Dritte Geschichte

[222] Eine Dame, die in einen jungen Mann verliebt ist, bringt unter dem Vorwand der Beichte und großer Gewissenhaftigkeit einen sittenstrengen Mönch dahin, daß er, ohne zu wissen, was er tut, sie an das Ziel ihrer Wünsche führt.


Als Pampinea geendet hatte, lobten fast alle die Kühnheit und Vorsicht des Stallknechts wie auch die Weisheit des Königs, bis die Königin, zu Filomena gewandt, ihr fortzufahren befahl. Filomena gehorchte und begann mit Anmut also zu reden:

Ich denke euch einen Streich zu erzählen, den eine schöne Frau einem gestrengen Mönch wirklich gespielt hat und der einen Laien um so mehr ergötzen muß, weil diese Pfaffen, die meistens herzlich albern und ungeschliffen sind, alles besser verstehen und machen wollen als andere Leute, während sie doch viel geringer zu achten sind als jene, da sie sich aus Niedrigkeit ihrer Gesinnung nicht getrauen, wie andere Menschen auf eigenen Beinen durchs Leben zu gehen, sondern den Schweinen gleich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen bekomnen. Ich erzähle euch, ihr liebenswürdigen Mädchen, diese Geschichte nicht nur, weil die Reihe mich eben trifft, sondern auch um euch zu zeigen, wie selbst die Pfaffen, zu denen wir in übermäßiger Leichtgläubigkeit allzu großes Vertrauen haben, von unsereins, geschweige denn von Männern, mit einiger Schlauheit gehörig angeführt werden können und werden.

Vor einigen Jahren lebte in unserer Stadt, die an Trug reicher ist als an Güte und Redlichkeit, eine Edeldame, welche die Natur nicht minder als irgendeine andere mit Schönheit geschmückt und mit hohem Sinn und feinem Verstand begabt hatte. Ich verschweige ihren mir wohlbekannten Namen, wie auch die übrigen, die in diese Geschichte verflochten sind: denn noch sind mehrere am Leben, die sich vor Zorn darüber nicht würden zu lassen wissen, während der Vorfall doch nur belacht zu werden verdient. Diese Dame, die ihrer vornehmen Abkunft ungeachtet an einen Wollweber verheiratet war, konnte nie verwinden, wie kränkend es für sie war, einen Handwerker zum Manne zu haben. Denn ein Bürgerlicher schien ihr[223] immer, wie reich er auch sein mochte, einer adeligen Frau unwürdig. Die niedrige Beschäftigung ihres Mannes, der es mit all seinem Reichtum nie weiter brachte, als sich aufs Sortieren, auf Einschlag und Aufzug zu verstehen oder sich mit den Spinnerinnen um die Gebinde zu zanken, bestärkte sie in ihrem Vorsatz, seinen Umarmungen, soweit es sich tun ließe, aus dem Wege zu gehen, wofür sie sich dann bei jemandem zu entschädigen gedachte, der ihr würdiger als der Wollweber schiene.

Wirklich verliebte sie sich so in einen ganz wackeren Edelmann von mittleren Jahren, daß sie nachts nicht schlafen konnte, wenn sie ihn den Tag über nicht gesehen hatte. Der gute Mann aber, der nichts davon ahnte, bekümmerte sich nicht um sie, und sie war zu vorsichtig, um durch weibliche Botschafter oder Briefe sich etwaigen Gefahren aussetzen zu wollen. Dagegen hatte sie gemerkt, daß er häufig mit einem Pfaffen verkehrte, der, so einfältig und ungebildet er war, wegen seines strengen Lebens doch bei den meisten für einen ganz besonderen Mönch galt.

