Fünfte Geschichte

[771] Madonna Dianora fordert von Herrn Ansaldo im Januar einen Garten so schön wie im Mai. Herr Ansaldo verpflichtet sich einen Schwarzkünstler und verschafft ihn ihr. Ihr Gatte erlaubt ihr, Herrn Ansaldo zu Willen zu sein. Dieser entbindet sie ihres Versprechens, als er die Großmut ihres Mannes erfährt, und der Schwarzkünstler verläßt Herrn Ansaldo, ohne etwas von ihm annehmen zu wollen.


Von jedem in der fröhlichen Gesellschaft war Herr Gentile mit hohem Lobe bis zum Himmel erhoben worden, als der König Emilia fortzufahren befahl, und diese begann keck, als wäre sie zu erzählen begierig, folgendermaßen:

In Friaul, einem Lande, das, obgleich kalt, durch schöne Berge, mehrere Flüsse und klare Quellen ein heiteres Gesicht erhält, liegt eine Stadt namens Udine. Dort lebte einst eine schöne und edle Dame, Madonna Dianora genannt, als Gattin eines angesehenen und reichen Mannes, welcher Gilberto hieß, gefällige Sitten hatte und gut aussah. Diese Dame verdiente es durch ihre trefflichen Eigenschaften, von einem edlen und großen Herrn, Ansaldo von Grado, innig geliebt zu werden, der ein Mann von hohem Geblüt war und den man ob seiner Waffentaten und seiner adeligen Sitten überall kannte. Er liebte sie heftig und bemühte sich doch umsonst, obwohl er alles tat, was[771] er vermochte, um von ihr wiedergeliebt zu werden, und sie darum auch häufig mit Botschaften anging.

Die Anträge des Ritters wurden der Dame endlich zur Last, und da sie sah, daß er, wie sehr sie ihm auch alles abschlug, worum er sie bat, doch nicht abließ, sie zu lieben und zu bestürmen, so sann sie darauf, ihn sich durch ein unerhörtes und ihrer Meinung nach unmögliches Verlangen vom Halse zu schaffen. Daher sprach sie zu einem Weib, das in seinem Auftrag häufig zu ihr kam, eines Tages folgendermaßen: »Gute Frau, du hast mir so oft beteuert, daß Herr Ansaldo mich über alles liebt, und mir in seinem Namen wundersame Geschenke angeboten. Ich will jedoch, daß diese ihm bleiben sollen, weil ich um ihretwillen ihn weder liebte noch nach seinem Verlangen täte. Wäre ich indes gewiß, daß er mich wirklich so liebte, wie du sagst, wahrlich, so entschlösse ich mich, ihn wiederzulieben und zu tun, was er begehrt. Will er mich also davon durch das überzeugen, um was ich ihn bitten werde, so bin ich zu seinen Wünschen bereit.«

»Und was ist das, Madonna?« sagte die gute Frau. »Was ich begehre«, antwortete die Dame, »ist dies: ich verlange im kommenden Monat Januar nächst dieser Stadt einen Garten voll grüner Kräuter, Blumen und belaubter Bäume, nicht anders, als wäre es Mai. Schafft er mir den aber nicht, so soll er weder dich noch eine andere je wieder zu mir schicken; denn wenn er mich dann noch belästigte, so beschwerte ich, wie ich bisher alles vor meinem Gatten und meinen Verwandten geheimgehalten habe, mich deshalb bei ihnen und wüßte ihn mir dadurch vom Halse zu schaffen.«

Als der Ritter Begehren und Verheißung seiner Dame vernahm, beschloß er bei sich – wiewohl ihm die Sache schwer und beinahe unmöglich zu sein schien und er wohl einsah, daß die Dame dies aus keinem andern Grunde verlangt habe, als um ihm jede Hoffnung zu nehmen –, dennoch zu versuchen, wieviel davon vielleicht zu bewerkstelligen sei. So schickte er denn in viele Länder der Erde umher, ob sich jemand fände, der ihm Rat und Beistand dazu liehe. Endlich traf er in der Tat auf einen, der versprach, es bei guter Bezahlung durch Zauberkunst ins Werk zu setzen. Mit diesem[772] wurde Herr Ansaldo für eine übergroße Summe Goldes einig und erwartete nun froh die Zeit, die ihm bestimmt war.

