Sechste Geschichte

[350] Andreola liebt den Gabriotto. Sie erzählt ihm einen Traum, den sie gehabt hat, und er ihr einen anderen. Darauf stirbt er plötzlich in ihren Armen. Als sie ihn mit ihrer Dienerin nach Hause trägt, werden sie von der Wache gefangen, und sie gesteht, wie sich alles zugetragen hat. Der Stadtrichter will ihrer Ehre Gewalt antun, sie wehrt sich aber. Ihr Vater erfährt indes, wo sie ist, und befreit sie, da er sie unschuldig findet. Sie aber weigert sich, länger in der Welt zu leben, und wird Nonne.


Die Geschichte, die Filomena soeben erzählt hatte, war den Damen sehr willkommen gewesen, da sie jenes Lied schon oft singen gehört hatten, trotz allen Fragens aber nie hatten erfahren können, aus welchem Anlaß es gemacht worden war. Der König hatte kaum das Ende vernommen, als er den Panfilo in der Ordnung weiter fortfahren hieß. Panfilo sagte darauf:

Der in der vorigen Geschichte erwähnte Traum veranlaßt mich, euch eine andere zu erzählen, in der ihrer zwei vorkommen, die zukünftige Dinge betrafen, so wie jener vergangene, und die kaum von denjenigen, die sie geträumt hatten, erzählt worden waren, als sie auch schon eintrafen. Ihr müßt nämlich wissen, liebenswürdige Damen, daß alle Lebenden vermöge einer gemeinsamen Erregbarkeit im Traum mancherlei Dinge sehen, die zwar dem Träumenden, solange er schläft, vollkommen wahr scheinen, von denen aber, sobald er wieder erwachte, nur einige als wahr, andere als wahrscheinlich und noch andere als aller Wahrheit widersprechend erkannt werden. Viele messen demzufolge jedem ihrer Träume ebensoviel Glauben bei wie den Gegenständen, die sie wachend sehen, und betrüben oder erfreuen sich über ihre Träume, je nachdem ihr Inhalt sie hoffen oder fürchten macht. Umgekehrt gibt es aber auch manche, die Träumen erst dann glauben, wenn sie der Gefahr, vor der sie gewarnt werden, erlegen sind. Ich billige weder das eine noch das andere; denn die Träume sind weder immer wahr noch allemal falsch. Daß sie nicht alle wahr sind, wird wohl ein jeder von uns schon öfters erfahren[351] haben. Daß sie aber auch nicht alle täuschen, habt ihr schon aus Filomenas Geschichte ersehen, und ich gedenke es euch jetzt, wie ich schon erwähnte, auch durch die meinige zu beweisen. Deshalb meine ich denn, daß man sich durch keinen widersprechenden Traum bei tugendhaftem Leben und Wandel in Furcht versetzen, noch von seinen guten Entschlüssen abbringen lassen soll. Ebenso soll man, wie vorteilhaft auch die Träume uns ein schlechtes und widerrechtliches Benehmen darstellen und uns mit lockenden Vorspielungen dazu verleiten wollen, ihnen doch keinen Glauben schenken, wohl aber im umgekehrten Fall sie alle für wahr halten. Doch kommen wir zu unserer Geschichte.

In der Stadt Brescia lebte vor Zeiten ein Edelmann, der Herr Negro da Ponte Carali genannt wurde. Unter mehreren andern Kindern hatte er eine Tochter namens Andreola, die jung und hübsch und unvermählt war und sich zufälligerweise in einen von ihren Nachbarn verliebte, der Gabriotto hieß und zwar von niedrigem Stande, aber von gar löblichen Sitten und schönem, wohlgefälligem Aussehen war. Auch wußte die junge Dame es durch Hilfe eines Mädchens, das im Hause diente, nicht allein dahin zu bringen, daß Gabriotto ihre Liebe zu ihm erfuhr, sondern sie ließ ihn auch zu großem beiderseitigem Vergnügen gar häufig zu sich in einen schönen Garten ihres Vaters führen. Und damit keine Macht außer dem Tode ihre wechselseitige Liebe zu trennen vermöchte, wurden sie heimlich Mann und Frau.