Die Dame war der Meinung, dieser Geistliche könne zwischen ihr und ihrem Geliebten am besten den Mittelsmann abgeben. Deshalb ging sie, nachdem sie mit sich selbst über die Art ihres Benehmens einig geworden war, in die Kirche, zu welcher er gehörte, ließ ihn rufen und sagte, sie wünsche, wenn es ihm gefällig sei, bei ihm zu beichten. Der Pfaffe zeigte sich sogleich bereit; denn er sah ihr an, sie müsse eine Frau von Stande sein. Nach der Beichte sagte die Dame: »Ehrwürdiger Herr, noch muß ich Euch um Rat und Hilfe in einer Angelegenheit bitten, über die ich Euch unterrichten will. Ihr kennt aus meiner eigenen Beichte meine Familie und meinen Mann. Er liebt mich mehr als sein Leben, und kaum äußere ich irgendeinen Wunsch, so erfüllt er ihn auf der Stelle, wie er das vermöge seines Reichtums wohl vermag. Dafür liebe ich ihn denn auch mehr als mich selbst, und wenn ich nur eines Gedankens, geschweige denn einer Handlung fähig wäre, die seiner Ehre oder seinem Gefallen zuwiderliefe, so verdiente gewiß keine arge Hexe den Scheiterhaufen so sehr wie ich. Nun werde ich aber, vielleicht weil er mich andern Sinnes glaubt, von einem jungen Manne förmlich belagert, dessen Name mir nicht bekannt ist, der aber[224] von Stande zu sein scheint, hübsch und groß von Gestalt ist, gewöhnlich feines braunes Tuch trägt und, wenn ich mich nicht irre, viel mit Euch umgeht. Ich kann vor keine Tür und an kein Fenster treten oder gar aus dem Hause gehen, ohne daß er gleich bei der Hand wäre. Mich wundert's nur, daß er nicht schon hier ist. Mir aber ist die ganze Sache äußerst unlieb; denn solch ein Benehmen kann auch die anständigste Frau in einen üblen Ruf bringen. Ich hatte mir schon vorgenommen, es ihm durch meine Brüder sagen zu lassen; dann habe ich aber wieder bedacht, wie Männer solche Bestellungen so auszurichten pflegen, daß die Antwort übel ausfällt. Es gibt einen Wortwechsel, und von den Worten kommt es am Ende zu Tätlichkeiten. Darum habe ich stillgeschwiegen, um Unglück und Ärgernis zu vermeiden, und habe mich entschlossen, mit Euch zu reden, teils weil Ihr sein Freund zu sein scheint, teils weil es sich für Euch schickt, über dergleichen Dinge auch fremde Leute, wieviel mehr denn Euren Freund, zu ermahnen. Und so bitte ich Euch denn um Gottes willen, ihm für sein Benehmen einen Verweis zu geben und ihn zu bitten, daß er sich dessen in Zukunft enthalte. Es gibt andere Weiber genug, die wohl an solchen Geschichten Gefallen finden. Die werden sich freuen, wenn er ihnen nachgafft und ihnen den Hof macht. Mir aber, die ich zu solchen Torheiten keineswegs aufgelegt bin, ist dergleichen im höchsten Grade lästig.«

Nachdem sie dies gesagt hatte, senkte sie den Kopf, als träten ihr die Tränen in die Augen. Unser Heiliger erriet alsbald, wen sie wirklich meinte, lobte sie wegen ihres heilsamen Entschlusses und versprach ihr, von der Wahrheit ihres Berichts vollkommen überzeugt, es schon dahin zu bringen, daß dieser Mensch ihr nicht mehr lästig fallen solle. Da er wußte, daß sie reich war, empfahl er ihr ferner noch Almosen und gute Werke und trug ihr seine eigenen Bedürfnisse vor. Die Dame erwiderte: »Ich bitte Euch um Gottes willen, tut, wie Ihr gesagt habt, und sollte er etwa leugnen wollen, so sagt ihm nur, ich selbst hätte Euch alles gesagt und mich bei Euch beschwert.«

Als nun die Beichte vorbei war und der Mönch ihre Bußen bestimmt hatte, gedachte sie der Ermahnungen zu guten Werken, die er ihr erteilt hatte, drückte ihm ein reichliches[225] Geschenk in die Hand und bat ihn, für ihre verstorbenen Angehörigen ein paar Seelenmessen zu lesen. Darauf erhob sie sich vom Beichtstuhl und ging nach Hause.

