Prolog zu Herrn Nicolai's neuester Reisebeschreibung von Obermayer

[74] Der bösen Kritik Ursprung fällt

Gerade in das Jahr der Welt,

Das man nicht darf bedeuten;[74]

Weil sich zwei große Kritiker,

Petavius und Skaliger,

Im Grabe d'rum noch streiten.


Kurzum, der erste Kritiker

War Cham: der ging zum Luzifer

Sechs Monat' in die Lehre:

Er zeigte bald recht viel Geschick,

Und machte durch sein Meisterstück

Dem Meister sehr viel Ehre.


Denn als sein Herr Papa sich krank

Am ersten Ratzerstorfer trank,

(Und wie's im heissen Lande

Oft Blössen gibt) so sah er ihn,

Und zeigte mit dem Finger hin,

Auf seines Vaters Schande.


Doch, hätte schon um diese Zeit

Von derlei Blössen Würdigkeit

Präputius1 geschrieben,[75]

Es wäre, das versichr' ich euch,

Der unverschämte Fingerzeig

Gewißlich unterblieben.


So aber ward der Wein verflucht,

Und macht nun dem, der ihn versucht,

Koliken im Gehirne:

Wir selbst sah'n noch zu uns'rer Zeit,

Die Folgen seiner Schädlichkeit

An Nicolai's Stirne.


Allein davon ein andermal –

Die Kritik ward nun überall

Durch Cham's Geblüt verbreitet:

Auf Sara's Runzeln, Abram's Bart,

Aus Ziegen, Ochsen, Schafe ward

Mit Fingern hingedeutet.


Noch ärger ging's zu Babel her,

Da war kein Ziegel, den das Heer

Der Kritiker verschonte,

Woher es denn auch kommen mag,

Daß man damit bis diesen Tag

Nicht fertig werden konnte.


Und eben von dem Saus und Braus

Bekam das grosse Schneckenhaus

Den bösen Namen Babel;

Denn als sie's gar zu bunt gemacht,

Wuchs jedem Kritler über Nacht

Zur Straf ein andr'er Schnabel.


Das Kritlervolk zerstreute sich

Nun unter jeden Himmelsstrich,

Ward kecker in der Ferne,[76]

Und bellt nun, wenn es ihm gefällt,

So wie der Hund den Mond anbellt,

Hinan bis an die Sterne.


Der Zeichendeuter Balaam2

Ließ sich der erste ohne Schaam

Mit Geld und Schimpfen dingen:

Er wollte los gen Israel zieh'n,

Doch glückt' es seinem Esel, ihn

Noch zur Raison zu bringen.


Dafür gelang's dem Semei,

Der seinem Herrn in's Antlitz spie,

Sich zu nobilitiren:

Denn der Minister machte kund:

Er sollt' hinfür den Titel: Hund,

Im Prädikate führen3.


Indeß die Kritik auf der Welt

Ihr Amt bald gratis, bald um's Geld

So ziemlich leidlich führte,

Geschahe in der Himmelsburg

Ein Unglück, das sie durch und durch

Mit Giftschaum inprägnirte.


Der alte Momus, der bisher

Am Hof des Vaters Jupiter

Den Tischhannswursten spielte,

Als er einst Junons Möpschen stieß,

Bekam von ihm solch einen Biß,

Daß er vor Schmerzen brüllte.


Und weil das Hündchen wüthig war,

So ward es auch der arme Narr,

Es schwoll ihm Mund und Kehle;

Und jedes Wörtchen, das er sprach,[77]

Ward auf der Zunge Gift, und stach

Die Götter in die Seele.


Er tobt' und schäumte fürchterlich,

Biß unter'n Göttern wild um sich

Und ihren Kammerdienern;

Kurzum, er spielte allen mit,

Wie unlängst ein Nicolait

Es machte mit den Wienern.


Seit dieser Zeit ist Kritelei

Und böse Hundswuth einerlei:

Das Gift fieng an zu schleichen,

Und ist, kömmt's gleich vom Himmel her,

Den Menschen nun gleich schrecklicher,

Als Pest und and're Seuchen.


Denn ach! vom Kritlergifte wird

Man augenblicklich inficirt

Vom Fuß bis auf zum Scheitel;

Ja vor dem Biß des Kritikus

Schützt nicht einmal Merkurius –

Nur höchstens noch sein Beutel.


