Vierte Geschichte

[105] Landolfo Ruffolo verarmt, wird Korsar, gerät in genuesische Gefangenschaft und erleidet Schiffbruch. Er rettet sich auf einer Kiste voll köstlicher Edelsteine, wird in Korfu von einem armen Weibe beherbergt und kehrt reich in die Heimat zurück.


Als Lauretta, die neben Pampinea saß, diese am rühmlichen Ende ihrer Geschichte angelangt sah, begann sie, ohne eine besondere Aufforderung abzuwarten, also zu sprechen:

Holdselige Mädchen, nach meinem Dafürhalten kann man die Macht Fortunas am deutlichsten erkennen, wenn jemand, wie wir das in Pampineas Geschichte an Alessandro haben geschehen sehen, vom tiefsten Elend zu königlicher Würde erhoben wird. Weil also wir alle, die wir ferner im Bezirk unserer Aufgabe zu erzählen haben, genötigt sein werden, uns innerhalb dieser Grenzen zu halten, so schäme ich mich nicht, eine Geschichte vorzutragen, die zwar noch größeres Unglück schildert, doch nicht zu einem so glänzenden Ausgang gedeiht. Wem es nur auf diesen Ausgang ankommt, wird sie demnach mit geringerer Aufmerksamkeit anhören, doch wird man mich entschuldigen, da ich, wie gesagt, nicht anders kann.

Man rechnet das Gestade von Reggio bis Gaeta mit zu den schönsten Landschaften Italiens. Hier dehnt sich, nicht weit von Salerno, eine bergige Küste aus, die das weite Meer überschaut und von den Einwohnern die Küste von Amalfi[105] genannt wird. Sie ist übersät mit kleinen Städten, bedeckt von Gärten und Springbrunnen und voll von Leuten, die sich durch den Handel bedeutende Reichtümer erworben haben. Unter diesen Städten ist eine, Ravello genannt, die zwar heute noch wohlhabende Einwohner hat, vor Zeiten jedoch einen besaß, der überreich war und Landolfo Ruffolo hieß. Da ihm indes seine Reichtümer noch nicht genügten und er sie zu verdoppeln trachtete, fehlte wenig daran, daß er nicht allein sie, sondern mit ihnen zugleich das eigene Leben eingebüßt hätte.

Er kaufte nämlich, wie Handelsherren das wohl zu tun pflegen, auf Grund seiner Berechnungen ein besonders großes Schiff, befrachtete dies vollkommen für sein eigenes Geld und fuhr mit ihm nach Zypern. Hier aber fand er andere Schiffe, die mit derselben Art Waren, wie er sie gebracht hatte, eben dorthin gekommen waren. Deshalb mußte er seine Ladung nicht allein unter dem Preis abgeben, wenn er überhaupt verkaufen wollte, sondern fast umsonst weggeben, wodurch er sich nahezu ruinierte. Er nahm sich das Unglück, binnen kurzem von großem Reichtum zum armen Manne geworden zu sein, so zu Herzen, daß er beschloß, entweder zu sterben oder seinen Verlust durch Räubereien zu ersetzen, damit er, der reich abgereist, nicht arm nach Hause zurückkehre.

Sobald er also einen Abnehmer für sein großes Schiff gefunden hatte, schaffte er sich mit dem Gelde, das er hieraus und aus dem Verkauf seiner Waren gelöst hatte, ein kleines Kaperschiff an, rüstete dies mit allem aus, was zu solchen Unternehmungen dienlich ist, und begann, sich fremdes Eigentum, besonders aber das der Türken, anzueignen. Das Glück begünstigte ihn bei diesem Handwerk mehr, als es bei seinem Handel getan hatte. Er plünderte und nahm im Verlauf eines Jahres so viele türkische Schiffe, daß er nicht allein ebensoviel wiedergewonnen hatte, wie er als Kaufmann verlor, sondern seinen damaligen Besitz noch um vieles vermehrt sah. Der Schmerz über sein eigenes Unglück hatte ihn indes so sehr gewitzigt, daß er, um nicht einem zweiten zu unterliegen, mit sich selbst einig wurde, was er besitze, müsse ihm genug sein.

So entschloß er sich denn, mit dem Erworbenen nach Hause zurückzukehren, und einmal gegen Waren mißtrauisch gemacht,[106] wollte er sich auch nicht darauf einlassen, sein Geld anderweitig anzulegen, sondern ruderte mit demselben Fahrzeug, das ihm zu seinem Gewinne verholfen hatte, geradewegs nach Hause. Schon war er in den Archipel gelangt, da erhob sich eines Abends ein heftiger Schirokko, der nicht allein der Fahrtrichtung entgegen war, sondern auch die See so hoch gehen ließ, daß Landolfo mit seinem kleinen Schiffe nicht auf dem offenen Meer bleiben konnte, sondern genötigt war, sich zum Schutz vor dem Winde in eine kleine Inselbucht zurückzuziehen, um dort besseres Wetter abzuwarten.

