Fünfte Geschichte

[490] Messer Forese da Rabatta und Meister Giotto, der Maler, die beide von Mugello zurückkommen, machen sich gegenseitig über ihr unscheinbares Aussehen lustig.


Als Neifile schwieg und die Damen an der Antwort des Chichibio noch viel Gefallen geäußert hatten, begann Panfilo nach dem Gebot der Königin also zu reden:

So wie zuweilen Fortuna die größten Fähigkeiten und Verstandeskräfte unter einem bescheidenen Gewerbe verbirgt, geschieht es auch oft, daß die Natur die erstaunlichsten Geistesgaben mit den abschreckendsten Körperformen paart. Dies wird an zweien unserer Mitbürger deutlich, von denen ich euch sogleich zu erzählen gedenke.

Der eine von ihnen, welcher Messer Forese da Rabatta genannt ward, war von so kleinem mißgestaltetem Wuchse und hatte ein so plattgedrücktes Gesicht mit aufgeworfener Nase, daß der Häßlichste unter den Baronci es für eine Schmach gehalten haben würde, mit ihm zu tauschen. Dennoch war er in allen Gesetzesfragen mit so tiefer Einsicht begabt, daß er von vielen kundigen Männern eine Fundgrube der Rechtsgelehrsamkeit genannt wurde.

Der Name des andern war Giotto, und er war mit so vorzüglichen Talenten begabt, daß die Natur, welche die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Gedeihen durch das unablässige Kreisen der Himmel bewirkt wird, nichts hervorbringt, was er mit Griffel, Feder oder Pinsel nicht dem Urbild so ähnlich darzustellen gewußt hätte, daß es nicht als ein Abbild, sondern als die Sache selbst erschienen wäre, weshalb denn der Gesichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet[490] ward und für wirklich hielt, was nur gemalt war. Mit Recht kann man ihn als einen der ersten Sterne des florentinischen Ruhmes bezeichnen, denn er ist es gewesen, der die Kunst wieder zu neuem Lichte erhoben hat, nachdem sie Jahrhunderte lang wie begraben unter den Irrtümern derer lag, die durch ihr Malen mehr die Augen der Unwissenden zu kitzeln, als der Einsicht der Verständigen zu genügen, bestrebt waren. Und man kann dies um so mehr, mit je größerer Bescheidenheit er sich diesen Ruhm erwarb, indem er, obwohl er ein Meister aller derer war, welche diesen Beruf ausübten, es standhaft ablehnte, Meister genannt zu werden. Und je größer die Gier war, mit der diejenigen, welche viel weniger von der Kunst verstanden als er oder seine Schüler, sich die von ihm abgelehnte Bezeichnung anmaßten, mit desto hellerem Glanze schmückte sie ihn. So groß nun aber auch seine Kunst war, so war er doch in Gestalt und Gesichtszügen um nichts schöner als Messer Forese.

Um jedoch auf meine Geschichte zu kommen, sage ich: Messer Forese und Giotto hatten beide ihre Besitzungen in Mugello. Nun war jener um die Zeit, da die Gerichte ihre Sommerferien halten, dorthin gereist, um nach dem Rechten zu sehen, und als er zufällig auf einem unscheinbaren Rößlein heimwärts ritt, traf er auf den schon erwähnten Giotto, der gleichfalls seine Güter besichtigt hatte und nun nach Florenz zurückkehrte. Giotto aber war in keinem Stücke besser beritten oder bekleidet als jener, und so setzten sie denn, wie es zwei bejahrten Leuten geziemt, langsamen Schrittes miteinander ihre Reise fort. Da geschah es, wie sich dies im Sommer oftmals zuträgt, daß ein plötzlicher Regen sie überfiel, so daß sie sich, so schnell sie vermochten, in das Haus eines Bauern flüchteten, der mit ihnen beiden bekannt und befreundet war. Inzwischen sah es aber nicht so aus, als ob der Regen nachlassen wollte, und da beide noch am selben Tag nach Florenz wollten, liehen sie sich von dem Bauern zwei alte Mäntel, wie man sie in der Romagna trägt, desgleichen, da keine besseren zu haben waren, auch noch zwei Hüte, die vor Alter ganz abgetragen waren, und mit diesen machten sie sich auf den Weg.

Nachdem sie eine Weile geritten waren, hatte der Regen sie völlig durchnäßt; auch waren durch das Gespritze der Pferdehufe[491] bei dem nassen Wetter ihre Anzüge ganz beschmutzt, und beides trug nicht viel dazu bei, ihren Aufzug anständiger erscheinen zu lassen. Mittlerweile hatte aber das Wetter sich ein wenig aufgehellt, und sie begannen, nachdem sie lange Zeit schweigsam nebeneinander geritten waren, sich zu unterhalten.

Als nun Messer Forese des Weges ritt und dem Giotto zuhörte, der trefflich zu reden wußte, betrachtete er ihn von der Seite her vom Kopf bis zu den Füßen und um und um, und wie er ihn in allen Stücken so unscheinbar und häßlich fand, begann er, ohne zu bedenken, welche Figur er selbst machte, zu lachen und sagte: »Giotto, wenn jetzt ein Fremder, der dich nie gesehen hätte, uns hier entgegenkäme – kannst du dir denken, daß er dich als den ersten Maler der Welt, der du doch bist, erkennen würde?« Sofort antwortete Giotto: »Messer, ich glaube wohl, daß er mich als solchen erkennen würde, sobald er, nachdem er Euch besehen, glaubte, daß Ihr das Abc könntet.«

Messer Forese erkannte aus dieser Antwort sein Unrecht und sah sich mit einer Münze bezahlt, die der von ihm verkauften Ware völlig entsprach.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 490-492.
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