Nicht lange darauf kam der Edelmann nach seiner Gewohnheit zu unserem ehrwürdigen Herrn, der ihn, nachdem sie einige Augenblicke über dies und jenes gesprochen hatten, beiseite nahm und ganz höflich wegen der Aufmerksamkeit und der verliebten Blicke zur Rede stellte, mit denen er nach ihrer eigenen Erzählung jene Dame von ihm verfolgt glaubte. Der Edelmann, der ihr niemals nachgesehen hatte und sehr selten an ihrem Hause vorüberkam, wunderte sich nicht wenig und fing an, sich zu verteidigen. Der Pater aber ließ ihn nicht zu Worte kommen und sagte: »Stell dich nur nicht so verwundert und verliere deine Worte nicht, um zu leugnen, was du doch nicht leugnen kannst. Ich rede keinen Nachbarklatsch nach, denn sie hat, mit vielen Klagen über dich, mir alles selbst erzählt. Und obgleich sich solche Tändeleien überhaupt nicht für dich schicken, so will ich dir nur so viel sagen, daß, wenn einer diese Albernheiten zuwider sind, so sind sie's ihr. Darum rate ich dir zu deiner eigenen Ehre und ihr zu Gefallen, bleib davon und lasse sie in Frieden.«

Der Edelmann, der etwas schärfer sah als der gute Pater, erriet bald genug die Schlauheit der Dame, tat also etwas beschämt und versprach, sich nicht weiter in diese Sache einzulassen. Dann verließ er den Mönch und eilte zum Hause der Dame, die noch immer an einem kleinen Fenster aufmerksam verweilte, um ihn zu sehen, wenn er etwa vorüberginge. Als sie ihn nun erblickte, erzeigte sie sich gegen ihn so freundlich und gefällig, daß er wohl einsehen mußte, er habe die Worte des Mönchs richtig verstanden. Und so ging er denn von diesem Tage an zu seinem eigenen Vergnügen und zu großer Freude und Beruhigung der Dame vorsichtig, als ob andere Geschäfte ihn dorthin führten, täglich jene Straße entlang.

Die Dame indes hatte sich bald überzeugt, daß sie ihm ebenso gut gefiel wie er ihr, und voller Verlangen, ihn noch mehr zu entflammen und ihm ein sicheres Zeichen ihrer Liebe zu ihm zu geben, nahm sie die Gelegenheit wahr, zu dem ehrwürdigen Klosterbruder zurückzukehren. Kaum hatte sie sich ihm zu[226] Füßen niedergelassen, so begann sie bitterlich zu weinen. Als der Geistliche sie in Tränen sah, fragte er voller Teilnahme, was sie Neues bringe. Die Dame antwortete: »Hochwürdiger, ich habe keine anderen Neuigkeiten als solche von Eurem verwünschten Freunde, über den ich mich neulich schon beschwerte. Wahrlich, ich glaube, er ist geboren, um mich zu plagen und zu Dingen zu verlocken, um derentwillen ich mir ewige Vorwürfe machen und nie wieder wagen würde, vor Euch zu erscheinen.« »Wie«, sagte der Pater, »hat er denn nicht aufgehört, dich zu belästigen?« »Gewiß nicht«, erwiderte die Dame, »vielmehr kommt er, seit ich mich bei Euch beschwerte, gleichsam mir zum Trotz und weil er mir übelgenommen, daß ich über ihn Klage geführt, für einmal jetzt täglich wenigstens siebenmal an meinem Hause vorbei. Und wollte Gott, er wäre beim Vorübergehen und Heraufgucken stehengeblieben! Aber so verwegen, so unverschämt ist er gewesen, daß er mir erst gestern ein Frauenzimmer mit Botschaft von ihm und mit verliebtem Geschwätz ins Haus geschickt und mir eine Tasche und einen Gürtel geschenkt hat, als ob ich nicht Taschen und Gürtel genug hätte. Das habe ich ihm aber so übelgenommen und nehme es ihm noch so übel, daß ich ihm den Teufel über den Hals geschickt hätte, wenn ich mich nicht vor der Sünde gefürchtet und Euch zuliebe an mich gehalten hätte. So habe ich mir denn am Ende noch Gewalt angetan und nichts tun und sagen wollen, ohne Euch zuvor davon zu benachrichtigen. Dem Frauenzimmer übrigens hatte ich Gürtel und Tasche, die sie mir gebracht hatte, schon zurückgegeben, daß sie ihm beides wiederbringen sollte, ihr auch sonst bösen Bescheid erteilt, als mir einfiel, sie könnte vielleicht gar die Geschenke behalten und ihm erzählen, ich hätte sie angenommen; denn solche Weiber sollen dergleichen wohl tun. Darum rief ich sie zurück, nahm ihr die Sachen voller Verdruß wieder aus der Hand und habe sie nun Euch mitgebracht, damit Ihr sie ihm wiedergebt und ihm sagt, daß ich seine Geschenke nicht brauche; denn, Gott und meinem Mann sei es gedankt, Gürtel und Taschen habe ich noch so viele, daß ich ihn darunter ersticken könnte. Dann aber bitte ich Euch, den ich wie einen Vater ehre, um Verzeihung, wenn ich es meinem Mann und meinen Brüdern sage, sobald er mir[227] nun keine Ruhe mehr läßt, mag daraus werden, was da will. Ergeht es ihm dann übel, nun, so soll mir's immer noch viel lieber sein, als wenn ich durch ihn in schlechte Nachrede komme, und damit gut!«