In dieselbe Bucht flüchteten bald darauf mit genauer Not zwei große genuesische Lastschiffe, die von Konstantinopel kamen und derselben Gefahr zu entgehen suchten, vor der Landolfo geflohen war. Als die Eigentümer jener Schiffe das kleine Fahrzeug erblickten und erfuhren, wem es gehörte, beschlossen sie, es sich anzueignen, denn sie waren von geldgieriger und räuberischer Gesinnung und hatten bereits gerüchtweise von Landolfos Reichtümern gehört. Den Weg zur Flucht hatten sie ihm schon abgeschnitten. So setzten sie denn einen Teil ihrer Mannschaft an Land, wohlbewaffnet und mit Armbrüsten versehen, und postierten diesen an einem Platz, von dem sie allen auf Landolfos Schiffe, die nicht erschossen werden wollten, das Landen verwehren konnten. Die Lastschiffe aber ließen sie teils von den Booten ziehen, teils kam ihnen das Meer selbst zu Hilfe, so daß sie ganz nahe zu Landolfos Fahrzeug gelangten und dies mit geringer Mühe und in kurzer Zeit kaperten, ohne von den Rudersklaven, die sich darauf befanden, einen Mann zu verlieren und ohne nennenswerten Widerstand zu finden. Den Landolfo selbst brachten sie auf eines ihrer Schiffe, plünderten sein kleines Fahrzeug völlig aus und versenkten es dann, während seinem ehemaligen Eigentümer nichts als eine ärmliche Jacke blieb.

Tags darauf änderte sich der Wind. Die Schiffe segelten gen Westen und verfolgten während des ganzen Tages glücklich ihre Reise. Gegen Abend aber erhob sich ein heftiger Sturm, das Meer ging hoch, und die beiden Schiffe wurden voneinander getrennt. Von der Gewalt des Windes wurde dasjenige, auf welchem sich der arme, unglückliche Landolfo befand, in[107] der Nähe der Insel Kefalonia mit größter Heftigkeit auf eine Sandbank geschleudert, so daß es wie Glas, das wider eine Mauer geworfen ward, auseinanderbrach und zerschellte. Waren aller Art, Balken und Bretter bedeckten schwimmend das ganze Meer, und obgleich es finstere Nacht war, suchte jeder von den armen Schiffbrüchigen, der schwimmen konnte, irgendeinen Gegenstand zu ergreifen, der von ungefähr in seine Nähe kam. Obgleich nun unser unglücklicher Landolfo am Tage zuvor oftmals den Tod gerufen und ihn in Gedanken der Heimkehr als Bettler vorgezogen hatte, erschrak er doch vor ihm, als er ihn jetzt vor sich sah, und ergriff wie die andern ein Brett, dessen er habhaft wurde, in der Hoffnung, daß Gott ihm vielleicht noch zur Rettung verhelfen werde, wenn er sich eine Zeitlang vor dem Ertrinken schützen könnte. So hielt er sich die Nacht hindurch, so gut er konnte, reitend auf dem Brette, während dieses von Wind und Wellen bald hierhin, bald dorthin getrieben wurde.

Als endlich der Tag angebrochen war und Landolfo sich umschaute, erblickte er nichts anderes als Wolken und Meer und eine Kiste, die ihm zu seinem Schrecken mehrmals so nahe kam, daß er fürchtete, sie möchte auf ihn stoßen und ihn verletzen, weshalb er sie auch jedesmal mit aller Kraft, obwohl diese nur noch gering war, mit der Hand von sich stieß. Dennoch geschah es, daß ein Wirbelwind sich plötzlich in der Luft entwickelte, auf das Meer niederfuhr und die Kiste so gewaltig traf, daß sie, gegen das Brett geschleudert, dieses und mit ihm Landolfo tief unter das Wasser stieß. Als Landolfo, dem die Furcht neue Kräfte lieh, schwimmend wieder emporkam, sah er sein Brett weit von sich hinweggerissen, so daß er fürchten mußte, er würde es nicht mehr erreichen. Er wendete sich darum der Kiste zu, die ihm ziemlich nahe war, legte sich mit der Brust auf den Deckel derselben und hielt sie, so gut es ging, aufrecht. In dieser Stellung mußte er den ganzen Tag und die folgende Nacht aushalten, vom Meer hin und her geworfen, ohne Speise, denn wo hätte er sie hernehmen sollen, aber bei häufigerem Trunk, als er gewünscht hätte, ohne zu wissen, wo er sich befand, und ohne etwas anderes als Wasser zu sehen.[108]

