Vierte Geschichte

[340] Gerbino greift gegen das Versprechen König Wilhelms, seines Großvaters, ein Schiff des Königs von Tunis an, um dessen Tochter zu rauben. Die Schiffsleute töten die Dame, wofür Gerbino sie alle umbringt, ihm aber nachher der Kopf abgeschlagen wird.


Lauretta, am Ende ihrer Geschichte angelangt, schwieg, und in der Gesellschaft äußerten die einen ihr Mitleid über das Unglück der Liebenden, andere tadelten Ninettes Zorn, und so gaben alle ihre verschiedenen Empfindungen kund, bis endlich der König, als ob er aus tiefen Gedanken erwachte, das Haupt erhob und Elisa fortzufahren winkte, worauf diese gehorsam begann:

Liebenswürdige Mädchen, es gibt gar viele, welche glauben, Amor verschieße seine Pfeile nur von den Augen entflammt,[340] und diejenigen verspotten, die der Meinung sind, daß sich jemand aufs bloße Hörensagen hin verlieben könne. Wie sehr diese aber im Irrtum befangen sind, wird aus der Geschichte deutlich werden, die ich zu erzählen gesonnen bin. In ihr werdet ihr nicht allein vernehmen, wie das Gerücht, ohne daß die Liebenden sich jemals gesehen, solche Gefühle hervorgebracht hat, sondern auch wie beide dadurch einen jämmerlichen Tod erleiden mußten.

Wilhelm, der zweite König von Sizilien, hatte, wie die Sizilianer berichten, zwei Kinder, von denen der Sohn Ruggieri, die Tochter aber Constanza hieß. Ruggieri hinterließ, als er noch vor seinem Vater starb, einen Knaben, der Gerbino genannt, vom Großvater sorgfältig erzogen ward und zu einem jungen Manne heranwuchs, der durch Schönheit ausgezeichnet und seiner Tapferkeit und seines adeligen Betragens wegen berühmt war. Sein Ruhm blieb aber nicht innerhalb der Grenzen Siziliens, sondern erklang in verschiedenen Gegenden der Welt und war besonders in der Berberei verbreitet, die zu jenen Zeiten den Königen von Sizilien zinspflichtig war.

Unter den andern, denen hier der glänzende Ruhm von Gerbinos Tugend und Ritterlichkeit zu Ohren kam, war eine Tochter des Königs von Tunis, die nach dem, was alle, die sie jemals gesehen, von ihr sagten, eines der schönsten Wesen war, die je von der Natur geformt worden, dabei von erlesenen Sitten und großer, edler Seele. Wie sie nun überhaupt gern von ehrenwerten Männern reden hörte, so vernahm sie mit besonderer Aufmerksamkeit die rühmlichen Taten des Gerbino, die ihr bald von dem einen, bald von dem andern berichtet wurden, und fand an ihnen ein solches Wohlgefallen, daß sie sich in ihrer Phantasie ein Bild von ihm entwarf, sich auf das heftigste in ihn verliebte und lieber von ihm als von irgend etwas an derem redete und reden hörte.

Zugleich war aber auch, ebenso wie in andere Gegenden, der große Ruhm von der Schönheit und dem Edelsinn jener Prinzessin nach Sizilien gedrungen und hatte, nicht ohne Wohlgefallen des Hörers, in Gerbinos Ohren Eingang gefunden, ja ihn mit nicht minderer Glut für sie entflammt, als die der jungen Dame für ihn war. Voller Verlangen, sie selbst zu sehen, trug[341] er, bis ein geziemender Grund ihm des Großvaters Erlaubnis erwirken würde, nach Tunis zu gehen, jedem seiner dorthin reisenden Freunde auf, sie nach Kräften und in der Weise, die ihm am zweckmäßigsten schiene, von seiner geheimen und innigen Liebe zu unterrichten und ihm Nachrichten von ihr zurückzubringen. Einer dieser Freunde richtete den Auftrag sehr geschickt aus, indem er ihr unter dem Vorwand, als Frauenschmuck bestimmte Juwelen zum Anschauen zu bringen, Gerbinos Glut ohne Rückhalt offenbarte und ihr diesen und alles, was ihm gehörte, zur freien Verfügung darbot. Die Dame empfing Boten wie Botschaft mit dem freudigsten Gesicht, erwiderte, wie sie in gleicher Liebe entbrannt sei, und sandte zum Zeugnis ihrer Worte dem Gerbino einen ihrer köstlichsten Edelsteine. Als Gerbino dieses Geschenk erhielt, war er darüber so entzückt, wie man es über den Empfang der herrlichsten Gabe nur immer sein kann. Derselbe Freund mußte der Dame noch öfter Briefe und prächtige Geschenke Gerbinos überbringen, und die Liebenden besprachen sich darüber, wie sie sich sehen und umarmen wollten, wenn es das Schicksal ihnen gestatten sollte.