Während sie nun auf solche Weise verstohlen ihre Zusammenkünfte fortsetzten, geschah es, daß die junge Dame, schlafend, eines Nachts im Traum mit Gabriotto in ihrem Garten zu sein und ihn zu ihrer beiderseitigen Lust in den Armen zu halten glaubte. Und als sie noch in dieser Stellung verweilten, war es ihr, als sähe sie aus seinem Körper ein scheußliches schwarzes Ding herauskommen, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte. Dann kam es ihr so vor, als faßte dieses Ding den Gabriotto und risse ihn wider ihren Willen mit unglaublicher Kraft aus ihren Armen und verschwände mit ihm unter der Erde, so daß sie weder das eine noch den anderen wieder zu sehen bekam. Darüber empfand sie so heftigen Schmerz,[352] daß sie aufwachte; und obwohl sie, erwacht, sich freute, daß die Erscheinungen ihres Traumes verschwunden waren, erfüllte dennoch das, was sie geträumt hatte, sie mit Angst. Deshalb bemühte sie sich, als Gabriotto die folgende Nacht zu ihr kommen wollte, ihn für diesen Abend davon abzubringen. Da sie aber seinen festen Willen sah, gab sie nach, damit er sie nicht in einem andern Verdacht haben möchte, und willigte ein, ihn in der Nacht in ihrem Garten zu empfangen.

So pflückten sie denn, da es eben die Jahreszeit war, viele weiße und rote Rosen und setzten sich dann miteinander an den Rand eines schönen Springbrunnens, der den Garten zierte und voll des klarsten Wassers war. Dort bereiteten sie eine Zeitlang einander die süßesten Freuden, und Gabriotto fragte seine Dame, aus welchem Grunde sie ihm am vergangenen Tag diese Zusammenkunft habe abschlagen wollen. Sie tat, wie er wünschte, und erzählte ihm den Traum, den sie die Nacht zuvor gehabt, und die Besorgnis, die sie deshalb gefaßt habe. Gabriotto aber lachte über ihre Rede und sagte, Träumen irgendwelchen Glauben beizumessen sei eine große Torheit, denn sie entständen aus Übermaß oder aus Mangel an Speise, und man sehe täglich, daß sie vollkommen eitel seien.

Dann fügte er hinzu: »Hätte ich mich nach Träumen richten wollen, so wäre ich nicht so sehr deines Traumes wegen als einem eigenen Traum zuliebe, den ich in dieser letzten Nacht gehabt habe, nicht gekommen. Mir träumte nämlich, ich sei in einem anmutigen, schönen Walde auf der Jagd und hätte das niedlichste und allerliebste Reh gefangen, das je gesehen worden ist. Es war weißer als Schnee und wurde in kurzer Zeit so zutraulich, daß es gar nicht mehr von mir ging. Dennoch war es mir im Traum, als ob ich, damit es mir nicht entflöhe und weil es mir so lieb war, ihm ein goldenes Halsband um die Kehle legte und es an einer goldenen Kette mit der Hand hielte. Dann aber schien mir, während das Reh schlummerte und sein Kopf in meinem Schoß lag, von woher weiß ich nicht, ein kohlschwarzer Windhund von gierigem und furchtbarem Aussehen auf mich zuzukommen. Mir war, als leistete ich gar keinen Widerstand, als packte er mich mit den Zähnen an der linken Seite und nagte so lange daran, bis[353] er zum Herzen gelangte, es herausriß und dann forteilte. Darüber empfand ich solch einen Schmerz, daß ich aus dem Schlafe auffuhr und, erwacht, mir eilig nach der Seite griff, um zu fühlen, ob ich dort nichts hätte. Als ich indes nichts fand, lachte ich mich selber aus, daß ich erst nachgesehen hatte. Was aber hat das alles auf sich? Ähnliche und noch viel schrecklichere Träume habe ich schon oft genug gehabt, ohne daß mir darum der mindeste Unfall von der Welt zugestoßen wäre. Bekümmere dich also nicht wegen der Träume, sondern laß uns allein unserm Glück nachgehen.«

Die junge Dame, die schon über ihren Traum so sehr erschrocken war, wurde es über der Rede ihres Geliebten noch weit mehr. Um ihn aber auf keine Weise zu verstimmen, verbarg sie ihre Angst, soviel sie nur vermochte. Obgleich sie nun ihren Gabriotto öfter umarmte und küßte und auch in seinen Umarmungen und Küssen ein wenig Freude fand, so fürchtete sie doch fortwährend, ohne selber zu wissen was, blickte ihm häufiger als sonst ins Gesicht und sah sich zuweilen im Garten um, ob nicht irgendwo etwas Schwarzes auf sie zukomme.

