Die Kunst zu lieben

[142] An Lydia.


Mädchen, will man recht sich freu'n

Wie sich's ziemt, so muß man fein

Amors Spiele kennen;

Also, Mädchen, höre mich,

Im vertrauen Ton will ich

Sie dir alle nennen.


Erstlich soll ein liebend Herz

Jede Handlung, jeden Schmerz

Adeln und beleben;

Nur die Liebe lehrt die Kunst,

Jedem Spiele, jeder Gunst

Grazie zu geben.


Küsse sind der Liebe Bund:

Es ist süß, wenn Mund an Mund

Sich mein Blick umnebelt;

Aber noch weit süsser, wenn

Dein gespitztes Züngelchen

Mit dem meinen schnäbelt.


Auch schmeckt trefflich jeder Kuß,

Den ich nicht erbetteln muß;

Aber, Mädchen, glaube,[142]

Noch viel besser schmeckt er mir,

Wenn du schmollst, und ich ihn dir,

Dann verstoßen raube.


Doch wenn der Gesellschaft Zwang

Uns oft manche Stunde lang

Auf die Folter spannet,

Und verwünschter Lauscher Blick

Uns dann in uns selbst zurück

Menschenfeindlich bannet;


Dann soll, Jedem unsichtbar,

Dir im feuchten Augenpaar

Stille Liebe blinken,

Und in jedem Lächeln soll

Naher, naher Liebeszoll

Mir entgegen winken.


Schlaue Liebeständeley,

Händedruck, Liebäugeley,

Unter'm Tisch ein Füßchen,

Fest an meines angedrückt,

Auch, wenn Niemand auf uns blickt,

Ein verstohl'nes Küßchen.


Und die tausend Künstchen all'

Werden, Liebchen, überall

Lebensfroh uns machen,

Und in jedem Cirkel wird,

Von dem Neid unausgespürt,

Uns die Liebe lachen.


Aber, wenn wir ganz allein

Bloß der Liebe Glück uns weih'n

Ungeseh'n uns küssen:

Dann laß Phantasie und Herz,

Jeder Laune, jedem Schmerz

Alle Zügel schiessen!
[143]

Dann laß uns beim ersten Kuß,

Aufgelöst in Lieb'sgenuß

In einander sinken,

Und mit trunknem Geist und Sinn

Aus dem Wollustbecher in

Langen Zügen trinken.


Sieh doch, wie durch Zauberei

Ist mir all' die Künstelei

Angesichts verschwunden:

Nichts sag' ich dir weiter an,

Wer die Lust beregeln kann,

Hat sie nie empfunden.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 142-144.
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