An eine Linde zu P***

[37] Liebe Linde, du vor allen Bäumen

Meinem Herzen lieb und werth!

Dank dir, daß du meinen Liebesträumen

Schutz und Schatten oft gewährt.


Ach, wie wohl that's, wenn dein heilig Schweigen

Oft in trauten Arm mich nahm,[37]

Und herab aus deinen dunkeln Zweigen

Liebesschauer auf mich kam!


Dich ernähr' und pflege Mutter Erde

Lange noch in ihrem Schoos!

Blühe, wachse, und gedeih' und werde,

Werde noch einmal so groß.


Daß den Wand'rer Schauer einst durchfahren,

Wenn er deine Größe sieht,

Und ein Jüngling noch nach hundert Jahren

Liebgedrungen zu dir flieht.


Doch, daß künftig hin auch, liebe Linde,

Gute Mädchen hold dir sei'n,

Sieh, so schneid' ich hier in deine Rinde

Meines Mädchens Namen ein.


Jünglinge und Mädchen werden kommen,

Ihre Namen dir zu weih'n;

Und von nun an wirst du allen frommen

Edlen Seelen heilig sein.


Will dein Herr dereinst in's Grab dich senken,

Werden ihm die Namen dräu'n,

Schaudernd wird an seine Lieb' er denken,

Und gerührt dich nicht entweih'n.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 37-38.
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