wodurch sie natürlich in ihren Kummer, in ihre Unruhe gestürzt worden ist: eine Situation, in welcher sie sich aber also schon befand, da sie anfieng zu schreiben, und nach welcher sie also ihren Brief, weil sie eben in voller Bewegung war, ganz unruhig, ihrem Zustande gemäß, hätte anfangen müssen. Ein Beyspiel aus dem Grandison wird dies klärer machen. Ich nehme den ersten, besten Brief. In heftigen Situationen sind sich die mehrsten hierinn gleich. Man sieht aus dem Ende des siebenten Briefes im vierten Theil, daß sich Henriette niedersetzte, diesen Brief zu schreiben (den sie in einem Zuge fortschreibt), nachdem Sir Grandison sie verlassen hatte, und sie, mit Augen roth von Weinen, und mit einem: es ist vorbey! es ist alles vorbey! aus der Gesellschaft ihrer[521] Freunde gegangen war, um eben diesen Brief anzufangen. Wie hätte nun der Brief, ihrer Situation zufolge, in welcher sie ihn anfieng, seyn müssen? Zwar eine Einleitung steht da, die es entschuldigen soll, daß sie an das kältere, vorhergehende zuerst denkt; aber, – ich überlasse die Entscheidung einem Jeden, – ob in solcher Situation, und bey einem empfindlichen Charakter, wie Henriettens, sie nur an diese kalte Einleitung einmal denken konnte? Auf die paar Worte: O Lucia! ich hab' eine solche Unterredung zu erzählen, – folgt ein Brief, als ob Henriettens Gemüthsfassung, in der sie, ihrer eigenen Beschreibung nach, sich befand, da sie den Brief anfieng – nichts weniger als die trübe, melancholische gewesen wäre, die sie, mit Wahrheit, nach einer solchen Unterhaltung mit dem Grandison, auch seyn mußte. In dieser Gemüthsfassung nun, mit der sie, ihrem eigenen Geständniß zu Folge, schon war; da sie anfieng, und in welcher sie also, am Ende des Briefs, der Natur der Leidenschaften zu Folge, nicht mehr seyn sollte, weil sie ihr Herz ausgeschüttet hatte, und ihr Kummer leichter geworden war, – in eben dieser Gemüthsfassung endigt sie nun den Brief, mit einer Ergebung in alles, mit einem: »ich weis, Sie werden mich bedauern,« mit der sie geradesweges, nach Anlage des menschlichen Herzens, und[522] ihrer Situation, und ihres empfindlichen Charakters, den Brief anfangen mußte44. –

Man sagt vom Richardson, daß er seine Personen so vortreflich charakteristisch habe schreiben lassen. Es mag seyn! aber gewiß selten nach denen Situationen, in welchen sie sich befanden, da sie anfiengen. Und wenn das charakteristisch heissen kann: so weis ich nicht, was es heißt. Wie[523] der Dichter in diesen Fehler verfallen ist, begreife ich leicht. Wenn die Person nämlich den Brief in dem Tone angefangen hätte, in welchen ihre Gemüthsfassung, da sie sich zum Schreiben niedersetzte, gestimmt war: so würde der Leser natürlich nicht durch die verschiedenen Vorstellungen, durch die die Person hindurch gegangen ist, um in ihren letztern Gemüthszustand zu kommen, geführt werden können; er würde das letztere zu erst erfahren, die Wirkung ehe, als die Ursache gewahr werden müssen. Daraus würden, dem Ansehn nach, Lükken oder Sprünge im Werke entstehen. Und um dies zu vermeiden, hat denn wohl der Dichter die Person erst vor den Augen des Lesers das werden lassen, was sie schon war, da sie anfieng. Vergessen kann er dies unmöglich haben. – Ich will es zugeben, daß eine Person auf diese Art ihre Geschichte erzählen könne, wenn sie sich nicht im heftigsten Affekt niedersetzt: – wenn der Dichter sie nicht ehe anfangen läßt, als bis ihre aufgebrachten Leidenschaften ruhiger geworden sind; aber, zugeschweigen, daß es natürlicher ist, sie in jenem Zustande anheben zu lassen, weil dann das beunruhigte Herz vor allen Dingen Linderung und Erleichterung, und Entledigung seines Kummers sucht: so kann auch in jenem Fall, nie diese Unruhe wieder bis zu dem Grade steigen, in welchem sie, im[524] Augenblick der Handlung selbst, war. Und um diesen Zustand ist es doch dem Dichter vorzüglich zu thun. –

Es sey ferne von mir, dem Genie Gränzen vorzeichnen zu wollen! Es kann vielleicht auch diese Einkleidung der Geschichte in Briefen so behandeln, – ob ich es gleich nicht abzusehn vermag – daß der kaltblütigste Untersucher nicht Anlaß zum Tadel erhält. –

Wenn der Dichter selbst der Erzähler ist: so kann ich ihm, über den Ton, in dem er erzählen soll, und über die Schreibart, nichts sagen, als was er nicht in allen guten Kunstrichtern besser gesagt fände. Er hüte sich nur, daß er uns die Thaten und Begebenheiten seiner Kinder, in einem Tone erzähle, der ihn in den Verdacht der ekelhaftesten Schmeicheley bringen kann; denn keine Schmeicheley ist lächerlicher, als die der Vater seinem Kinde macht. Und wir würden dadurch nur an das Daseyn des Dichters selbst erinnert werden; und von ihm wollen wir selten gern etwas wissen. Wir haben es mit seinen Personen zu thun. – Das größte Lob, das er erhalten kann, ist, – daß wir ihn ganz über seinem Werke vergessen haben.

