3.

[37] Die Weise guter Zecher ist

In früh und später Stunde,

Daß alter Wein im Becher ist

Und neuer Witz im Munde –

Denn wo man eins davon entbehrt,

Da ist das andre auch nichts wert –

Das eine steht zum andern.


Je mehr wir uns vertieft im Wein,

Je höher steigt der Geist uns –[37]

Der Bart der Weisheit trieft von Wein,

Die ganze Welt umkreist uns,

Versunken ganz in Trunkenheit

Und trunken in Versunkenheit,

In Wein, Gesang und Liebe!


Die Weisen beim Pokale stehn

Hoch über der Gemeinheit,

Wie Berge überm Tale stehn

In himmelhoher Reinheit –

Die Berge färbt des Himmels Licht,

Uns widerstrahlt das Angesicht

Im Glanz der vollen Becher!


Sagt, was die Welt im Tausch uns gibt

Für unser lustig Leben!

Die Wonne, die ein Rausch uns gibt,

Wer mag uns Bess'res geben?

Nur eins kenn' ich, das schöner ist:

Wenn du, Hafisa, bei mir bist

Mit Küssen und mit Scherzen!


Und weil so kurz das Leben ist,

Muß stets der Weisen Ziel sein:

Des Glücks, das uns gegeben ist,

Kann nimmermehr zuviel sein!

Drum Kind, laß alle Skrupel sein

Und steig herab in unsre Reihn,

Wie ins Gebirg' die Sonne!


Quelle:
Friedrich von Bodenstedt: Die Lieder des Mirza-Schaffy von Friedrich von Bodenstedt, Leipzig [1924], S. 37-38.
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