Dritte Geschichte

[533] Bruder Rinaldo schläft bei seiner Gevatterin. Der Mann überrascht sie in der Kammer, und man macht ihm weis, daß jener seinem Patenkind die Würmer besprochen habe.


Filostrato hatte nicht so dunkel von den parthischen Rossen sprechen können, daß die hellhörigen Damen ihn nicht sollten verstanden und darüber gelacht haben; doch taten sie, als lachten sie über etwas anderes. Als aber der König seine Erzählung geendet sah, befahl er Elisa weiterzureden, und diese, zu gehorchen bereit, begann sogleich:

Anmutige Mädchen, die Beschwörung von Emilias Gespenst hat mir eine andere Beschwörungsgeschichte ins Gedächtnis zurückgerufen. Obgleich sie nicht so schön ist wie jene, will ich sie euch erzählen, da mir nicht gleich eine andere Erzählung über unseren Gegenstand einfällt.

Ihr müßt also wissen, daß in Siena einst ein junger Mensch, hübsch und von angesehener Familie, lebte, der Rinaldo hieß. Dieser liebte eine äußerst schöne Dame seiner Nachbarschaft, die Frau eines reichen Mannes. Und da er hoffte, wenn er sie nur einmal ohne Verdacht zu sprechen Mittel fände, von ihr gewinnen zu können, was er wünschte, so beschloß er, da er keinen andern Weg hierzu sah und die Frau eben guter Hoffnung war, ihr Gevatter zu werden. Er machte sich daher an ihren Mann heran, trug ihm dies auf die Weise, die ihm die anständigste schien, vor, und es geschah.

Als Rinaldo nun so der Gevatter der Frau Agnese geworden war und dadurch einen unauffälligen Vorwand hatte, mit ihr zu verkehren, faßte er Mut und gab ihr sein Verlangen, das sie schon am Ausdruck seiner Augen erraten hatte, zu verstehen; doch nützte ihm das wenig, obgleich der Dame nicht eben mißfiel, was sie von ihm vernommen hatte.

Nicht lange danach ereignete es sich, daß Rinaldo aus irgendeinem Grunde Mönch wurde, und mochte er nun dabei auf seine Kosten kommen oder nicht, genug, er blieb es. Um die Zeit, wo er Geistlicher ward, mochte er wohl die Liebe zu seiner Gevatterin und allerhand Eitelkeiten der Welt ein wenig beiseite gesetzt haben, allein im Verlauf der Zeit, und ohne[534] darum seine Kutte abzulegen, nahm er sie doch alle wieder auf. Er fing wie früher an, sich in glänzender Kleidung und feinen Stoffen zu gefallen, in allen seinen Sachen zierlich und geschmückt zu erscheinen, Canzonen, Sonette und Balladen zu dichten, Lieder zu singen und lauter ähnliche Dinge zu treiben.

Doch was rede ich von unserm Bruder Rinaldo, von dem wir hier sprechen? Wo sind die Mönche, die es nicht ebenso treiben? O Schmach unserer verdorbenen Welt! Sie scheuen sich nicht mehr, dick und fett und hochrot im Gesicht zu erscheinen, weichlich in ihrer Kleidung und in allen anderen Dingen aufzutreten und nicht wie Tauben, sondern wie stolze Hähne mit erhobenem Kamme und aufgeblasener Brust einherzuschreiten. Und was noch schlimmer ist – denn wir wollen hier übergehen, daß sie ihre Zellen voll von Büchslein mit Latwergen und Salben haben, voll von Schachteln mit mancherlei Konfekt, voll Karaffen und Phiolen mit wohlriechenden Wassern und Ölen, voll von Krügen, die von Malvasier, griechischen und anderen kostbaren Weinen schier überlaufen, so daß diese weniger Mönchszellen den Spezerei- und Salbenläden gleichen, sieht man sie – was also noch schlimmer ist als dies: sie scheuen sich nicht mehr, daß andere erfahren, wie sie die Gicht haben, und glauben zuversichtlich, kein Mensch wisse, daß Fasten, einfache und mäßige Speisen und ein nüchternes Leben den Menschen mager, beweglich und meist gesund erhalten und daß, wenn ja einer davon krank wird, er wenigstens nicht an Gicht leidet, gegen die man als Kur Enthaltsamkeit und was sonst zu der Lebensweise eines demütigen Mönchs gehört, vorzuschreiben pflegt. Sie glauben, die Welt wisse nicht, daß außer der Mäßigkeit auch lange Nachtwachen, Gebet und Geißelung den Menschen blaß und nieder geschlagen machen, und wahrlich weder Sankt Dominikus noch Sankt Franziskus vier Kappen für eine besaßen und sich nicht in hochfeine und köstlich gefärbte Tücher kleideten, sondern in solche von grober Wolle und natürlicher Farbe, um sich vor der Kälte zu schützen und nicht um zu glänzen. Allen diesen Verirrungen möge Gott steuern, wie es der Seele der Toren, die sie nähren, not tut.