Den Tag darauf gelangte er endlich durch Gottes Willen oder durch die Kraft der Winde getrieben, vom Wasser durchweicht wie ein Schwamm, die Kanten der Kiste umklammernd, wie Ertrinkende es tun, an das Ufer der Insel Korfu, wo zum Glück eben ein armes Weib sein Küchengeschirr mit Sand und salzigem Seewasser wusch und blank scheuerte. Als die Alte ihn der Küste nahekommen sah und die menschliche Gestalt nicht an ihm zu erkennen vermochte, floh sie anfangs schreiend und erschrocken. Er aber konnte nichts zu ihr sagen, denn er hatte die Sprache ganz und das Gesicht fast verloren. Dennoch warf ihn das Meer gegen das Land, und die Frau erkannte nun den Umriß der Kiste. Dann blickte sie aufmerksamer hin und ward zuerst die Arme gewahr, die sich über die Kiste spannten, fand alsbald das Gesicht heraus und erriet endlich die Wahrheit. Sein Zustand erregte ihr Mitleid, sie watete einige Schritte ins Meer hinein, das sich inzwischen beruhigt hatte, packte ihn an den Haaren und zog ihn samt der Kiste an Land. Mit Mühe machte sie seine Hände von der Kiste los, lud sie ihrer kleinen Tochter, die bei ihr war, auf den Kopf und trug ihn selbst wie ein kleines Kind ins Dorf. Sie setzte ihn in ein Bad und rieb und wusch ihn so lange mit warmem Wasser, bis die entwichene Wärme und ein Teil der verlorenen Kräfte in den Körper zurückkehrten. Als es ihr Zeit zu sein schien, nahm sie ihn wieder heraus, erquickte ihn mit etwas gutem Wein und Gebackenem und pflegte ihn nach ihrem Vermögen einige Tage lang so gut, daß er wieder Kraft gewann und sich bewußt wurde, wo er war.

Da glaubte die gute Frau, es sei nun an der Zeit, ihm die Kiste, die ihn gerettet, wiederzugeben und ihm zu sagen, daß er ferner selbst für sich sorgen möge. So tat sie denn auch, und Landolfo, der sich der Kiste nicht mehr erinnerte, nahm sie dennoch an, als die gute Frau sie ihm brachte, und meinte, wenn sie auch noch so wenig wert wäre, könnte sie ihm doch seinen Unterhalt für den einen oder andern Tag verschaffen. Als er sie aber sehr leicht fand, gab er diese Hoffnung fast wieder auf, bis er sie eines Tages, als seine Wirtin nicht zu Hause war, aufbrach und darin viele lose und gefaßte Edelsteine fand, deren hohen Wert er sogleich erkannte, da er[109] dergleichen Dinge einigermaßen zu beurteilen wußte. Da wurde er wieder froh und dankte Gott, daß er ihn noch nicht ganz habe verlassen wollen. Weil er aber in kurzer Zeit zweimal vom Schicksal hart getroffen worden war, beschloß er, wegen eines dritten Males besorgt, besonders vorsichtig zu Werke zu gehen, um diese Kostbarkeiten sicher in seine Heimat bringen zu können. Zu diesem Zweck wickelte er sie alle, so gut es gehen konnte, in einige Lumpen und sagte zu seiner Wirtin, einer Kiste bedürfe er nicht mehr. Wenn sie ihm aber einen Gefallen tun wolle, so möge sie diese behalten und ihm dafür einen Sack schenken.

Die gute Frau war dazu gern bereit. Er aber dankte ihr, so herzlich er nur wußte und konnte, für die ihm erwiesenen Wohltaten, sagte ihr Lebewohl und schiffte, seinen Sack über die Schultern gehängt, in einem Boote nach Brindisi hinüber. Von hier aus ging er, immerfort längs der Küste, bis Trani, wo er einige Tuchhändler fand, die seine Landsleute waren. Diesen erzählte er alle seine Schicksale, nur daß er ihnen nichts von der Kiste berichtete, worauf sie ihn fast um Gottes willen bekleideten, ihm noch überdies ein Pferd liehen und Begleitung verschafften, um nach Ravello zu gelangen, wohin er, wie er erklärte, zurückkehren wollte.

Hier erst glaubte er sich sicher und öffnete, dankbar gegen Gott, der ihn so weit gebracht, seinen Sack. Als er ihn genauer als früher untersuchte, fand er sich im Besitze so vieler und so kostbarer Edelsteine, daß er bei angemessenem und selbst bei wohlfeilem Verkauf derselben mehr als doppelt so reich war wie bei seiner Abreise. Als er Gelegenheit gefunden hatte, die Steine zu verkaufen, sandte er der guten Frau, die ihn aus dem Meer gezogen, zum Dank für die erwiesenen Wohltaten eine bedeutende Geldsumme nach Korfu. Ein Gleiches tat er den Kaufleuten, die ihn in Trani bekleidet. Den Rest aber behielt er für sich und lebte damit ehrenvoll bis an sein Ende, ohne sich weiter auf Handelsunternehmungen einzulassen.

Quelle:
Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. München 1964, S. 105-110.
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