In Ansehung des Styls will ich Deutlichkeit zuerst, und dann Richtigkeit und Nachdruck empfehlen.[525] Wenn, nach der Sage der Kunstrichter und Journalisten, unsre besten Köpfe noch den Vorwurf verdienen, daß sie sich oft unrichtig, unbestimmt, oder gar affektirt ausdrücken: so wird der Romanendichter nicht mit Sorgfalt und Behutsamkeit genug zu Werke gehen können. – Die Vorzüge der Schreibart sind von so guter Wirkung, daß einige der Romanendichter der Lebhaftigkeit ihres Styls, – und vielleicht ihrem Witze, – einen großen Theil des Beyfalls zu danken haben, mit welchem ihre Werke aufgenommen worden sind. Diese Eigenschaften fühlt jeder Leser, der aber die höhern und wichtigern Schönheiten nicht einzusehn vermag.


Uebereinstimmung zwischen der Materie und der Schreibart ist eine höchst wichtige, höchst nothwendige Erfoderniß, aber es ist so viel schon darüber gesagt worden, daß ich nichts hinzusetzen darf, um den Werth der Sache zu zeigen.


Die Vorzüge des launichten Schriftstellers sind bekannt. Außer dem Reiz, den die launichte Erzählung gewährt, hat der Schriftsteller dieser Art vielleicht vorzüglich das Recht, vor seinen Personen hervorzutreten, und uns mit Bemerkungen und Aufklärungen über die Reihe der Begebenheiten zu unterhalten. Altägliche Dinge aber werden[526] wir freylich auch von ihm nicht hören wollen. – Den Mißbrauch der Laune aber, kann ich nicht genug widerrathen. Unter den Händen der Yörickschen Nachahmer hat die gute Laune zu so abentheurlichen Verdrehungen in Gedanken und im Styl Anlaß gegeben, daß sich nichts poßierlicher lesen läßt, als ein Theil unsrer Reiseschreiber. Und das, was die Yörickschen Reisen charakterisirt, Kenntniß des menschlichen Herzens, findet sich nun in ihnen so wenig, daß sie uns durch nichts, der seltsamen Sprünge wegen schadlos halten, die sie mit unsrer Einbildungskraft vorgenommen haben. – Auch an einzeln Stellen kann zu viel Laune unangenehme Wirkungen machen. Der weise Dichter des Agathon hat, in der neuen Auflage, das Gleichniß, das sich unten auf Seite 6. der ersten Ausgabe findet, weggeschnitten. Und eben so ist eine andre Stelle von der 169 Seite der ersten Ausgabe zurück gelassen worden; vielleicht weil beyde, für die Wichtigkeit der bezeichneten Sache, zu launicht waren. In heftigen, sehr rührenden Situationen kann Laune eben so unschicklich seyn. Vielleicht verträgt sie sich aber desto besser mit unwichtigen, gleichgültigen Begebenheiten und Personen, indem sie natürlich den weniger anziehenden Innhalt aufstutzt. –[527]

Hier endige ich diesen Versuch. Dies Wort selbst wird es erklären, was die ganze Schrift seyn soll. Ich habe nicht etwann den Gesetzgeber machen wollen; nur meine Meynung hab ich, frey sagen zu dürfen, geglaubt, – und um desto ehe, da weder beym Lobe, noch beym Tadel, eine andre Absicht gewesen ist, als diese. Nicht um des Dichters, sondern um mein selbst willen, hab' ich das Gute gelobt. Ich gesteh' es, daß ich zu stolz bin, um schmeicheln zu können; aber eben so gewiß bin ich es auch, um aus niedrigen Absichten, tadeln zu wollen!


ENDE.[528]

44

Ich besinne mich, in einem Engländischen Schriftsteller (mich dünkt, im Addison) eine Bemerkung über den Ovid gelesen zu haben, die zu wahr ist, und zu gut sich auf das Obige anwenden läßt, als daß ich sie nicht herschreiben sollte. Es ist bekannt, und die Erfahrung kann Jeden davon überführen, daß ein großer Theil der Elegien, die der unglückliche Dichter aus seinem Verbannungsorte schrieb, sich weit rührender, weit mehr im Tone eines bekümmerten, wahrhaft klagenden Geistes anfangen, als sie sich enden, mit einem Wort, daß sie im Anfange mehr Elegie sind, als beym Ausgange. Dies schien der angeführte Schriftsteller mir sehr glücklich dadurch zu erklären, daß er annahm, der Dichter habe sich, mit einem wahrhaft bewegten Herzen, niedergesetzt; allein das Geschäft des Dichters selbst habe seinen Kummer zerstreut; er habe seine Leiden, über der Arbeit sie auszudrücken, vergessen; und so sey er natürlich in den, ihm eigenthümlichen Ton wieder zurück gefallen; er sey der bloß witzige Ovid wieder geworden, der er überhaupt war. – Das, was von seinem Leiden, von seinem Unglück zeugen sollte, wurde zum Mittel, ihn wieder aufzuheitern. – Man mache hiervon die Anwendung auf den angeführten Brief Henriettens und andre von der Art! In der Natur des menschlichen Herzens liegt nichts, das der vorigen Bemerkung widerspräche. Sie wird ehe durch alles bestätigt.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 519-529.
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