Als sie das gesagt hatte, zog sie, ohne ihre Tränen zu unterbrechen, eine äußerst schöne und reichgestickte Tasche nebst einem zierlichen, kostbaren Gürtel unter dem Mantel hervor und warf sie dem Mönch in den Schoß. Dieser glaubte noch immer an die Wahrheit ihrer Erzählungen, nahm die Geschenke voller Zorn und sagte: »Mein Kind, ich wundere mich nicht, wenn diese Vorfälle dich betrüben, und kann dich deswegen nicht tadeln; vielmehr lobe ich an dir, daß du dabei meinen Ratschlägen gefolgt bist. Ich habe ihn neulich zur Rede gestellt; er aber hat schlecht gehalten, was er mir damals versprach, und so denke ich ihm denn um dessentwillen, wie auch wegen seiner neuen Vergehen dermaßen den Kopf zu waschen, daß er keine Lust mehr haben soll, dich zu beunruhigen. So lieb dir aber Gottes Segen ist, so lasse dich vom Zorne nicht überwältigen, einen der Deinigen von dieser Angelegenheit zu unterrichten; es könnte zuviel Unglück daraus entstehen. Übrigens sei wegen deines Rufes unbesorgt, denn ich werde deine Unschuld immerdar, vor Gott wie vor den Menschen, unwandelbar bezeugen.«

Die Dame schien sich etwas zu beruhigen. Da sie von der Habsucht dieses wie der andern Mönche wohl unterrichtet war, lenkte sie das Gespräch von jenem Gegenstande ab und sagte: »Ehrwürdiger Herr, in den letzten Nächten sind mir mehrere meiner Verwandten erschienen, die wohl große Qualen erdulden müssen und nichts verlangen als Almosen; vor allem aber meine verstorbene Mutter, die so betrübt und elend aussieht, daß es ein wahrer Jammer ist. Ich glaube bestimmt, daß es ihr bitter weh tut, mich von diesem bösen Feinde so versucht zu sehen, und darum wünschte ich, Ihr läset mir für ihre Seele die vierzig Gregoriusmessen und sagtet dazu Eure Gebete, damit Gott sie aus den Feuerqualen befreie.« Und mit diesen Worten drückte sie ihm einen Goldgulden in die Hand. Der ehrwürdige Pater nahm ihn voller Freuden, bekräftigte mit guten Worten und mit vielen Beispielen ihre Frömmigkeit und entließ sie dann mit seinem Segen.[228]

Als die Dame fortgegangen war, schickte er, immer noch ohne zu ahnen, daß man ihn zum besten hatte, nach seinem Freunde, der gleich bei seinem Eintritt, als er den Mönch zornig sah, erriet, er werde Neuigkeiten von seiner Dame hören, und nun abwartete, was jener ihm sagen werde. Der Mönch wiederholte, was er ihm schon früher gesagt hatte, und schalt ihn besonders mit vielen zornigen und harten Worten wegen dessen, was er, den Reden der Dame zufolge, getan haben sollte. Der Edelmann, der noch nicht durchschauen konnte, wo der Mönch eigentlich hinwollte, leugnete ziemlich lau, Gürtel und Tasche geschickt zu haben, damit er jenem, wenn die Dame ihm die Geschenke gegeben hätte, nicht den Glauben daran nähme. Aber der Pater sagte ganz aufgebracht: »Du schlechter Mensch, wie kannst du das leugnen? Da sieh her! Mit vielen Tränen hat sie selber sie mir gebracht, und nun sage, ob du sie erkennst.« Der Edelmann tat sehr beschämt und sagte: »Freilich kenne ich diese Geschenke und bekenne, daß ich unrecht getan habe. Ich schwöre aber auch, weil ich sie also gesinnt sehe, daß Ihr von dieser Sache nie wieder ein Wort hören sollt.« Nun wurde noch viel hin und her geredet. Endlich aber gab Bruder Einfalt Gürtel und Tasche an den Freund heraus und entließ ihn dann nach langen Strafpredigten und Bitten, sich in Zukunft solcher Dinge zu enthalten.