Während die Angelegenheiten noch so standen und wohl etwas langsamer gefördert wurden, als zu wünschen gewesen wäre, da auf der einen Seite die junge Dame und auf der andern Gerbino in gleichen Flammen brannten, versprach der König von Tunis seine Tochter an den König von Granada. Diese war über die Maßen betrübt, daß sie nicht allein durch diese Heirat von ihrem Geliebten so weit entfernt, sondern ihm nun so gut wie ganz entrissen werden sollte, und wenn sie ein Mittel gewußt hätte, wäre sie gern vom Vater geflohen und zu Gerbino gekommen, damit das Gefürchtete nicht geschähe.

Als Gerbino von jener Verbindung hörte, verfiel er darüber gleichfalls in unmäßige Traurigkeit und dachte oftmals, er wolle sie mit Gewalt entführen, wenn eine Möglichkeit sich auftue und sie zu Schiff nach Granada gehe.

Der König von Tunis bekam indes von dieser Liebe und von Gerbinos Plänen einige Nachricht, und weil er wegen der Tapferkeit und der Macht des letzteren in Sorge war, tat er um die Zeit, als er seine Tochter hinüberschicken sollte, dem König Wilhelm dieses sein Vorhaben kund und erklärte zugleich,[342] daß er es auszuführen gedenke, wenn er sicher sei, daran weder durch Gerbino noch durch einen von ihm Beauftragten gehindert zu werden. König Wilhelm, der ein alter Herr war und von Gerbinos Liebschaft niemals vernommen hatte, ließ es sich nicht einfallen, daß um ihretwillen jene Versicherung nachgesucht werde, gewährte sie also willig und schickte seinen Handschuh dem König von Tunis zum Zeichen. Als dieser die Zusicherung empfangen hatte, ließ er im Hafen von Karthago ein großes und schönes Schiff zurichten, es mit allem versehen, was den darauf Reisenden nötig sein konnte, und zur Überfahrt seiner Tochter nach Granada verzieren und schmücken. Dann wartete er nur noch auf günstiges Wetter.

Da die junge Dame dies alles geschehen sah, sandte sie heimlich einen ihrer Diener nach Palermo, befahl ihm, den schönen Gerbino von ihr zu grüßen und ihm zu sagen, daß sie in wenigen Tagen nach Granada abzureisen im Begriffe stehe. Da werde man ja sehen, ob er tapfer sei, wie man von ihm sage, und ob er sie so liebe, wie er ihr öfters habe versichern lassen. Der Diener bestellte seinen Auftrag auf das beste und kehrte auch wieder nach Tunis zurück. Gerbino aber wußte nicht, was er tun sollte, als er die Botschaft der Dame vernahm, da ihm die Zusicherung seines Großvaters bekannt war. Dennoch eilte er, von der Liebe getrieben und um nicht nach den Worten der Dame, die ihm hinterbracht worden waren, für feige zu gelten, nach Messina, ließ dort gleich zwei leichte Galeeren bewaffnen, bemannte sie mit tapferen Leuten und steuerte damit gegen Sardinien, wo, wie er vermutete, das Schiff der Dame vorbeikommen mußte. Auch entsprach der Erfolg in kurzem seiner Vermutung; denn kaum war er einige Tage dort angelangt, als das Schiff mit geringem Winde der Stelle ziemlich nahe kam, wo Gerbino beigedreht hatte, um zu warten.

Sobald Gerbino das gewahr wurde, sagte er zu seinen Gefährten: »Ihr Herren, seid ihr so tüchtige Männer, wie ich meine, so denke ich, wird wohl keiner unter euch sein, der die Liebe nicht gefühlt hätte oder noch fühlte, ohne die nach meinem Dafürhalten kein Sterblicher einige Tugend oder sonstiges Gute in sich beherbergen kann. Habt ihr aber geliebt[343] oder liebt ihr noch, so wird es euch leicht sein, meine Lage zu begreifen. Ich liebe. Aus Liebe habe ich euch zur gegenwärtigen Unternehmung veranlaßt, und der Gegenstand meiner Liebe verweilt auf dem Schiffe, das ihr dort seht. Auf ihm befinden sich außer dem Inbegriff meiner Wünsche auch die größten Reichtümer, die wir, wenn anders ihr tüchtige Leute seid, durch einen männlichen Kampf mit leichter Mühe erobern können. Ich will indes von diesem Siege keinen anderen Teil haben als jenes Mädchen, dem zuliebe ich die Waffen ergriffen habe; alles andere überlasse ich euch im voraus auf das bereitwilligste. Wohlan denn, so laßt uns jenes Schiff mit sicherem Erfolg angreifen. Gott selbst zeigt sich unserem Unternehmen günstig und hält es uns durch völlige Windstille fest.«

Die vielen Worte des schönen Gerbino wären nicht einmal nötig gewesen, denn die Männer von Messina, die ihn begleiteten, führten, von Raubsucht entbrannt, in Gedanken schon aus, wozu er sie noch mit Worten ermahnte. Aus diesem Grunde erhoben sie am Ende seiner Rede ein lautes Beifallsgeschrei. Dann stießen sie in ihre Hörner, griffen zu den Waffen, tauchten die Ruder ins Meer und gelangten rasch zu dem feindlichen Schiffe.