Dabei ist dieses Gift sehr fein,

Man kann es in ein Briefelein

Ganz leichtlich einballiren;

Man liest, und ist des Giftes voll,

Und so kann man von einem Pol

Zum andern inficiren.


Ja, was noch mehr, es ist so scharf,

Daß man's nur sehen lassen darf,

Um Unheil anzustiften;

Auch kann man nach Jahrtausenden

Damit die Abgeschiedenen

Im Grabe noch vergiften.


Nun sollt ihr Herr'n noch kurz und gut

Von der besagten Krittlerwuth[78]

Den ganzen Stammbaum wissen:

Gebt Acht: Man hat von Momus an

Bis auf den heut'gen Tag fortan

Einander sich gebissen.


Mit rechtem Hundesappetit

Biß einst Herr Momus den Thersit,

So kam das Gift schon weiter:

Weil der Gebißne beißen muß,

So biß Thersit den Zoilus,

Homerens Sylbenreiter.


Herr Zoilus war auch nicht faul,

Und biß den Aristarch in's Maul,

Den grossen Splitterrichter;

Der aber biß den Mevius,

Mev aber biß nun aus Verdruß

Herrn Martial, den Dichter.


Und Skaliger, gelehrt, durch ihn,

Biß den Muretus4 – doch wohin? –

Das müßt ihr mich nicht fragen:

Und wenn es denn gesagt seyn muß,

So gehet hin, – Präputius

Wird euch's statt meiner sagen.


Der hochgelehrte Fleischerhund

Sciopius biß alles wund,

Was er nur wahrgenommen,

Und weil er die Jesuiten biß,

So ist das Gift auch unter dieß

Electum Vas gekommen,


Hier ward es noch gefährlicher,

Dann schleichend Gift und trieb nicht mehr

Den Schaum heraus zum Munde;[79]

Es war oft, eh man sich's versah,

Im Leibe des Gebißnen da,

Doch sah man keine Wunde.


Allein mit gifterfülltem Zahn

Fiel Burmann einst Herrn Klotzen an,

Und zwickt' ihn in die Wade;

Klotz ward nun auch dem Wasser gram,

Und wer ihm nur zu nahe kam,

Den biß er ohne Gnade.


Er biß gar schrecklich um sich her,

Es wollte schon kein Autor mehr

Auf off'ner Strasse gehen,

Herr Doktor Lessing gab ihm zwar

Zum Schwitzen ein, allein es war

Nun schon einmal geschehen.


Einst als die Wuth in's Hirn ihm schoß,

Ging er auf Nikolai los,

Und packt' ihn bei den Ohren:

Der Arme schrie gar jämmerlich:

Iha! Iha! – und fühlte sich

Zum Kritler auserkohren.


Nun war das Gift im rechten Mann:

Er schäumte wild, und biß fortan

Mit Jedem in die Wette,

Die Polizei litt in Berlin

Das Beissen nicht, d'rum schloß man ihn

An eine lange Kette.


Doch um das Gift, das ihm fortan

In Strömen aus dem Munde rann,

Durch Deutschland zu verbreiten,

So ließ er für den Giftschaum all'

Sich einen eigenen Kanal

Von Löschpapier bereiten.
[80]

Vor diesem mächtigen Kanal

Ließ er die grossen Männer all'

In Kupfer konterfeien,

Um ihnen, wenn's ihn lüstete,

Zum mind'sten in Effigie

In's Angesicht zu speien.


Bald fiel's ihm ein, die Dichterschaar

Die nicht so, wie sein Ramler, war,

In Stücke zu zerreissen;

Bald wandelte die Lust ihn an,

Den Teufel, der ihm nichts gethan,

Zur Höll' hinauszubeissen.


Einst fiel er einen Britten an

Mit seinem Uebersetzerzahn,

(Denn ach! sein Bauch war eitel)

Den fraß er, spie ihn d'rauf und hieß

Uns essen, doch wer aß, den biß

Er schrecklich in den Beutel.


Mit beiden Pfoten scharrt' er d'rauf

Der Tempelherren Gräber auf,

Und nagt' an ihren Knochen,

Und ruhte keinen Augenblick,

Bis er den Armen das Genick

Zum zweitenmal gebrochen.