So war denn unser Bruder Rinaldo zu seinen früheren Wünschen zurückgekehrt, fing wieder an, die Gevatterin häufig zu[535] besuchen und sie, als ihm der Mut wuchs, mit heftigerem Dringen als zuvor um das zu ersuchen, was er von ihr wünschte. Die gute Frau, welche sich so bedrängt sah und welcher Bruder Rinaldo jetzt vielleicht besser gefiel als zuvor, nahm eines Tages, als sie sich wieder sehr von ihm verfolgt sah, ihre Zuflucht zu dem, wohin alle flüchten, die den Wunsch haben, das, worum sie gebeten, zu bewilligen, und sprach: »Wie, Bruder Rinaldo, tun denn auch Mönche dergleichen?« Hierauf entgegnete der Pater: »Madonna, werfe ich nur die Kutte von mir, so scheine ich Euch gewiß ein Mensch wie jeder andere und wahrlich kein Mönch mehr.« Die Frau spitzte den Mund, als wollte sie lachen, und erwiderte: »Ich Ärmste, Ihr seid ja mein Gevatter, wie ginge das an? Es wäre gar übel getan, und ich habe oft gehört, daß auch diese Sünde allzu schwer ist. Wäre das nicht, fürwahr, ich täte, was Ihr wollt.« »Ihr seid eine Törin«, entgegnete Rinaldo hierauf, »wenn Ihr es nur darum nicht tun wollt. Ich sage nicht, daß es nicht sündhaft sei; aber Gott vergibt größere Fehler, wenn man sie bereut. Nun aber sagt mir, wer ist näher mit Eurem Sohne verwandt, ich, der ihn über die Taufe hielt, oder Euer Mann, der ihn erzeugte?« Die Frau erwiderte: »Mein Gatte ist ihm allerdings näher verwandt.« »Ihr sagt die Wahrheit«, erwiderte der Mönch, »schläft nun etwa Euer Mann nicht bei Euch?« »Allerdings tut er es«, erwiderte die Frau. »Nun denn«, sprach der Mönch, »so kann auch ich, der ich mit Eurem Sohn viel weniger verwandt bin als Euer Mann, bei Euch schlafen, so gut wie dieser.«

Die Frau, welche wenig Logik verstand und überdies nur noch geringer Überredung bedurfte, glaubte oder tat wenigstens, als glaubte sie, was der Mönch sagte, und entgegnete: »Wer wüßte auf Eure klugen Reden wohl zu antworten?« Dann ergab sie, der Gevatterschaft zum Trotz sich darein, zu tun, was er begehrte, und nicht nur für dieses ein Mal fingen sie damit an, sondern von dem Deckmantel der Gevatterschaft gemächlich geschützt – da ja hierdurch der Argwohn geringer ward –, fanden sie sich mehr und öfter zusammen.

Doch einmal unter andern geschah es, daß Bruder Rinaldo, als er zu dem Hause der Frau kam, niemand dort antraf als deren junge Magd, die ganz hübsch und zutraulich war, und[536] seinen Begleiter mit ihr nach dem Taubenschlag schickte, damit er ihr dort das Vaterunser beibringe, während er mit der Frau, die ihren kleinen Sohn an der Hand hatte, in eine Kammer trat, sich darin einschloß und auf einem Ruhebett, das dort stand, mit ihr seinen Scherz zu treiben anfing. Während sie aber so miteinander ihre Lust hatten, begab es sich, daß der Gevatter heimkehrte und, ohne von jemand gehört worden zu sein, bis an die Kammertür gelangte, dort anklopfte und seine Frau rief.

Als Frau Agnese dies hörte, rief sie aus: »Ich bin verloren! Da ist mein Mann, und sicher wird er jetzt gewahr, was der Grund unserer Vertraulichkeit ist.« Bruder Rinaldo war entkleidet, das heißt ohne Kutte und Skapulier im bloßen Unterkleide. »Ihr habt recht«, entgegnete er, als er dies hörte, »wäre ich nur angekleidet, so fänden wir wohl irgendein Mittel; doch öffnet Ihr ihm und er findet mich so, gibt es keine Ausflüchte.« Die Frau, von einem plötzlichen Einfall erleuchtet, erwiderte: »Zieht Euch nur an, und wenn Ihr damit fertig seid, nehmt Euer Patenkindchen auf den Arm und gebt wohl acht, was ich sagen werde, so daß Eure Reden mit den meinen übereinstimmen; dann aber laßt mich nur machen.«