Als die Mannschaft des letzteren die Galeeren auf sich zukommen sah und nicht entfliehen konnte, rüstete sie sich zur Verteidigung. Sobald Gerbino herangekommen war, verlangte er von ihnen, wenn sie sich nicht mit ihm schlagen wollten, sie sollten ihm die Schiffsherren an Bord seiner Galeeren liefern. Als die Sarazenen aber ihre Gegner erkannt und die Aufforderung vernommen hatten, erwiderten sie, dieser Überfall geschehe gegen das vom König verpfändete Wort und zeigten zum Beweis König Wilhelms Handschuh vor. Im übrigen aber erklärten sie, unter keiner Bedingung sich oder irgend etwas, das sie an Bord hätten, anders als mit dem Schwerte in der Hand ausliefern zu wollen. Gerbino, der inzwischen seine Dame auf dem hinteren Verdeck des Schiffes gesehen und sie noch unendlich viel schöner gefunden hatte, als sie in seiner Vorstellung lebte, antwortete im Feuer der vermehrten Glut, wie jene ihm den Handschuh zeigten, hier wären vorläufig keine Falken, und so sei denn auch kein Handschuh vonnöten.[344] Wollten sie also die Dame nicht hergeben, so möchten sie sich bereithalten, den Kampf anzunehmen.

Mit diesen Worten begannen beide Teile ohne weiteren Aufschub, eifrig aufeinander Pfeile zu schießen und Steine zu werfen, und kämpften in dieser Weise geraume Zeit lang zu großem beiderseitigem Nachteil. Als aber Gerbino sah, daß er so dem Ziele nicht viel näher kam, zündete er endlich ein Fahrzeug an, das seine Leute aus Sizilien mitgenommen hatten, und drängte es dann mit Hilfe seiner beiden Galeeren hart an das feindliche Schiff heran. Bei diesem Anblick sahen die Sarazenen wohl ein, daß ihnen kein anderer Ausweg blieb, als sich zu ergeben oder zu sterben. Darum ließen sie denn die Tochter des Königs, die im unteren Raum gesessen und geweint hatte, auf Deck bringen, führten sie an die Spitze des Schiffs, riefen dem Gerbino zu und töteten sie dann unter seinen Augen, so sehr sie auch um Gnade und Hilfe flehte. Darauf warfen sie die Leiche ins Meer und riefen: »Nimm sie! Wir geben sie dir so, wie wir dürfen und wie deine Redlichkeit sie verdient hat.«

Kaum hatte Gerbino diese Grausamkeit gesehen, so ließ er sich, als suchte er den Tod, unbekümmert um Pfeile und Steine an das feindliche Schiff heranführen und sprang, allen Verteidigern zum Trotze, an Deck. Nicht anders wie ein hungriger Löwe, der unter eine Schar junger Stiere gerät, bald diesen, bald jenen erwürgt und mit Zähnen und Krallen eher seine Wut als seinen Hunger befriedigt, traf Gerbino hier mit dem Schwert in der Hand bald den einen, bald den andern Sarazenen und tötete ihrer viele. Inzwischen nahm das Feuer in dem angezündeten Schiffe schon überhand. Gerbino ließ also seine Leute, um sie zufriedenzustellen, nehmen, was sie konnten, und kehrte dann, wenig über den davongetragenen Sieg erfreut, auf seine Galeeren zurück. Er ließ den Körper der schönen Dame aus dem Meere fischen, weinte lange und mit vielen Tränen über ihm und bestattete ihn auf der Rückfahrt nach Sizilien feierlich auf Ustica, einer kleinen Insel, die Trapani ungefähr gegenüberliegt. Dann erst schiffte er, über die Maßen traurig, nach seiner Heimat zurück.

Sobald der König von Tunis von dem Vorgefallenen Kunde[345] erhalten hatte, schickte er schwarzgekleidete Gesandte an König Wilhelm und beschwerte sich, daß dessen Versprechen so schlecht gehalten worden sei. Die Gesandten berichteten den Hergang der Sache. König Wilhelm aber wurde über das Geschehene sehr aufgebracht und ließ den Gerbino gefangensetzen, da er nicht wußte, unter welchem Vorwand er die Genugtuung, die jene forderten, verweigern sollte. Ja, er verurteilte ihn darauf, da keiner seiner Barone ihn für Gerbino um Gnade bitten mochte, selbst zum Tode und ließ ihm in seiner Gegenwart das Haupt abschlagen; denn er wollte lieber ohne Enkel sterben als für einen Fürsten gelten, der sein Wort brach.

Auf solche Weise fanden also innerhalb weniger Tage zwei Liebende ein elendigliches Ende, ohne nur die geringste Frucht ihrer Liebe gekostet zu haben.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 340-346.
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