Als diese erschienen und die Kälte sehr groß, auch alles rings mit Eis und Schnee bedeckt war, brachte der kundige Mann in der Nacht, auf welche der erste Januar folgte, es mit seinen Künsten dahin, daß – wie die bezeugten, die es mit ansahen – am Morgen auf einer schönen Wiese nahe bei der Stadt einer der schönsten Gärten, die je gesehen wurden, mit Kräutern, Blumen und Früchten aller Art erschien. Kaum hatte Herr Ansaldo diesen mit Freuden erblickt, so ließ er von den schönsten Früchten und den prächtigsten Blumen, die darin waren, pflücken und diese heimlich seiner Dame überreichen. Zugleich lud er sie ein, den von ihr verlangten Garten anzusehen, damit sie daran erkennen möge, wie sehr er sie liebe. Dann aber möge sie sich auch ihres gegebenen und mit einem Schwur bekräftigten Versprechens erinnern und Sorge tragen, es demnächst als eine Frau, die zu ihrem Worte steht, zu erfüllen.

Als die Dame die Blumen und die Früchte erblickte und schon viele von dem wunderbaren Garten erzählen hörte, fing ihr Versprechen an, sie zu reuen. Allein, trotz aller Reue begab sie sich doch begierig, so Außerordentliches zu sehen, mit vielen andern Damen der Stadt hinaus, den Garten zu beschauen, und nachdem sie ihn nicht ohne Erstaunen gesehen und sehr gelobt hatte, kehrte sie, trauriger als je ein Weib war, nach Hause zurück, indem sie bedachte, wozu sie hierdurch verpflichtet sei. Und so groß war ihr Schmerz, daß sie ihn nicht zur Genüge in sich verbergen konnte. Die Folge war, daß ihr Gatte ihren Schmerz bemerkte und den Grund auf das bestimmteste von ihr zu hören begehrte. Lange verschwieg ihn die Dame aus Scham; zuletzt sah sie sich jedoch gezwungen, ihm alles, wie es sich zugetragen hatte, zu bekennen.

Als Gilberto dies hörte, geriet er anfangs in großen Zorn; dann aber erkannte er die lautere Absicht der Frau, weshalb er seinen Zorn verbannte und mit reiferem Entschlusse zu ihr sprach: »Dianora, irgendeine Botschaft solcher Art anzuhören oder unter irgendeiner Bedingung über die eigene Keuschheit mit einem dritten Verträge zu schließen, heißt keineswegs als[773] eine verständige und sittsame Frau handeln. Denn die Worte, welche durch das Ohr vom Herzen aufgenommen werden, üben eine größere Gewalt aus, als viele glauben, und den Liebenden wird fast alles möglich. Übel also tatest du, zuerst, als du Gehör gabst, und dann, als du einen Vertrag schlossest. Weil ich aber die Reinheit deiner Absicht erkenne, so will ich dir, um dich von dem Bande des Versprechens zu lösen, das bewilligen, was vielleicht kein anderer bewilligte. Auch bestimmt die Furcht vor dem Zauberer meinen Entschluß, durch welchen Herr Ansaldo, wolltest du ihn betrügen, uns vielleicht ein Leid antun lassen könnte. Ich will also, daß du zu ihm gehst und dich bemühst, wenn du es irgendwie vermagst, unbeschadet deiner weiblichen Ehre aus deinem Versprechen entlassen zu werden. Wäre es jedoch nicht anders möglich, nun, so bewillige ihm für diesmal deinen Leib, nicht aber die Seele.«

Als die Dame ihren Gatten so sprechen hörte, weinte sie und sagte, eine solche Gunst verlange sie nicht von ihm. Gilberto aber wollte, wie sehr auch seine Frau widersprach, daß es dabei bleibe. Als daher der folgende Morgen anbrach, begab sich die Dame um die Morgenröte und ohne sich sehr zu schmücken, mit zwei Dienern vorauf und von einer Kammerfrau gefolgt, zum Hause des Herrn Ansaldo. Als dieser vernahm, seine Dame sei zu ihm gekommen, wunderte er sich sehr und ließ, indem er sich erhob, den Zauberer rufen, zu dem er sagte: »Nun will ich, daß du siehst, welch ein Gut deine Kunst mich hat gewinnen lassen.« Dann ging er ihr entgegen, empfing sie sittsam und mit Achtung, ohne einer sträflichen Begierde Raum zu geben, und alle traten darauf in ein schönes Gemach zu einem großen Feuer.