Einst als die Wuth am höchsten war,

Zerriß er seine Kette gar,

Und lief nach neuer Beute:

Die Böhmen und die Deutschen sah'n

Ihn laufen, aber jedermann

Ging hübsch ihm auf die Seite.


Gar bald kam er in Wien auch an,

Hier schärft' er seinen Kritlerzahn

Zu neuen Heldenthaten;

Trank unsern Ratzerstorfer Wein,[81]

Und ach, verbiß sich obend'rein

In unsern Lungenbraten.


Allein man scheute seine Wuth,

D'rum fand der Magistrat füt gut,

Sogleich zu publiciren:

Zur Sicherheit soll man hinfür

Die tollen Hund' und Krittler hier

An einem Strickchen führen.


Auch lag bei hoher Obrigkeit

Sankt Huberts Schlüssel schon bereit,

Um ihn damit zu brennen:

Doch er verließ, eh dies gescheh'n,

Die Grenzen uns'rer Linien5

Um in die Schweiz zu rennen.


Was er gegessen und geseh'n,

Ward in dem Leib des Wüthigen

Zu Gift im Augenblicke:

So kam er toller als vorher,

Bepackt mit Gifte Zentnerschwer,

Nun nach Berlin zurücke.


Da staunte man ob seiner Wuth,

Und fürchtet' eine Sündenfluth,

Im Fall er bersten sollte;

Gleich ritt die Polizey herum,

Die ein Collegium medicum

Dafür zusammenholte.
[82]

Man disputirte her und hin,

Und als die Aerzte von Berlin

Nun ihre Vota gaben,

So decitirte der, man sollt'

Ihm aderlassen, jener wollt'

Ihn angezapfet haben.


Allein der Protomedicus

Stand auf, und sprach: ihr Herr'n, hier muß

Man keine Zeit verlieren,

Ich fand des Giftes ihn so voll,

Daß er sogleich purgiren soll;

Und alle schrie'n – purgieren!


Man gab ihm ein. Die Dosis war

Gewaltig groß, und macht' ihm gar

Entsetzliche Beschwerden:

Er schrie dabei gar jämmerlich,

Und krümmte manche Stunde sich,

Des Giftes los zu werden.


Nach langem Drucken endlich wich

Das Gift von ihm, er gab von sich

Acht dicke Bände Reisen:

Dazu lud er uns schriftlich ein,

Und wer von der Partie will sein,

Dem wünsch' ich – wohl zu speisen!

Fußnoten

1 Präputius war ein außerordentlicher Mann, der einer sichern Tradition zufolge, zu Davids Zeiten lebte. Er war ein jüdischer Theologe, und soll, als David die zweihundert Philister erschlug, um seiner Braut ihre Vorhäute zur Morgengabe zu bringen, die tödtlich Verwundeten jüdisch unterrichtet und geprüft, und dann das Amt eines Vorschneiders an ihnen verrichtet haben. Er stammte in gerader Linie von jenem Präputius ab, der zu Mosis Zeiten die Verehrung des goldenen Kalbes vertheidigte, und darüber zum Martyrer geworden sein soll. Denn die Rabbiner sagen: Moses habe ihn deßhalb in fünfzehn Stücke zerhauen, und diese Stücke in alle vier Weltgegenden zerstreuen lassen, davon gerade das vierzehnte Stück, wie einige Philologen behaupten wollen, unseren Gegenden zu Theil geworden sein soll.


2 Der hebräische Name Balaam bedeutet im Griechischen so viel als Nicolaus.


3 Zweites Buch der Könige 16, 9.


4 Skaliger spottete bekanntermassen in einem Sinngedichte über den Muretus, als dieser der Päderastie halber in Gefahr kam, verbrannt zu werden.


5 Der Verfasser hat hier offenbar ein Plagium begangen. Dieses Ausdrucks bediente sich der Berliner Recensent, da er im 51sten B. 2tes St. der allgem. deutschen Bibliothek S. 562 von den Wiener Schriften sagte: Sie können nicht über die Gränzen der Linien. Was der Ausdruck bedeuten soll, ist in Berlin zu erfragen.


Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 74-83.
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