Achte Geschichte

[498] Fresco rät seiner Nichte, niemals in den Spiegel zu sehen, wenn ihr der Anblick unausstehlicher Leute so widerwärtig sei, wie sie behaupte.


Die Geschichte, die Filostrato erzählt hatte, erregte anfangs in den Herzen der zuhörenden Mädchen ein wenig Scham, was die sittsame Röte bewies, die ihre Wangen färbte. Allmählich aber schielte eine nach der andern, und sie hörten dem Verlauf der Geschichte lächelnd zu, sich des lauten Lachens nur mit Mühe enthaltend. Als endlich der Erzähler zum Schluß gediehen war, wendete die Königin sich an Emilia und gebot ihr fortzufahren. Diese aber begann tief aufatmend, nicht anders, als ob sie eben erst vom Schlaf erwachte:

Ihr holden Mädchen, da eine Reihe von Gedanken, die gar vieles in sich begriffen, mich eine lange Weile weit von hier entrückt hat, werde ich, unserer Königin gehorchend, mich mit einer viel kürzeren Geschichte auslösen, als ich es vielleicht getan hätte, wenn mein Geist hier gegenwärtig gewesen wäre. In dieser Geschichte aber will ich euch von der törichten Verkehrtheit eines Mädchens erzählen, das aus einem beißenden Einfall seines Oheims eine Lehre hätte ziehen können, hätte es hinlänglich Einsicht gehabt, ihn zu verstehen.

Ein Mann also, der Fresco da Celatico hieß, hatte eine Nichte, die man der Kürze halber nur Cesca rief. Sie war zwar recht hübsch von Gestalt und Gesicht, doch konnte man sie nicht zu jenen Engelsbildern zählen, denen wir nicht selten begegnen. Dennoch hielt sie sich für so hoch und erlesen, daß es ihr zur Gewohnheit geworden war, Männer und Frauen und[498] was immer ihr unter die Augen kam zu tadeln, ohne daß sie sich selbst dabei richtig einzuschätzen gewußt hätte. Dadurch wurde sie denn mehr als irgendeine andere unbequem, widrig und mehr als lästig, da es unmöglich war, ihr irgend etwas recht zu machen. Bei alledem war sie so hochmütig, daß, selbst wenn sie zum Stamme Karls des Großen gehört hätte, es dennoch zuviel gewesen wäre. Und wenn sie über die Straße ging, war ihr jeden Augenblick etwas nicht gelegen, so daß sie nicht aufhörte, die Nase zu rümpfen, als ob von jedem, den sie sah oder der ihr begegnete, unleidlicher Gestank sie anwehte.

Von ihren andern mißliebigen und widerwärtigen Sitten zu schweigen, geschah es eines Tages, daß sie voll von ihren Unleidlichkeiten nach Hause zurückkehrte und, während sie sich dort neben Fresco niedersetzte, in einem fort vor Ärger schnaufte. Darum sagte Fresco: »Was hat das zu bedeuten, Cesca, daß du heute am Festtag schon so früh nach Hause zu rückgekehrt bist?« Sie aber antwortete mit der albernsten Ziererei: »Ja, freilich bin ich früh gekommen, denn ich glaube sicherlich, daß in dieser Stadt noch niemals so viele widerwärtige und unausstehliche Männer und Frauen beisammengewesen sind, als ich deren heute getroffen habe. Da geht doch auch nicht einer über die Straße, der mir nicht zuwider wäre wie das Fieber. Weil ich aber fest überzeugt bin, daß es auf der ganzen Welt kein Mädchen gibt, dem es so verhaßt wäre, unausstehliche Leute zu sehen, wie mir, bin ich früh nach Hause gekommen, um diesem Anblick zu entgehen.«

Fresco, dem das hochfahrende Wesen seiner Nichte gründlich mißfiel, antwortete: »Mein Kind, wenn die unausstehlichen Leute dir so widerwärtig sind, so besieh dich ja, wenn du deines Lebens froh bleiben willst, niemals im Spiegel.« Sie aber, die hohler war als ein Schilfrohr und an Weisheit dem Salomo zu gleichen vermeinte, begriff den Stich des Fresco nicht besser, als es ein Widder getan hätte, und erwiderte, sie gedenke sich ebensogut im Spiegel zu besehen wie die andern. Und so verharrte sie denn weiterhin in ihrer Einfalt und tut es noch heute.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 498-499.
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