Nachdem er ihr einen Sitz hatte anbieten lassen, begann er: »Madonna, ich bitte Euch, wenn anders die lange Liebe, die ich zu Euch getragen, einigen Lohn verdient, daß es Euch nicht lästig sei, mir den wahren Grund, der Euch in solcher Stunde und in solcher Begleitung hierher geführt hat, zu offenbaren.« Hierauf antwortete die Dame schamerfüllt und schier mit Tränen in den Augen: »Herr, weder Liebe, die ich für Euch hegte, noch mein verpfändetes Wort führen mich hierher, sondern der Befehl meines Gatten, welcher mit mehr Rücksicht[774] auf die Bemühungen Eurer ungeregelten Liebe als auf seine und meine Ehre mir geboten hat, hierher zu gehen. Auf seinen Befehl hin bin ich für diesmal zu jedem Eurer Wünsche bereit.«

Hatte Herr Ansaldo sich schon anfangs gewundert, als er hörte, die Dame sei gekommen, so wunderte er sich jetzt noch viel mehr, und bewegt von Gilbertos Großmut, fing seine Glut an, sich in Mitleid zu verwandeln, und er sprach: »Madonna, da dem so ist, wie Ihr sagt, so möge es Gott nicht gefallen, daß ich der Verderber der Ehre dessen sei, der mit meiner Liebe ein solches Mitleid hatte. Darum will ich Euch, solange es Euch gefällt, hier zu verweilen, nicht anders behandeln, als wenn Ihr meine Schwester wäret, und sobald es Euch genehm ist, möget Ihr frei von hinnen gehen, jedoch so, daß Ihr Eurem Gemahl für soviel Edelsinn, wie er ihn heute mir gegenüber bewiesen hat, den Dank sagt, der Euch angemessen scheint, und mich für alle Zukunft als Euren Bruder und Diener betrachtet.«

Als die Dame diese Worte vernahm, sprach sie, froher denn je: »Erwog ich Eure adeligen Sitten, so konnte ich nie glauben, daß mein Kommen zu etwas anderem führen könnte als zu dem, was ich Euch jetzt tun sehe und wofür ich Euch immerdar verpflichtet sein werde.« Dann nahm sie Abschied und kehrte, ehrenvoll begleitet, zu Gilberto zurück, dem sie alles erzählte, was geschehen war. Eine enge und treue Freundschaft aber verband diesen von nun an mit Herrn Ansaldo.

Auch der Schwarzkünstler, dem Herr Ansaldo jetzt den versprochenen Lohn auszahlen wollte, sagte, nachdem er die Großmut Gilbertos gegen Herrn Ansaldo und die Ansaldos gegen die Dame mit angesehen hatte: »Verhüte Gott, daß, da ich Gilberto mit seiner Ehre und Euch mit Eurer Liebe freigebig gesehen habe, ich es nicht auch mit meinem Lohne sei. Da ich denn sehe, daß er bei Euch in guten Händen ist, so will ich, daß er Euer bleibe.« Der Ritter schämte sich und suchte den Schwarzkünstler zu bewegen, daß er jene Summe entweder ganz oder doch zum Teil annähme. Doch da sein Bemühen ohne Erfolg blieb, empfahl er den Zauberer, der nach dem dritten Tage seinen Garten wieder weggeschafft hatte und nun abreisen wollte, Gott und blieb, nachdem er aus seinem Herzen[775] die begehrende Liebe zu seiner Dame verbannt hatte, von ehrbarer Zuneigung entflammt zurück.


Was sollen wir nun hiervon sagen, ihr liebevollen Mädchen? Wollen wir die halbtote Dame der vorigen Geschichte und die durch entkräftete Hoffnung schon lau gewordene Liebe der Großmut Herrn Ansaldos vorziehen, der, feuriger denn je liebend und von größerer Hoffnung entflammt, die Beute in seinen Händen hielt, die er so lange verfolgt hatte? Töricht schiene es mir, anzunehmen, daß jene Handlung der Großmut mit dieser zu vergleichen sei.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 771-776.
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