Der Edelmann ging, hocherfreut über die Gewißheit, daß seine Dame ihn liebte, wie über das schöne Geschenk, sobald er den Mönch verlassen hatte, mit Vorsicht an eine Stelle, von der aus er die Dame sehen lassen konnte, daß er das eine wie das andere erhalten hatte. Der Dame war dies um so lieber, als sie nun am glücklichen Fortgang ihres Planes nicht mehr zweifelte.

Während sie nun, um ans Ziel ihrer Wünsche zu gelangen, nichts als eine gelegentliche Abwesenheit ihres Gatten erwartete, traf es sich, daß wenig später ihr Mann gewisser Geschäfte wegen genötigt war, nach Genua zu reisen. Kaum war er des Morgens zu Pferde gestiegen und fortgeritten, so ging unsere Dame auch schon zum gestrengen Pater und sagte unter Schluchzen und Tränen: »Würdiger Vater, nun erkläre ich Euch, ich kann's nicht länger aushalten. Aber weil ich Euch neulich versprochen habe, nichts zu unternehmen, ohne Euch zuvor davon[229] zu sagen, so komme ich, um mich zu rechtfertigen. Damit Ihr indes einseht, wieviel Recht ich habe, zu weinen und mich zu beklagen, will ich Euch nur erzählen, was Euer guter Freund oder vielmehr der Teufel aus der Hölle mir heute morgen kurz vor der Frühmesse getan hat. Ich weiß nicht, was für ein böser Geist ihm mitgeteilt hat, daß mein Mann gestern früh nach Genua gereist ist; genug, heute morgen, um die Zeit, die ich Euch gesagt habe, kommt er in meinen Garten und klettert auf einem Baum bis an das Fenster meines Schlafzimmers, das nach dem Garten hinausgeht. Schon hatte er das Fenster aufgemacht und wollte in die Kammer steigen, als ich aufwachte und sogleich aus dem Bette sprang. Eben wollte ich zu schreien anfangen, und ich hätte gewiß geschrien, wenn er nicht unter Nennung seines Namens mich noch von außen um Gottes und um Euretwillen um Gnade gebeten hätte. Euch zuliebe schwieg ich still, lief aber nackt, wie ich auf die Welt gekommen bin, ans Fenster und schlug es ihm vor der Nase zu. Ich glaube, er ist zum Teufel gegangen, denn ich habe ihn dann nicht weiter gehört. Nun sagt mir selbst, ob das ein anständiges Benehmen ist, und ob man das dulden darf. Was mich betrifft, so denke ich es nicht mehr zu ertragen; habe ich ihm die ganze Zeit über doch nur Euch zuliebe allzuviel nachgesehen.«

Als der Mönch dies hörte, wurde er über die Maßen zornig und wußte nichts zu erwidern, als daß er sie mehrmals fragte, ob sie denn auch gewiß gesehen habe, daß es jener Edelmann und kein anderer gewesen sei. »Nun, gottlob«, antwortete die Dame, »den kann ich wohl noch von einem andern unterscheiden. Ich sage Euch, er war's, und sollte er's leugnen, so glaubt ihm nur nicht.« »Meine Tochter«, erwiderte darauf der Mönch, »dazu kann ich nichts sagen, als daß es eine übermäßige Frechheit und abscheuliche Missetat ist. Du tatest deine Pflicht, als du ihn fortschicktest. Aber nun möchte ich dich noch bitten, daß du, weil Gott dich vor Schande bewahrte, meinem Rat, dem du schon zweimal gefolgt bist, auch diesmal folgst und es, ohne dich bei deinen Angehörigen zu beklagen, mir überläßt, ob ich diesen Teufel, der aus der Hölle entsprungen zu sein scheint und den ich für einen Heiligen gehalten hätte, nicht zu bändigen imstande bin. Gelingt es mir, ihn von seinem viehischen Betragen[230] abzubringen, so ist es gut; wo nicht, so gebe ich dir jetzt mit meinem Segen das Versprechen, daß ich dich nicht wieder hindern will, zu tun, was dir richtig zu sein scheint.« »Nun wohl«, sagte die Dame, »ich will Euch für diesmal weder erzürnen noch Euch ungehorsam sein. Aber nun sorgt dafür, daß er sich hüte, mich ferner zu plagen, denn wahrlich, zu Euch komme ich in dieser Sache nun nicht wieder.«