Während sie noch so miteinander weilten, seufzte Gabriotto tief auf, umarmte sie und rief: »Ach Gott, mein liebstes Herz, hilf mir, denn ich sterbe.« Und mit diesen Worten fiel er auf den Rasen der Wiese nieder. Sogleich hob ihn Andreola wieder auf, legte ihn sich in den Schoß und sagte fast unter Tränen: »Ach, mein süßester Gebieter, um Gottes willen, was fehlt Euch denn?« Gabriotto antwortete nicht, sondern stöhnte heftig unter plötzlichem Schweiße, und es währte nicht lange, so verschied er.

Wie schmerzlich und betrübend dies der jungen Dame sein mußte, die ihn mehr als sich selbst liebte, wird sich eine jede von euch ausmalen können. Lange weinte sie über ihm, und oftmals rief sie ihn vergeblich beim Namen. Als sie aber fühlte, daß er schon am ganzen Leib erkaltet war, und sich dadurch überzeugte, er sei wirklich tot, ging sie, da sie sich auf der Welt keinen Rat wußte, in all ihrer Angst und mit nassen Augen, um ihre Dienerin, welche die Vertraute ihrer Liebe war, zu rufen, und erzählte dieser ihren Jammer und ihr Elend. Nachdem sie gemeinschaftlich Gabriottos tote Züge eine[354] Zeitlang mit ihren Tränen benetzt hatten, sagte die Dame zur Dienerin: »Da Gott mir ihn genommen hat, so denke ich auch nicht länger am Leben zu bleiben. Bevor ich aber Hand anlege, um mich selbst zu töten, wünschte ich, daß wir genügende Maßnahmen ergriffen, um meine Ehre und das Geheimnis der Liebe, die zwischen uns bestanden hat, zu bewahren und um diesen Körper, von dem die geliebte Seele geschieden ist, zur Erde zu bestatten.«

Darauf entgegnete die Dienerin: »Sage nicht, meine Tochter, du wolltest dir das Leben nehmen; denn hast du ihn in dieser Welt verloren, so trennte dein Selbstmord dich auch in jener Welt von ihm, weil du zur Hölle verbannt würdest, wo seine Seele gewiß nicht weilt, denn er war ein braver Mensch. Viel besser ist es also, du suchst dich zu trösten und bemühst dich, sein Heil durch Gebete und andere gute Werke zu fördern, wenn er um etwaiger Sünden willen dessen bedürfen sollte. Was aber sein Begräbnis betrifft, so haben wir hier im Garten dazu die beste Gelegenheit, und da niemand weiß, daß er jemals hierher gekommen ist, wird auch kein Mensch etwas davon erfahren. Ist dir das aber nicht angenehm, so legen wir die Leiche hier vor dem Garten ruhig nieder. Dann werden ihn morgen früh die Leute schon finden und nach Hause schaffen, daß seine Angehörigen ihn begraben lassen.«

Trotz der Bitterkeit ihres Schmerzes und ihrer unablässigen Tränen hatte die junge Dame auf den Rat ihrer Dienerin gehört und antwortete, da dessen erste Hälfte nicht nach ihrem Sinn gewesen, nun auf die zweite: »Behüte Gott, daß solch ein trefflicher Mann, den ich so herzlich geliebt habe und der mein Gatte war, mit meinem Willen wie ein Hund verscharrt oder auf die Straße geworfen werden sollte. Meine Tränen sind ihm geworden. So sollen ihm denn auch, soweit es an mir liegt, die der Seinigen zuteil werden, und schon zeigen sich mir die Mittel, wie wir es zu bewerkstelligen haben.«

