16. Vergnügen im Hirtenstand

[95] Welche Lust, bey angenehmen Sommertagen über die Hügel fahren – durch Schattenwälder streichen – durchs Gebüsch Einhörnchen jagen, und Vogelnester ausnehmen! Alle Mittag lagerten wir uns am Bach; da ruhten meine Geissen zwey bis drey Stunden aus, wann es heiß war noch mehr. Ich aß mein Mittagbrodt, sog mein[95] Geißchen, badete im spiegelhellen Wasser, und spielte mit den jungen Gitzen. Immer hatt' ich einen Gertel oder eine kleine Axte bey mir, und fällte junge Tännchen, Weiden oder Ilmen. Dann kamen meine Geissen haufenweis und kafelten das Laub ab. Wenn ich ihnen Leck, Leck! rufte, dann gieng's gar im Galopp, und wurd' ich von ihnen wie eingemaurt. Alles Laub und Kräuter, die sie frassen, kostete auch ich; und einige schmeckten mir sehr gut. So lang der Sommer währte, florirten die Erd-Im-Heidel- und Brombeeren; deren hatt' ich immer vollauf, und konnte noch der Mutter am Abend mehr als genug nach Haus bringen Das war ein herrliches Labsal, bis ich mich einst daran bis zum Eckel überfraß. – Und welch Vergnügen machte mir nicht jeder Tag, jeder neue Morgen; wenn jetzt die Sonne die Hügel vergoldete, denen ich mit meiner Heerde entgegenstieg; dann jenen haldigen Buchenwald, und endlich die Wiesen und Waldplätze beschien. Tausendmal denk' ich dran; und oft dünkt's mich, die Sonne scheine jetzt nicht mehr so schön. Wann dann alle anliegenden Gebüsche von jubilirenden Vögeln ertönten, und dieselben um mich her hüpften – O! Was fühlt' ich da! – Ha, ich weiß es nicht! – Halt süsse, süsse Lust! Da sang' und trillerte ich dann mit, bis ich heiser ward. Ein andermal spürte ich diesen mutern Waldbürgern durch alle Stauden nach, ergötzte mich an ihrem hübschen Gefieder, und wünschte, daß sie nur halb so zahm wären wie meine Geissen; beguckte ihre Jungen und ihre Eyer, und erstaunte über den wundervollen Bau ihrer Nester. Oft fand ich deren in der Erde,[96] im Mooß, im Farrn, unter alten Stöcken, in den dicksten Dörnen, in Felsritzen, in hohlen Tannen oder Buchen; oft hoch im Gipfel – in der Mitte – zu äusserst auf einem Ast. Meist wußt' ich ihrer etliche. Das war mir eine Wonne, und fast mein einziges Sinn und Denken, alle Tage gewiß einmal nach allen zu sehn; wie die Jungen wuchsen, wie das Gefiieder zunahm, wie die Alten sie fütterten, u.d.g. Anfangs trug ich einige mit mir nach Haus, oder brachte sie sonst an ein bequemeres Ort. Aber dann waren sie dahin. Nun ließ ich's bleiben, und sie lieber groß werden – Da flogen sie mir aus. – Eben so viel Freuden brachten mir meist auch meine Geissen. Ich hatte von allen Farben, grosse und kleine, kurz- und langhaarige, bös- und gutgeartete. Alle Tage ruft' ich sie zwey bis dreymal zusammen, und überzählte sie, ob ich's voll habe? Ich hatte sie gewöhnt, daß sie auf mein Zub, Zub! Leck, Leck! aus allen Büschen hergesprungen kamen. Einige liebten mich sonderbar, und giengen den ganzen Tag nie einen Büchsenschuß weit von mir; und wenn ich mich verbarg, fiengen sie alle ein Zettergeschrey an. Von meinem Duglöörle (so hieß ich meine Mittagsgeiß) konnt' ich mich nur mit List entfernen. Das war ganz mein Eigen. Wo ich mich setzte oder legte, stellte es sich über mich hin, und war gleich parat zum Saugen oder Melken; und doch mußt' ich's in der beßten Sommerszeit oft noch ganz voll heimführen. Andremal melkt' ich es einem Köhler, bey dem ich manche liebe Stund zubrachte, wenn er Holz schrotete, oder Kohlhaufen brannte.

Welch Vergnügen, dann am Abend, meiner Heerde[97] auf meinem Horn zur Heimreise zu blasen! zuzuschauen, wie sie alle mit runden Bäuchen und vollen Eutern dastuhnden, und zu hören wie munter sie sich heimblöckten. Wie stolz war ich dann, wann mich der Vater lobte, daß ich so gut gehütet habe! Nun gieng's an ein Melken; bey gutem Wetter unter freyem Himmel. Da wollte jede zuerst über dem Eimer von der drückenden Last ihrer Milch los seyn, und beleckte dankbar ihren Befreyer.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 1, Basel 1945, S. 95-98.
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