Der gute Mann hatte noch nicht aufgehört zu klopfen, als die Frau ihm antwortete: »Ich komme ja schon.« Dann stand sie auf, trat mit einem freundlichen Gesicht an die Kammertür, öffnete sie und sprach: »Liebster Mann, denk dir nur, Bruder Rinaldo, unser Gevatter, ist gekommen, und gewiß von Gott uns zugeschickt; denn wahrhaftig, wäre er heute nicht dazugekommen, hätten wir unseren Sohn verloren.« Als der gute Pinsel dies hörte, geriet er fast außer sich und rief: »Was sagst du da?« »Ach ja, lieber Mann«, sprach die Frau, »vorhin ist er mir plötzlich so schwach geworden, daß ich schon glaubte, er wäre tot. Ich hätte ja nicht gewußt, was tun oder sagen, wäre unser Gevatter Rinaldo nicht dazugekommen. Der nahm ihn gleich auf den Arm und sagte: ›Gevatterin, das sind nur die Würmer, die er im Leibe hat, die ihm ans Herz herankriechen und ihn leicht umbringen könnten. Aber macht Euch keine Sorge, ich will sie ihm besprechen und sie alle totmachen. Ehe ich von hinnen gehe, sollt Ihr Euer Söhnlein wieder so gesund[537] sehen wie jemals.‹ Nun hätten wir dich gebraucht, um einen Teil der Beschwörung zu sprechen. Da die Magd dich aber nicht zu finden wußte, ließ er seinen Gefährten zur höchsten Stelle unseres Hauses hinaufsteigen und dort beten, während er und ich hier hineintraten. Und weil kein anderer als die Mutter des Kindes dabeisein darf, schlossen wir uns hier ein, damit uns niemand störe, und du siehst, noch hat er unser Kind im Arm. Ich denke, er wartet nur, daß sein Genosse mit Beten fertig ist; aber das muß er wohl schon sein, denn der Knabe ist schon wieder bei sich.«

Der arme Pinsel glaubte alle diese Dinge, und so sehr umstrickte ihn die Liebe zu dem Kinde, daß er keine Ahnung von dem Betrug hatte, den die Frau mit ihm trieb. Vielmehr stieß er einen mächtigen Seufzer aus und sprach: »Laß mich hineingehen und ihn sehen.« »Beileibe, gehe nicht hinein«, sprach die Frau, »du verdürbest nur, was gut gemacht ist. Doch warte, ich will sehen, ob du kommen darfst; ich will dich dann rufen.«

Pater Rinaldo, der alles mit angehört und sich ganz gemächlich wieder angezogen hatte, nahm nun, als alles in gehöriger Ordnung war, das Kind auf den Arm und rief: »Gevatterin, höre ich nicht den Gevatter dort?« »Jawohl, Herr«, antwortete der Pinsel, und der Mönch sagte: »So kommt nur her.« Der einfältige Geselle trat ein. »Hier nehmt Euren Sohn«, sprach Bruder Rinaldo zu ihm, »den die Gnade des Herrn wieder gesund gemacht hat, obwohl ich eben noch glaubte, Ihr sähet ihn noch vor dem Abend verblichen. Und nun laßt ein Wachsbild von der Größe des Kindes zum Lobe des Herrn vor der Bildsäule des heiligen Ambrosius aufstellen; denn um dessen Verdienste willen hat Gott Euch diese Gnade erwiesen.«

Als der Knabe den Vater erblickte, lief er auf ihn zu und liebkoste ihn, wie kleine Kinder zu tun pflegen. Dieser nahm ihn auf den Arm, vergoß Freudentränen, nicht anders, als wenn er ihn eben aus dem Grabe zurückerhalten hätte, und fing dann an, ihn zu küssen und seinem Gevatter, der ihn geheilt hatte, zu danken.

Kaum hatte Bruder Rinaldos Gefährte – der unterdessen der kleinen Magd nicht ein, sondern vielleicht mehr als vier Paternoster beigebracht und ihr eine kleine Börse von weißem[538] Zwirn geschenkt hatte, welche er von einer Nonne, die auch sein Beichtkind geworden war, erhalten – den frommen Pinsel an der Tür seiner Frau rufen hören, als er leise herbeikam und sich so stellte, daß er alles sehen und hören konnte, was vorging und geschah. Als er die Sache in gutem Geleise sah, kam er ganz herab, trat in die Kammer und sprach: »Bruder Rinaldo, die vier Gebete, die Ihr mir aufgegeben habt, habe ich alle gesprochen.« »Mein Bruder«, entgegnete der Mönch hierauf, »du mußt guten Atem haben und hast deine Sache trefflich gemacht. Ich meinerseits hatte erst zwei gesagt, als der Gevatter kam, aber der Herr hat uns um deiner und meiner Anstrengung willen Gnade erwiesen, und der Knabe ist geheilt.«

Der betrogene Kauz ließ nun guten Wein und Backwerk herbeibringen und bewirtete seinen Gevatter und dessen Gefährten mit diesen Dingen, nach denen ihnen mehr der Sinn stand als nach irgend etwas anderem. Dann begleitete er sie aus dem Hause und empfahl sie dem Himmel. Das Wachsbild aber ließ er ohne Aufschub machen und neben den andern vor der Bildsäule des heiligen Ambrosius, doch nicht zu Mailand, aufhängen.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 533-539.
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