Nach diesen Worten befahl sie ihr, eilig ein Stück Seidenzeug zu holen, das sie als Vorrat im Schranke liegen hatte, breitete dieses, als die Dienerin es gebracht hatte, auf dem Boden aus, legte mit deren Hilfe die Leiche des Gabriotto darauf und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Dann drückte sie ihm[355] Augen und Mund unter vielen Tränen zu, bekränzte ihn mit Rosen, überschüttete ihn ganz mit allen übrigen Blüten, die sie zusammen gepflückt hatten, und sagte endlich zur Dienerin: »Es ist nicht weit bis zur Tür seines Hauses, und so wollen wir ihn denn beide, du und ich, geschmückt wie wir ihn haben, forttragen und dort an der Schwelle niederlegen. Binnen kurzem wird es ja Tag, und dann wird die Leiche gefunden und aufgehoben werden. Den Seinen freilich wird unsere Sorgfalt keinen Trost gewähren können. Ich aber, in deren Armen er gestorben ist, werde mich daran freuen.«

Als sie so gesprochen hatte, fiel sie dem toten Körper abermals mit einem Strom von Tränen um den Hals und weinte eine lange Weile. Erst auf vielfältiges Drängen der Dienerin, und als der Tag zu dämmern begann, richtete sie sich auf, zog sich den Ring vom Finger, mit dem Gabriotto sich ihr vermählt hatte, und sagte, während sie ihn an den seinigen steckte: »Mein treuer Gemahl, wenn deine Seele jetzt meine Tränen sieht oder der Körper, nachdem jene ihn verlassen, noch fähig ist, etwas zu empfinden oder wahrzunehmen, so nimm das letzte Geschenk deines Weibes, das du im Leben so zärtlich geliebt hast, freundlich auf.« Und mit diesen Worten sank sie bewußtlos auf die Leiche nieder. Sobald sie sich aber ein wenig erholt hatte, nahm sie mit Hilfe der Dienerin das Tuch, auf dem der tote Körper lag, und sie trugen es zum Garten hinaus und schlugen den Weg nach seinem Hause ein.

Während sie aber noch dahin unterwegs waren, traf es sich, daß einige von der Wache des Stadtrichters, die zufällig um eben diese Zeit einer Amtsverrichtung nachgingen, ihnen begegneten und die Leiche, die sie trugen, gewahrten. Als Andreola, welcher der Tod willkommener gewesen wäre als das Leben, die Scharwache erkannte, sagte sie unerschrocken: »Ich sehe wohl, wer ihr seid, und daß fliehen zu wollen nichts fruchtete. Auch bin ich bereit, euch vor die Obrigkeit zu folgen und ihr zu berichten, wie es sich mit dieser Angelegenheit verhalte. Soll ich aber nachher nicht über euch Beschwerde führen, so wage es niemand, solange ich euch willig folge, mich zu berühren oder dieser Leiche irgend etwas von ihrem Schmucke zu rauben.« Infolge dieser Rede gelangte sie, ohne daß einer[356] sich unterstanden hätte, sie zu berühren oder die Leiche zu versehren, auf das Stadthaus.

Der Stadtrichter stand auf, sobald es ihm gemeldet worden war, und befragte sie in seinem Zimmer über das Vorgefallene. Auch ließ er den Leichnam von Ärzten untersuchen, ob sich Spuren fänden, daß der arme Mensch durch Gift oder auf andere Weise umgebracht worden wäre. Alle verneinten es und erklärten, es sei ihm ein Geschwür in der Nähe des Herzens aufgebrochen und habe ihn erstickt. Als der Stadtrichter diesen Ausspruch vernahm und erkannte, daß man sie keines Verbrechens zeihen konnte, wollte er sich das Ansehen geben, als schenke er ihr, was er ihr doch nicht hätte verkaufen können, und versprach ihr die Freiheit, wenn sie zuvor seinen Lüsten nachgeben wolle. Weil aber diese Worte bei der Dame nichts fruchteten, wollte er wider Fug und Recht Gewalt anwenden. Andreola indes, welcher Zorn und Abscheu ungewohnte Kräfte gaben, verteidigte sich hartnäckig und überhäufte ihn mit Schimpfworten und Ausdrücken ihrer Verachtung.