Und damit ging sie, ohne weiter etwas zu sagen, als wäre sie aufgebracht, von dannen. Kaum hatte sie die Kirche verlassen, so kam auch der Edelmann des Weges. Der Mönch rief ihn an, nahm ihn beiseite, sagte ihm die größten Grobheiten, die man jemals einen andern hat hören lassen, und nannte ihn einen Schelm, einen Meineidigen und einen Verräter über den andern. Dieser aber hatte schon zweimal erfahren, was das Schelten des Paters zu bedeuten hatte, und er suchte ihn deshalb durch halbe Antworten zum Reden zu bringen. »Würdiger Herr«, sprach er, »was soll dieser Zorn? Habe ich denn Christus gekreuzigt?« »Nun höre einer diesen Unverschämten«, antwortete der Geistliche, »wie er tut. Redet er doch wahrhaftig nicht anders, als ob es ein oder zwei Jahre her wäre und er sich der langen Zeit wegen auf seine Schändlichkeiten und schlechten Streiche nicht mehr besinnen könnte. Ist es dir von heute morgen bis jetzt schon entfallen, wen du beleidigt hast? Nun, wo warst du heute kurz vor Tag?« »Was weiß ich, wo ich gewesen bin«, erwiderte der Edelmann; »Ihr müßt aber schnelle Boten haben.« »Freilich«, sagte der Mönch, »ist die Botschaft mir schon zugekommen. Aber ich merke schon, du dachtest, weil der Mann nicht zu Hause ist, empfinge die gute Frau dich nur so mit offenen Armen. Hoho, der ehr- und tugendsame Herr ist ein Nachtwandler, ein Gartenschleicher, ein Baumkletterer geworden. Denkst du denn durch deine Unverschämtheit die Reinheit dieser Dame zu besiegen, daß du ihr in der Nacht auf den Bäumen ins Fenster kletterst? Nichts auf der Welt ist ihr so ganz und gar zuwider, wie du es ihr bist, und doch probierst du's immer aufs neue. Ich will gar nicht davon reden, daß sie dir's vielfach zu erkennen gegeben hat; aber wahrhaftig, meine Ermahnungen hast du dir besonders zu Herzen genommen. Das will ich dir indes hiermit[231] gesagt haben: bis jetzt hat sie, nicht etwa aus Liebe zu dir, sondern auf meine Fürbitte hin von deinem Benehmen geschwiegen; nun aber wird sie nicht mehr schweigen. Ich habe es ihr freigestellt, ganz nach ihrem Belieben zu verfahren, wenn du noch irgend etwas tust, das ihr mißfällt. Und was willst du machen, wenn sie's ihren Brüdern sagt?«

Der Edelmann hatte nun alles, was er brauchte, zur Genüge erfahren. Er besänftigte daher den Pater nach bestem Wissen und Können mit reichlichen Versprechungen und sagte ihm Lebwohl. Als aber in der nächsten Nacht die Zeit der Mette herangekommen war, schlich er sich in den Garten, erkletterte den Baum und eilte durch das offene Fenster in die Arme seiner schönen Dame, die ihn nach sehnsüchtigem Erwarten freudig mit den Worten empfing: »Großen Dank dem Herrn Pater, der dir den Weg zu mir so schön gezeigt hat.« Nun genossen sie einander und konnten unter vielen Scherzen und Gelächter über die Einfalt des Bruders Rindvieh und unter Spott über Spulräder, Kämme und Wollkratzer ihrem Ergötzen kein Ziel setzen. Dann aber wußten sie es so einzurichten, daß sie, ohne der Hilfe des Paters ferner zu bedürfen, in gleicher Freude noch viele Nächte verbringen konnten, zu welchem Glück Gott mir und anderen Christenseelen, die danach Verlangen tragen, in seiner heiligen Barmherzigkeit auch bald verhelfen möge.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 222-232.
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