8.

[30] Ein schlimm'res Unglück als der Tod

Der liebsten Menschen – ist die Not!

Sie läßt nicht sterben und nicht leben,

Sie streift des Lebens Blüte ab,

Streift, was uns Lieblichstes gegeben,

Vom Herzen und Gemüte ab,

Den Stolz des Weisesten selbst beugt sie,

Daß er der Dummheit dienstbar werde –

Der Sorgen bitterste erzeugt sie,

Denn man muß leben auf der Erde.
[30]

Not ist das Grab der Poesie,

Und macht uns Menschen dienstbar, die

Man lieber stolz zerdrücken möchte,

Als sich vor ihnen bücken möchte.


Doch darfst du darum nicht verzagen.

Bis dir das Herz zusammenbricht:

Das Unglück kann die Weisheit nicht –

Doch Weisheit kann das Unglück tragen.


Verscheuch' den Gram durch Liebsgekose,

Durch deiner süßen Lieder Schall!

Nimm dir ein Beispiel an der Rose,

Ein Beispiel an der Nachtigall:


Die Rose auch, die farbenprächtige,

Kann nicht der Erde Schmutz entbehren –

Die Nachtigall, die liedesmächtige,

Muß sich von schlechten Würmern nähren!


Quelle:
Friedrich von Bodenstedt: Die Lieder des Mirza-Schaffy von Friedrich von Bodenstedt, Leipzig [1924], S. 30-31.
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