12. Die Bubenjahre

[89] Indessen kümmerte mich alle dieß um kein Haar. Auch wußt' ich eigentlich nichts davon, und war überhaupt ein leichtsinniger Bube, wie's je einen gab. Alle Tag dacht' ich dreymal ans Essen, und damit aus. Wenn mich der Vater nur mit langanhaltender oder strenger Arbeit verschonte, oder ich eine Weile davonlaufen konnte, so war mir alles recht. Im Sommer sprang ich in der Wiese und an den Bächen herum, riß Kräuter und Blumen ab, und machte Sträusse wie Besen; dann durch alles Gebüsch, den Vögeln nach, kletterte auf die Bäume, und suchte Nester. Oder ich las ganze Haufen Schneckenhäuslein oder hübsche Stein zusammen. War ich dann müd', so setzt' ich mich an die Sonne, und schnitzte zuerst Hagstecken, dann Vögel, und zuletzt gar Kühe; denen gab ich Namen, zäunt' ihnen eine Waid ein, baut' ihnen Ställe, und fütterte sie; verhandelte dann bald dies bald jenes Stück, und machte immer wieder schönere. Ein andermal richtete ich Oefen und Feuerherd auf, und kochte aus Sand und Lett einen saubern Brey. Im Winter wälzt' ich mich im Schnee herum, und rutschte bald in einer Scherbe von einem zerbrochenen Napf, bald auf dem blossen Hintern, die Gähen hinunter. Das trieb ich dann alles so, wie's die Jahrszeit mitbrachte, bis mir der Vater durch den Finger pfiff, oder ich sonst merkte, daß es Zeit über Zeit war. Noch hatt' ich keine Cameraden; doch wurd' ich[89] in der Schule mit einem Buben bekannt, der oft zu mir kam, und mir allerhand Lappereyen um Geld anbot, weil er wußte, daß ich von Zeit zu Zeit einen halben Batzen zu Trinkgeld erhielt. Einst gab er mir ein Vogelnest in einem Mausloch zu kaufen. Ich sah täglich darnach. Aber eines Tags waren die Jungen fort; das verdroß mich mehr als wenn man dem Vater alle Küh gestohlen hätte. Ein andermal, an einem Sonntag, bracht' er Pulver mit – bisher kannt' ich diesen Höllensamen nicht – und lehrte mich Feuerteufel machen. Eines Abends hatt' ich den Einfall: Wenn ich auch schiessen könnte! Zu dem End' nahm ich eine alte eiserne Brunnröhre, verkleibte sie hinten mit Leim, und machte eine Zündpfanne auch von Leim; in diese that ich dann das Pulver, und legte brennenden Zunder daran. Da's nicht losgehen wollte, blies ich ... Puh! Mir Feuer und Leim alles ins Gesicht. Dieß geschah hinterm Haus; ich merkte wohl, daß ich was unrechtes that. Inzwischen kam meine Mutter, die den Klapf gehört hatte, herunter. Ich war elend bleßirt. Sie jammerte, und half mir hinauf. Auch der Vater hatte oben in der Waide die Flamm gesehen, weils fast Nacht war. Als er heimkam, mich im Bett antraf, und die Ursache vernahm, ward er grimmig böse. Aber sein Zorn stillte sich bald, als er mein verbranntes Gesicht erblickte. Ich litt grosse Schmerzen. Aber ich verbiß sie, weil ich sonst fürchtete, noch Schläge oben drein zu bekommen, und wußte daß ich solche verdient hätte. Doch mein Vater empfand wohl, daß ich Schläge genug habe. Vierzehn Tage sah' ich keinen Stich; an den Augen hatt' ich kein Häärlein[90] mehr. Man hatte grosse Sorgen wegen dem Gesicht. Endlich war's doch allmälig und von Tag zu Tag wieder besser. Jetzt, sobald ich vollkommen hergestellt war, machte der Vater es mit mir, wie Pharao mit den Israeliten, ließ mich tüchtig arbeiten, und dachte: So würden mir die Possen am beßten vergehen. Er hatte Recht. Aber damals konnt' ich's nicht einsehen, und hielt ihn für einen Tyrann, wenn er mich so des Morgens früh aus dem Schlaf nahm, und an das Werk musterte. Ich meinte, das wär' eben nicht nöthig; die Kühe gäben ja die Milch von sich selber.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 89-91.
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