Inzwischen war der helle Tag angebrochen, und Herr Negro hatte zu seiner tiefsten Betrübnis das Geschehene erfahren. Sogleich begab er sich, von vielen seiner Freunde begleitet, auf das Stadthaus und verlangte, sobald der Stadtrichter ihm alles berichtet, unwillig seine Tochter zurück. Der Stadtrichter, der es für geraten hielt, sich selbst wegen der Gewalt anzuklagen, die er ihr hatte antun wollen, bevor die Dame es täte, lobte zuerst sie und ihre Standhaftigkeit und bekannte sodann, als besten Beweis für jene, was er getan habe und mit welchem Erfolg. Daß er sie dabei so unerschütterlich gefunden, setzte er hinzu, habe ihm die wärmste Liebe zu ihr eingeflößt, und wenn es Herrn Negro als ihrem Vater und ihr selbst angenehm sei, werde er sie trotz ihrer früheren Verbindung mit einem Menschen niederen Standes gern zur Gemahlin nehmen.

Während nun beide noch miteinander redeten, trat Andreola vor ihren Vater, warf sich weinend vor ihm nieder und sagte: »Vater, ich glaube, es ist unnötig, daß ich Euch die Geschichte meiner Verwegenheit und meines Unglücks erzähle, denn gewiß habt Ihr sie bereits vernommen und kennt sie zur Genüge. Darum bitte ich Euch denn, so innig und so demütig wie ich[357] nur kann, um Verzeihung für das Vergehen, daß ich ohne Euer Wissen mir den zum Manne genommen habe, der mir am besten gefiel. Ich bitte Euch darum, nicht damit mir das Leben geschenkt werde, sondern damit ich als Eure Tochter und nicht als Eure Feindin sterben kann.« Mit diesen Worten sank sie weinend zu seinen Füßen auf den Boden.

Herr Negro, der schon bei Jahren und überhaupt wohlwollenden und liebevollen Gemüts war, begann bei der Rede seiner Tochter zu weinen, richtete sie voller Zärtlichkeit unter Tränen auf und sagte dann: »Meine Tochter, freilich wäre es mir viel lieber gewesen, hättest du einen Mann gehabt, wie er nach meiner Ansicht dir angemessen gewesen wäre. Wenn du ihn aber nach deinem Gefallen gewählt hättest, so hätte der von dir Erwählte notwendig auch mir gefallen. Daß du mir jedoch deine Wahl verborgen hast, kränkt mich wegen deines geringen Zutrauens zu mir. Noch mehr aber schmerzt es mich, daß du ihn verloren hast, bevor ich noch davon wußte. Da es indes nun einmal so ist, will ich zu deiner Beruhigung wenigstens dem Toten antun, was ich gern dem Lebenden gewährt hätte, ihm nämlich die Ehre erweisen lassen, die meinem Eidam zukommt.«

Darauf wandte er sich zu seinen Kindern und Verwandten und hieß sie für Gabriotto ein großes und ehrenvolles Begräbnis zurüsten. Inzwischen waren auch die männlichen und weiblichen Angehörigen des jungen Mannes, die von dem Vorfall Nachricht erhalten hatten, und außer ihnen fast so viele Männer und Frauen herbeigekommen, als in der Stadt waren. So wurde denn die Leiche, die mitten im Hofe auf Andreolas Tuch lag und noch mit all den Rosen geschmückt war, nicht allein von ihr und seinen weiblichen Verwandten, sondern von fast allen Frauen in der Stadt und von vielen Männern öffentlich beweint und alsdann nicht nach Art eines gemeinen Mannes, sondern eines großen Herrn aus dem Hofe des Stadthauses auf den Schultern der edelsten Bürger unter großen Ehren zur Gruft getragen.

Nach einigen Tagen wiederholte der Stadtrichter seine bereits gemachten Anträge, und Herr Negro sprach davon zu seiner Tochter. Sie aber wollte nichts davon hören, und da der[358] Vater bereit war, ihr den Willen darin zu lassen, nahm sie mit ihrer Dienerin in einem wegen seiner Heiligkeit berühmten Kloster den Schleier, wo sie beide noch lange ein tugendhaftes Leben führten.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 350-359.
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